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Brasiliens Militärs überfallen Landbesetzer

■ Drei Landarbeiter erschossen / Die Landlosenbewegung „Sem terra“ organisiert Besetzung brachliegender Ländereien / Unterzeichnete Agrarreform nur zu einem Zehntel realisiert / Laut kirchlichen Kreisen wurden letztes Jahr 93 Personen bei Landkonflikten getötet

Rio de Janeiro (afp/dpa/ips/taz) - Mit Waffengewalt räumten 500 brasilianische Militärpolizisten in der Nacht zu Sonntag eine von landlosen Bauern besetzte Farm im Bundesstaat Santa Catarina im Süden des Landes; dabei erschossen sie drei Menschen. Der Angriff sei gerichtlich genehmigt gewesen, sagte am Sonntag ein Sprecher der Polizei, doch sei die Operation abgebrochen worden, nachdem man „die Ernsthaftigkeit des Zwischenfalls“ erkannt habe. Unter den 63 Verletzten befänden sich auch 23 Polizisten. Nach Darstellung der Landlosenorganisation „Sem terra“, die die Besetzung organisiert hatte, gingen die Militärpolizisten mit Schußwaffen und Tränengas auf die etwa 2.000 schlafenden Bauern los, die die 7.500 Hektar große Farm in Palma Sola, 800 Kilometer südlich von Rio de Janeiro, besetzt hatten.

Die bereits 1980 gegründete „Sem terra“ (ohne Land) hatte im vergangenen Jahr insgesamt 30 Landbesetzungen organisiert, in den ersten acht Monaten dieses Jahres waren es bereits weitere 35. Über 9.700 Familien waren an diesen Aktionen beteiligt. Eine kleine Minderheit in einem riesigen Land. Doch die Bewegung der Landlosen gewinnt zunehmend an Bedeutung, zumal sie auch mit der in Landkonflikten stark engagierten „Pastoralen Landkommission“ (CTP) der Kirche zusammenarbeitet.

Seit Jahren kritisieren „Sem Terra“ und CTP das Ausbleiben der versprochenen Agrarreform. 430.000 Quadratkilometer Staatsland und enteignetes Privateigentum (fast das Doppelte der Fläche der Bundesrepublik) sollten bis Ende dieses Jahres an 1,4 Millionen Familien verteilt werden. So jedenfalls sah es der Agrarreformplan vor, den Präsident Jose Sarney 1985 nach seinem Regierungsantritt unterzeichnete. Doch bis Februar dieses Jahres erhielten lediglich 43.000 Familien 42.800 Quadratkilometer Ackerland. Fünf Agrarreformminister hat die Zivilregierung verschlissen, die nach 20 Jahren Militärdiktatur eingesetzt wurde. Die Besitzverhältnisse auf dem Land aber haben sich kaum geändert. Zu Beginn dieses Jahres wurde das Agrarreformministerium schließlich ersatzlos abgeschafft. Vor allem die Großgrundbesitzer, die sich 1985 mit der Schaffung der „Demokratischen Landunion“ (UDR) eine schlagkräftige Interessenvertretung geschaffen haben, widersetzen sich der Agrarreform. Dabei berufen sie sich gerne auch auf die neue Verfassung. Die Abgeordneten der verfassungsgebenden Versammlung stimmten 1988 zwar für eine mögliche Enteignung von Grundbesitz, „produktives Land“ wurde jedoch von dieser Regelung ausgenommen. Als „produktiv“ gelten bereits Grundstücke, auf denen Rinder weiden oder Bäume wachsen und die zur wirtschaftlichen Nutzung abgeholzt werden könnten.

In Auseinandersetzungen mit landlosen Bauern setzt die UDR immer wieder paramilitärische Banden und Pistoleros ein. Nach Angaben der CTP wurden allein 1988 bei Landkonflikten 93 Menschen umgebracht, unter ihnen auch Gewerkschafter und Geistliche. Darüberhinaus wurden 2.300 gerichtliche Räumungen von besetzten Landwirtschaftsflächen erwirkt. Zehntausende von Landlosen wurden ohne richterlichen Befehl von Grundstücken vertrieben, nachdem ihre Häuser zerstört worden waren.

Es gebe zur Zeit eine klare Linie der „Sem terra“, erklärte jüngst der Franziskaner-Pater Sergio Gorgen, der Autor eines Buches über die Landbesetzerbewegung ist: besetzen, Widerstand leisten, das Land bebauen. Doch ebenso klar sei die Linie der Großgrundbesitzer: der Bewegung der Landlosen das Rückgrat brechen. Derzeit, meinte der Pater, solle gegen gewaltsame Räumungen gewaltfreier Widerstand geleistet werde.

Doch bei vielen Landlosen stößt der Rat des Paters auf taube Ohren. Vor allem im Süden des Landes werden die Landkonflikte zunehmend militanter ausgetragen. Und mitunter geht die Militärpolizei auch mit Flugzeugen gegen die Landlosen vor: So wurden landlose Bauern, die sich im März dieses Jahres im Bundesstaat Rio Grande do Sul mit Jagdflinten, Pistolen, Macheten und Sensen bewaffnet, vom besetzten Land in die Wälder zurückgezogen hatten, aus der Luft mit Tränengasbomben beschossen. Nach stundenlangen Auseinandersetzungen blieben 20 Landarbeiter schwer verletzt zurück, die meisten mit Beinschüssen, da die Polizei Befehl hatte, niemanden zu töten.

thos

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