: Kämpfer und Rebell
■ Zur Erinnerung an den deutschen Revolutionär Max Hoelz
Gernot Volger
„I would rather be a superb meteor,
every atom of me in magnificent
glow, than a sleepy and permanent
planet. The proper function of man
is to live, not to exist.“ Jack Londo
Im Herbst 1933 ging durch die sowjetische und deutsche Presse die Nachricht, am 16. September sei Max Hoelz beim Schwimmen im Oka-Fluß bei Gorkij ertrunken: das Ende eines deutschen Revolutionärs.
Heute ist Max Hoelz den Historikern allenfalls noch eine Fußnote wert, doch in der Republik von Weimar war er der bestgehaßte und gefürchtetste Feind des Bürgertums, während Arbeiter- und Unterklassen in ihm einen Volkshelden sahen. Für die bürgerliche Presse war er ein „berüchtigter Räuber“, ein „roter Bandit“, ein „Bandenführer“ und „Räuberhauptmann“.
Begonnen hatte Hoelz‘ Wirken im Oktober 1918, als er, wie viele andere auch, aus der Armee entlassen wurde: als Kriegsbeschädigter mit einer Rente von 40 Mark monatlich. Vier Jahre lang hatte er den Krieg mitgemacht, ohne sich als Soldat auszuzeichnen. Er war Meldereiter bei einer Kavallerieabteilung, und gegen Ende des Krieges wurde er verschüttet; die letzten Kriegsmonate verbrachte er in Lazaretten. Nach seiner Entlassung aus der Armee stellte sich bald heraus, daß er seinem früheren Beruf - er war Techniker gewesen - nicht mehr nachgehen konnte, da seine heftigen Kopfschmerzen als Folge seiner Verschüttung ihm ein Arbeiten in geschlossenen Räumen unmöglich machten.
Nun, am 9. November 1918, kehrte Hoelz ohne Stellung in das kleine Industriestädtchen Falkenstein im Vogtland zurück, wo er die Jahre zwischen 1912 und 1945 als Landvermesser und Filmvorführer und -erklärer verbracht hatte. In Falkenstein lebten damals etwa 16.000 Einwohner, die Stadt bot mit etwa 5.000 Erwerbslosen ein trostloses Bild. Das Erzgebirge und das Vogtland hatten schon immer zu den ärmsten Gebieten Deutschlands gehört. Es gab hier Spielwarenindustrie, Strumpfwirkerei sowie Stickerei-, Spitzen- und Gardinenindustrie, die zum Teil als Hausindustrie organisiert waren; die Löhne der Arbeiter waren erbärmlich. Diese Industrie lebte vor allem vom Export, doch der Krieg hatte die Exportmärkte verschlossen, so daß die Spielwaren und Textilindustrie völlig zusammenbrachen. Die minimale Arbeitslosenunterstützung reichte nicht zum Leben: viele hungerten. Als sich in Falkenstein ein Arbeitslosenrat bildete, wurde der rhetorisch begabte Hoelz zu dessen Vorsitzenden gewählt.
Der Arbeitslosenrat organisierte die Versorgung der armen Bevölkerung mit Lebensmitteln und setzte beim Stadtrat eine Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung durch. Bei einer Demonstration zwang die Bevölkerung den Bürgermeister des Ortes, in vorderster Reihe mitzumarschieren. Daraufhin erreichte der Bürgermeister, daß die sächsische Regierung Reichswehrtruppen nach Falkenstein entsandte. Die Mitglieder des Arbeitslosenrats wurden gefangengesetzt, Hoelz gelang es zu entkommen. Auf seine Ergreifung als „Rädelsführer“ des „Landfriedensbruchs“ wurde eine Belohnung von 2.000 Mark ausgesetzt.
Hoelz tauchte unter, schloß sich der Kommunistischen Partei an und agitierte in Mitteldeutschland. Wiederholt wurde er verhaftet, doch von Arbeitern immer wieder schnell befreit. Während dieses Lebens in der Illegalität fand er Zuflucht bei Arbeiterfamilien, die ihn aufnahmen und ihre wenigen Lebensmittel mit ihm teilten, denn er besaß keinen Pfennig. Wie viele Hunderttausende damals mußte Hoelz oftmals hungern. Mittlerweile war das Kopfgeld auf 5.000 Mark erhöht worden.
Am 12. März 1920 putschten der Generalleutnant von Lüttwitz und der Generallandschaftsdirektor Kapp gegen die Reichsregierung in Berlin, unterstützt von verbitterten Militärs, ultrakonservativen Politikern und agrarische Interessenvertretern. Die rechtsradikal politisierte Marinebrigade II. unter Lüttwitz war im innerdeutschen Bürgerkrieg, vor allem gegen die Räterepubliken in Braunschweig und München, eingesetzt gewesen. In Nord- und Ostdeutschland schlossen sich einige Truppenkommandeure Kapp an. Die Reichswehrführung weigerte sich, den Putschisten militärisch entgegenzutreten, woraufhin die Reichsregierung Bauer und der Reichspräsident Ebert über Dresden nach Stuttgart auswichen. Am nächsten Tag veröffentlichte die Regierung einen Aufruf zum Generalstreik. Im Umkreis von Berlin und im Bezirk Halle-Merseburg (der KP-Hochburg in Deutschland) flammten kurzzeitig Unruhen auf, die jedoch schnell von den Putschisten im Verein mit regierungstreuen Truppen niedergeschlagen wurden. Schon nach wenigen Tagen brach der Putsch zusammen, da die Berliner Ministerialbürokratie und das Offizierskorps der Reichswehr Kapp boykottierten. Aus dem Generalstreik zur Abwehr des versuchten Staatsstreichs entwickelte sich jedoch eine linke Aufstandsbewegung gegen die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung. Vor allem im Ruhrgebiet kam es zu größeren Aktionen, an denen sich eine Vielzahl unterschiedlicher politischer Richtungen beteiligte, von Anarchisten bis hin zu ehemaligen Zentrumsanhängern. Die Kommunistische Partei beteiligte sich erst spät und nur zögernd an dem Aufstand. Es wurde eine „Rote Armee“ gebildet, die ungefähr 50.000 Mann umfaßt haben dürfte. Sie besetzte den größten Teil des Ruhrgebiets und vertrieb zunächst die Freikorps- und Reichswehrtruppen. Mit Hilfe der Freikorpstruppen, die gerade erst für Kapp marschiert waren, gelang es am Ende doch, diese Aufstandsbewegung niederzuschlagen; mindestens 3.000 Tote bildeten das Ergebnis.
Hoelz erfuhr in Hof von dem Putsch in Berlin. Am folgenden Tag traf er in Falkenstein ein und begann mit der Aufstellung einer „Roten Armee des Vogtlandes“, die die „Rote Armee des Ruhrgebiets“ entlasten sollte. Hoelz glaubte, daß ein Sieg der Arbeiter im Ruhrgebiet die Revolution in ganz Deutschland auslösen würde. Es wurden Werbestellen für die „Rote Armee des Vogtlandes“ eingerichtet und Waffen requiriert. Die örtlichen Fabrikanten wurden zur Finanzierung der Roten Truppen aufgefordert; sie fügten sich den augenblicklichen Machtverhältnissen und leisteten die geforderten Zahlungen. Die Bürger akzeptierten Hoelz und sein herrisches Auftreten, obwohl er nie eine ernstzunehmende Macht darstellte. Mit einem Trupp von 70 Mann und drei Maschinengewehren befreite Hoelz eines Nachts 24 Gefangene aus dem Plauener Gefängnis, sie saßen dort in Untersuchungshaft wegen ihrer Teilnahme an den Vorgängen im April des Vorjahres in Falkenstein. Bei der Rückkehr mit den befreiten Gefangenen nach Falkenstein wurde Hoelz mit riesigem Jubel begrüßt. Im Falkensteiner Gerichtsgebäude ließ er alle Akten - mit Ausnahmne der Mündelakten - in den Hof bringen und anzünden. Hoelz‘ „Rote Armee“ war kaum mehr als zwei- bis vierhundert Mann stark.
Nachdem die „Rote Armee des Ruhrgebiets“ aufgelöst und zerschlagen worden war, sandten die Regierungen in Berlin und Dresden Reichswehrtruppen ins Vogtland zur Niederschlagung des Aufstands. Etwa 20.000 Reichswehrsoldaten (Hoelz schrieb immer etwas großspurig von 50.000 Mann), ausgerüstet mit schweren Waffen - Artillerie, Panzer, Panzerzüge - wurde aufgeboten. Bei der nun einsetzenden Verhärtung der Fronten gingen auch fünf Fabrikantenvillen in Flammen auf - gegen Hoelz‘ Willen, der genügend Schwierigkeiten gehabt haben dürfte, die Disziplin seiner Truppe immer zu wahren. Doch keinem Bürger wurde ein Haar gekrümmt, niemand wurde geschlagen, geschweige denn erschossen.
Die bürgerliche und sozialdemokratische Presse dichteten Hoelz die ungeheuerlichsten Räubergeschichten an, auch habe sich der „Bandenhäuptling“ persönlich bereichert. Doch mehr noch als seine wirklichen und die ihm angedichteten Taten verbreiteten seine Aufrufe und Proklamationen bei den Bürgern mit und ohne Geld Angst und Schrecken. Tatsächlich war die revolutionäre Rhetorik von Hoelz‘ Proklamationen (Kampf auf Leben und Tod, Kampf bis zum Sieg oder zur Niederlage, Kampf unter allen Umständen, auch mit den verzweifeltsten Mitteln) weit entfernt von seinen Taten, die durch die strikte Vermeidung unnötiger Gewaltsamkeit charakterisiert waren. Die vogtländischen Arbeiter bewunderten Hoelz‘ Husarenstreiche, und bei der armen Bevölkerung wurde er von einer Welle der Sympathie getragen.
Nach einigen Tagen wurde seine Stellung unhaltbar. Er zog sich mit seiner Truppe in die Wälder bei Klingenthal an der tschechoslowakischen Grenze zurück, löste seine Truppe auf und floh in die Tschechoslowakei. Dort wurde er interniert, doch ein deutsches Auslieferungsersuchen wurde vom tschechoslowakischen Innenminister abgelehnt: Hoelz‘ Taten wurden als politisch motiviert angesehen. In Deutschland wurde unterdes die Prämie auf seinen Kopf auf 30.000 Mark erhöht.
Nach einigen Monaten Haft in der Tschechoslowakei kam Hoelz gegen Ende des Jahres 1920 über Wien mit einem falschen Paß nach Deutschland zurück. In den folgenden drei, vier Monaten unternahm er einige Sprengstoffattentate, so etwa auf das Rathaus von Falkenstein und die Gerichtsgebäude einiger sächsischer Städte, in denen gegen Teilnehmer der Kapp -Putsch-Aktion Prozesse stattgefunden hatten.
Im März 1921 kam es zu einem Arbeiteraufstand im mitteldeutschen Industrierevier von Mansfeld, Halle und Merseburg. Unter dem Vorwand, Diebstähle zu verhindern, tatsächlich aber, weil die Arbeiterschaft in diesem Gebiet zu einem hohen Anteil kommunistisch orientiert war und politisch motivierte Streiks befürchtet wurden, ließ der sozialdemokratische Oberpräsident der preußischen Provinz Sachsen in einer Polizeiaktion die Werke besetzen. Daraufhin rief die örtliche Zentrale der KPD die Arbeiter zum Generalstreik auf. Die Berliner Parteiführung der KPD, die von dem Einmarsch völlig überrascht wurde, schloß sich dem Streikaufruf an und stolperte ohne jede organisatorische Vorbereitung und ohne konkrete Zielsetzung in den Aufstand hinein. Nach Mansfeld und Halle kam es auch in Hamburg, Essen und Mannheim zu Streikaktionen, die jedoch allesamt nur von der KPD-orientierten Arbeiterschaft getragen wurden, einer Minderheit unter den Arbeitern. (Damals hatte die KPD im gesamten Reich etwa 500.000 Mitglieder und vielleicht weitere zwei Millionen „Sympathisanten“.) Später kam es innerhalb der KP-Führung zu heftigsten Auseinandersetzungen über den März-Aufstand.
Zu diesem Zeitpunkt war Hoelz längst nicht mehr KPD -Mitglied, denn in der Endphase des vogtländischen Aufstands war er auf Antrag der KP-Führung wegen „eigenmächtigen Handelns“, „parteischädigenden Verhaltens“ und „mangelnder Parteidisziplin“ aus der Partei ausgeschlossen worden. Die KP-Führung wollte nur den Kapp-Putsch niederwerfen, jedoch nicht zu einer eigenen Aktion übergehen; ein Aufstandsbefehl wurde nicht gegeben. So hatte Hoelz im März 1920 im Vogtland auf eigene Faust, „im Interesse der Revolution“ gehandelt. Die KP-Führung versuchte, die Aufstellung von Hoelz‘ „Roter Armee“ zu verhindern ebenso wie die Bewaffnung der Hoelz -Truppe und die Zwangseintreibung von Kontributionen. Die KP -Führung bot ihm sogar falsche Papiere an, damit er sich in die Tschechoslowakei absetzen könne. Doch Hoelz war ein Kämpfer und Draufgänger, der nicht bereit war, sich der Parteidisziplin zu unterwerfen. Für ihn kam es nach seinen eigenen Worten darauf an, „als einfacher Soldat der Revolution in den vordersten Reihen mit(zu)kämpfen“. Der Parteidisziplin konnte und wollte er sich nicht unterordnen: „Wenn die Exekutive und die Zentrale (der KP) bereit ist, die Sache so vorwärtszutreiben, wie ich will, mache ich selbstverständlich mit“, meinte er am 27. März 1920 zu einem der kommunistischen Führer, „wenn sie das nicht ist, mache ich meine Sache für mich allein, da brauche ich keine Zentrale und keine Exekutive.“ Im Grunde waren also Hoelz‘ Differenzen mit der KPD und ihrer Führung in seinem rebellischen Charakter angelegt; nicht ohne Berechtigung sah er seine Konflikte mit der KP-Führung als stark persönlich gefärbte Auseinandersetzungen an. So hatte er sich nach seinem Ausschluß aus der KPD der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD), einer im Frühjahr 1920 gegründeten linken Abspaltung von der KPD, angeschlossen.
Auch bei der mitteldeutschen Aktion handelte Hoelz „aus freiem Willen und eigenem Ermessen“. (So formulierte er es jedenfalls 1921; später hat er es - aus verständlichen Gründen - anders dargestellt.) Nachdem die ersten Protest und Streikversammlungen stattgefunden hatten, traf Hoelz ein und forderte die Arbeiter auf, sich zu bewaffnen. Auch hier übernahm er - neben Karl Plättner - sofort die militärische Organisation des Aufstands. Innerhalb kürzester Zeit stellte er eine Truppe auf, die ungefähr drei- bis viertausend Mann umfaßte. Es kam zu Gefechten mit der Polizei, die durch Einheiten der Reichswehr unterstützt wurde. Die Aufständischen verfügten über höchstens 2.000 Gewehre und 40 Maschinengewehre (nach der Beendigung der Kämpfe beschlagnahmte die Polizei 1.346 Gewehre und 34 Maschinengewehre sowie Patronen). Zuletzt sah sich Hoelz mit seiner Truppe einer Übermacht von knapp 4.000 Polizisten sowie starken Abteilungen Reichswehr mit einer leichten Feldhaubitzenbatterie, Minenwerfern, zwei Kampfwagen und einem Panzerzug gegenüber. In der Endphase des Aufstands requirierten Hoelz‘ Truppen Pferdegespanne und Mäntel. In einem Dorf kam es zu einer Auseinandersetzung mit einem Gutsbesitzer Heß, der sich weigerte, die geforderten Mäntel herauszugeben, einen Revolver zog und von einem Mitglied von Hoelz‘ Truppe erschossen wurde. Am 1.April, zwölf Tage nach dem Einmarsch der Polizei in Mitteldeutschland, waren die Kämpfe beendet. Hoelz gelang es, nach der Zerschlagung seiner Truppe nach Berlin zu entkommen.
In der Märzaktion hatten Hunderte ihr Leben gelassen. Nach der Niederschlagung des Aufstands wurden etwa 6.000 „Verdächtige“ verhaftet, von denen rund 4.000 teilweise sehr hohe Haftstrafen erhielten. Der in ganz Deutschland am meisten Gesuchte war ohne Zweifel Max Hoelz. Zwei Wochen nach dem Ende des Aufstands, am 15. April, gelang es der Polizei mit Hilfe eines gedungenen Spitzels, Hoelz in Berlin zu verhaften. Jener, ein Weltkriegsoffizier namens Arno Henke, war SPD-Mitglied und mit polizeiähnlichen Aufgaben betraut.
Worauf die Justiz zielte, die sich Hoelz‘ bemächtigt hatte, wurde schon sehr bald klar: Nach der Festnahme von Hoelz ließ der (sozialdemokratische) Berliner Polizeipräsident einen Aufruf verbreiten, in dem eine Belohnung von 50.000 Mark - damals noch wirklich viel Geld - ausgesetzt wurde „für aufklärende Mitteilungen, die zu einer Verurteilung des Hoelz‘ führen“ (Hervorhebung vom Autor). Man hatte also längst nicht genug gerichtlich verwertbares Material; um Hoelz für immer auszuschalten, Aufruhr und Landfriedensbruch als alleinige Anklagepunkte hätten nicht das gewünschte Ergebnis erbracht. Ausgelobt wurde also ein Erfolgshonorar: ein weit von allen rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernter direkter Anreiz zum Meineid. So ging es denn vor allem darum, Hoelz mit dem Tod des Gutsbesitzers Heß zu belasten, um nicht einzugestehen, daß gegen den bei seiner Festnahme offiziell als Räuber bezeichneten Hoelz allein politische Delikte vorlagen. Der Prozeß fand auch nicht vor der normalen Gerichtsbarkeit statt, sondern vor einem Sondergericht - auch dies eine durchaus übliche Praxis der politischen Justiz in den frühen Jahren der Republik von Weimar. So klagte die Justiz Hoelz über 50 einzelner Straftaten an, von denen 18 Schwerverbrechen darstellten.
Hoelz sah das Gericht von vornherein als das an, was es war: ein Instrument in einer politischen Auseinandersetzung. Die Schlußrede Hoelz‘ vor dem Gericht war eine leidenschaftlich vorgetragene, dabei dennoch anschaulich und sachlich formulierte Anklage gegen die bürgerliche Gesellschaft. Mit dem gleichen Mut, mit dem er seine Aktionen durchgeführt hatte, trat er seinen Richtern entgegen: „Sie können mir auch keine bürgerliche Ehre absprechen. Die bürgerliche Ehre, um die Sie sich streiten, habe ich nie besessen. Bürgerliche Ehre heißt für mich die Kunst, von der Arbeit anderer zu leben.“ Als Redner siegte Hoelz vor Gericht. Gegen alle Erwartungen wurde er zu „lebenslänglich“, „diesem ausdrücklich verhängten Tod durch das Zuchthaus“ (Egon Erwin Kisch) verurteilt.
Max Hoelz wurde vor genau 100 Jahren, am 14. Oktober 1889, in dem kleinen Flecken Moritz bei Riesa in Sachsen als zweites Kind eines Schneidemühlenarbeiters geboren. Sein Vater war arm und wenig anpassungsbereit, was zu häufigen Stellenwechseln führte. Bedingt durch den häufigen Berufs -und Ortswechsel des Vaters bekam der junge Max nur eine mäßige Schulbildung, und schon mit elf Jahren mußte er als Gänse-, später Kuh- und Pferdehirt mitverdienen. Mit vierzehn mußte er die Schule verlassen und wurde als Tagelöhner zu einem Gutsbesitzer gegeben. Zwei Jahre später ging der lernbegierige Hoelz nach England, wo er eine Stellung als Volontär in einem technischen Büro fand; in den Abendstunden besuchte er ein Polytechnikum. Nach seiner Rückkehr aus England gelang es ihm nach großen Mühen, eine Anstellung als Techniker beim Eisenbahnbau zu finden. Da er sich weiterqualifizieren wollte, ging er nach Dresden. Dort besuchte er tagsüber eine Schule, abends arbeitete er als Filmvorführer, und nachts machte er seine Schulaufgaben. Auf ärztlichen Rat hin ging er 1912 nach Falkenstein im Vogtland, wo er tagsüber als Landvermesser und abends als Filmvorführer und -erklärer arbeitete. Bei Kriegsausbruch meldete er sich voller Begeisterung als Freiwilliger, in dem Glauben, für eine gute und gerechte Sache zu kämpfen. Die Greuel des Krieges führten zu einer tiefgreifenden Änderung seiner bis dahin unpolitischen Einstellung.
Etwa Ende 1918, als er Vorsitzender des Arbeitslosenrats von Falkenstein war, trat er in die USPD ein, jener Abspaltung des linken Flügels der SPD von 1917, der die Kooperation der SPD mit dem Militär und der Monarchie abgelehnt hatte. Ende 1918 verließ der Spartakusbund, eine Gruppierung innerhalb der USPD, die Partei und wurde zum Kern der am 1. Januar 1919 gegründeten KPD, der sich Max Hoelz im Frühjahr 1919 anschloß. Zur Zeit seiner Verurteilung, im Juni 1921, war Hoelz noch Mitglied der KAPD, im November desselben Jahres trennte er sich von dieser Partei und wandte sich wieder der KPD zu. Man darf vermuten, daß dieser Entschluß bedingt war durch die verzweifelte Lage, in der er sich im Zuchthaus befand. Vermutlich kam er zu der zutreffenden Überlegung, daß nicht die eher unbedeutende KAPD, sondern die weit stärkere und politisch aktivere KPD mit Aussicht auf Erfolg für seine Freilassung kämpfen konnte.
Die Zuchthauszeit war eine immerwährende Tortur: schwere körperliche Mißhandlungen, Schikanen, gegen die er rebellierte, ungenießbares Essen, Isolationshaft, Qualen der Einsamkeit; selbst seine Verteidigerpost wurde ihm manchmal wochenlang vorenthalten. Allein Bücher und Gymnastik hielten ihn einigermaßen aufrecht. Alle Amnestien für politische Gefangenen gingen an Hoelz vorbei, da er ja wegen eines Kapitalverbrechens - Totschlag - verurteilt worden war. Jahrelang kämpfte die KPD für die Wiederaufnahme seines Verfahrens. 1926 meldete sich der wahre Täter, der Bergmann Erich Friehe, doch acht Monate lang vernahmen ihn weder Polizei noch Justiz. Endlich gab das Reichsgericht im Juli 1928 einem Wiederaufnahmeantrag Hoelz‘ und seiner Verteidiger statt und wandte gleichzeitig ein Amnestiegesetz auf ihn an. Der angeblich „lückenlose“ Schuldbeweis des Sondergerichts war durch die beigebrachten Tatsachen und Beweismittel zusammengebrochen, die Nichtschuld Hoelz‘ an der Tötung des Gutsbesitzers Heß war evident.
Nach seiner Freilassung aus dem Zuchthaus wurde Hoelz in Berlin von einer riesigen Menschenmenge jubelnd begrüßt.
Unmittelbar darauf zog sich Hoelz für einige Zeit zur Erholung zurück und schrieb seine Erinnerungen, die 1929 unter dem Titel Vom „Weißen Kreuz“ zur Roten Fahne veröffentlicht wurden. Das Buch ist ein eindrucksvolles sozialgeschichtliches Zeugnis. Dann trat er etwa ein Jahr lang auf vielen Veranstaltungen der KPD und der „Roten Hilfe“ als Propagandist auf. Anfang 1930 reiste er erstmals in die Sowjetunion. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er Anfang September 1930 in Bad Elster von Nationalsozialisten angegriffen und dabei schwer verletzt. Im Herbst fuhr Hoelz wieder in die Sowjetunion und entschloß sich, dort zu bleiben.
Auch in der Sowjetunion war Hoelz nicht bereit, das erforderliche geistige Opfer und die gewünschte Anpassung zu erbringen. Schon bei seinem ersten Aufenthalt äußerte er sich bestürzt über das, was er dort sah: „Ich bin natürlich auch sehr enttäuscht über die Verhältnisse in Rußland; überhaupt, hier herrscht ein ausgesprochener Bürokratismus.“ Auch nachdem er endgültig in die Sowjetunion übergesiedelt war, gab er Besuchern gegenüber oft seiner Empörung über die Verhältnisse in der Sowjetunion in drastischen Worten Ausdruck, und nach der Machtübernahme Hitlers kritisierte er offen die Stalinsche Politik (die in den Jahren vor 1933 darauf zielte, statt Hitler die Sozialdemokraten zu bekämpfen); ebenso kritisierte er Stalins Politik in der Komintern, der viele altgediente Kommunisten zum Opfer fielen.
Anfang 1933, nach dem spurlosen Verschwinden einer Anzahl deutscher Kommunisten, begann Hoelz, um sein Leben und seine Sicherheit in der Sowjetunion zu fürchten. Im Mai 1933 suchte er in Moskau eines Abends einen Botschaftsrat der deutschen Botschaft auf und eröffnete ihm, sich unter den Schutz des Deutschen Reiches stellen und unter allen Umständen nach Deutschland zurückkehren zu wollen, um die deutschen Arbeiter über Stalins Politik aufzuklären. Er wolle sich nicht länger für die sowjetische Propaganda ausnutzen lassen; selbst die Gefahr, im nationalsozialistischen Deutschland mit schwerer Verfolgung rechnen zu müssen, schreckte ihn nicht ab. Der Botschaftsrat weigerte sich, allein mit ihm zu sprechen, und da Hoelz eine Zusammenarbeit des Botschaftsrats mit der sowjetischen Geheimpolizei - damals GPU - befürchtete, verließ er fluchtartig dessen Wohnung. Mit Sicherheit wurde Hoelz schon damals überwacht; bereits am nächsten Vormittag erhielt er eine Aufforderung, zu einer Vernehmung im Lubjanka-Gefängnis zu erscheinen. Dieser Aufforderung folgte er nicht. Statt dessen verbarrikadierte er sich in seinem Zimmer im Moskauer Hotel „Metropol“, in dem er und viele andere deutsche Emigranten wohnten. Vorher hatte er noch einen Brief an Stalin abgeschickt, in dem er mitteilte, daß er der GPU nicht lebend in die Hände fallen werde; er habe 60 Patronen, mit denen er sich bis zum letzten verteidigen werde: 59 Patronen für die Häscher der GPU, die letzte für ihn selbst. Erst nach vier Tagen gelang es, Hoelz zum Öffnen seiner Tür zu bewegen. Zu diesem Zeitpunkt dürfte sein Schicksal schon besiegelt gewesen sein.
Unter einem Vorwand und unter Druck wurde Hoelz aus Moskau
-wo viel zu viele Emigranten ihn kannten - weggelockt und auf einen ihm von der GPU zugewiesenen Sowchos (einen landwirtschaftlichen Betrieb) gebracht. Bald darauf war Hoelz tot - beim Baden ertrunken. Er wurde im Gewerkschaftshaus von Gorkij aufgebahrt, und eine Abordnung des Infanterieregiments „Max Hoelz“ hielt am Sarg die Totenwache. Seine Beerdigung in Gorkij fand unter militärischen Ehren statt: Soldaten seines Regiments trugen seinen Sarg, auf einem Kissen prangte der ihm von Stalin verliehene Orden. Eine Delegation des Exekutivbüros der Kommunistischen Internationale mit Schdanow an der Spitze war anwesend, und im Namen des Zentralkomitees der KPD sprach Fritz Heckert - derselbe Heckert, der ihn im Vogtland -Aufstand zusammen mit Brandler bekämpft und aus der KPD ausgeschlossen hatte - ehrende Worte des Andenkens.
Die Lorbeerbäume bei der Totenfeier waren so dicht um den Sarg aufgestellt, daß niemand nahe an den Sarg herantreten konnte. Dennoch waren für einige Deutsche, die der Sache nicht trauten, Gesichtsverletzungen, Einbuchtungen des Schädels und ein eigenartig verzerrtes Gesicht sichtbar. Einem der Freunde gelang es, ein Photo zu machen; es kursierte später in hohen Parteikreisen in Moskau. Das Gesicht auf dem Photo war entstellt und zeigte Kratzspuren, während der hintere Teil des Kopfes auf eine merkwürdige Art mit einem Tuch bedeckt war. Wenige Tage nach der Beisetzung Hoelz‘ reisten einige bekannte Moskauer Kommunisten heimlich nach Gorkij, um über seinen Tod eigene Nachforschungen anzustellen. Es gelang ihnen, zwei Fischer ausfindig zu machen. Diese erzählten, daß sie an jenem Tage, an dem Hoelz ertrunken war, am späten Nachmittag im Fluß, in unmittelbarer Nähe eines Brückenpfeilers, einen Kahn beobachtet hätten, in dem zwei Männer auf einen dritten, der sich verzweifelt wehrte und mit einer fremdländisch klingenden Stimme um Hilfe schrie, eingeschlagen hätten. Die beiden Männer hätten den offenbar schwer Verletzten längere Zeit unter Wasser gehalten. Weder mit Versprechungen noch mit Drohungen ließen sich die beiden Fischer dazu bewegen, ihre Aussagen vor Gericht zu wiederholen oder schriftlich niederzulegen. Viele, die Hoelz kannten, wußten zudem, daß er ein guter Schwimmer gewesen war. Das Ende eines deutschen Revolutionärs.
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