: MÄNNERTROST
■ Bill Withers bei Joe in der Hasenheide
Licht und Spiegel, Spiegel und Licht, man tapst durch eine Röhre, die an die schöne TV-Serie Raumschiff Orion gemahnt; wenn man nicht sicher wüßte, daß man bei Joe in der Hasenheide 13 zum Konzert von Bill Withers verabredet ist, könnte man glauben, den Frogs in die Hände gefallen zu sein. Geschickt haben sich diese Wesen des Grauens getarnt, als aufgemotzte Angestellte, Schlipsträger, Freizeitfritzen, Nahtstrumpfelsen und - doch da winkt schon der Votograf herüber, und der Alptraum im Glaspalast löst sich auf in den ganz normalen Berliner Horror.
Vier jüngere Männer aus London betreten die sonst als Tanzfläche fungierende Bühne, ergreifen ihre Instrumente und spielen sich zwei, drei Stücke lang warm mit gehobener Unterhaltungsmusik zwischen Pat Metheny und Raul de Souza, es ist angenehm, unaufdringlich, leicht. Bill Withers erscheint, ein fünfzigjähriger, freundlich lächelnder Schwarzer, setzt sich auf einen Barhocker, greift eine akustische Gitarre, nickt, die Band groovt im Hintergrund, Bill Withers singt Ain't no sunshine when you're gone. Sofort ist man elektrisiert, die Musik kriecht einem übers Kreuz, Engtanzparties und nasse Küsse zischen blitzlichtartig durchs Hirn, aber man muß sich nicht erinnern, Bill Withers singt hier und jetzt, anytime she walks away, seine Stimme ist dick und kehlig, zärtlich und mild.
Hätten die Nirwanapastoren die Vokabel nicht gemetzelt, man könnte von innerem Frieden sprechen - die hektische Grellheit des Ladens erhöht nur die beruhigende, tröstliche Wirkung von Bill Withers. Seine Musik ist pulsierend, federnd und leise treibend, unaufgeregt, dazu perfekt abgemischt, transparent und nicht ein bißchen zu laut.
Bill Withers erzählt Geschichten und gleich dazu, warum er das tut: Als Kind habe er gestottert und darunter mächtig zu leiden gehabt, deshalb freue er sich noch heute jedesmal, wenn es klappe mit dem Sprechen. Er macht Komplimente, als small town man komme er ja nicht viel rum und bekomme nur selten so viele good-looking people zu sehen, leicht geht ihm die Lüge über die Lippen. Das Berliner Publikum glotzt und johlt, kaum jemand, der sich bewegt, nur Bill Withers, in Halbschuhen, gebügelter Hose und Sporthemd, knickt ein bißchen in den Knien ein und wippt. Wie gewiegt geht man weg, eingepackt in herzwärmende Musik, und selbst den blöden, chronisch übellaunigen Berliner Brüllköppen schenkt man mühelos ein Lächeln.
wiglaf droste
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