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„Die Halbierung des Lebens aller Koreaner“

Ein südkoreanischer Pfarrer, der sich im März mit dem nordkoreanischen Staatschef getroffen hat, soll lebenslänglich ins Gefängnis  ■  Aus Seoul Peter Jakobs

Südkorea läßt sich von den weltweiten Veränderungen im kommunistischen Machtbereich nicht beeindrucken. Noch gelten die Regeln der kältesten Phase des Kalten Krieges. Wer in den kommunistischen Norden reist, gilt als Vaterlandsverräter und Handlanger der nordkoreanischen Diktatur. Und das kann einen im „freien“ Teil Koreas die Freiheit kosten. Notfalls lebenslänglich. Am Montag abend forderten jedenfalls die Staatsanwälte in Seoul eine lebenslange Gefängnisstrafe für den oppositionellen Pfarrer Moon Ik-Hwan. Zusammen mit dem Geschäftsmann Yu Won-Hon war er im März nach Nordkorea gereist. Aus der Tatsache, daß die beiden dort den Staatschef Kim Il-Sung trafen, folgert die Anklageseite, daß die beiden vom Diktator in Pjöngjang „geheime Instruktionen“ empfangen hätten. Die Richter lehnten die von der Verteidigung geforderte Befragung des Ministers für Nationale Vereinigung, Lee Hong-Koo, als Zeugen ab. Die Rechtsanwälte wollten mit Lees Aussage ihre Behauptung stützen, Moons Besuch in Pjöngjang habe mit einem Versprechen des südkoreanischen Staatspräsidenten Roh Tae -Woo in Einklang gestanden, den persönlichen Austausch mit Nordkorea zu unterstützen.

„Wir Südkoreaner sind eigentlich dumm“, sagt Oh Chong Il, „die Opposition glaubte, besonders clever zu sein; aber sie ist gespalten, wo es doch so leicht wäre, die jetzige Regierung davonzujagen.“ Pfarrer Oh aus der Führungsspitze der Nationalen Allianz für Demokratie „Chonminyon“ gehört zu den wenigen Persönlichkeiten der größten Dissidentenorganisation in Südkorea, die noch nicht verhaftet wurden. Aber auch gegen ihn wird ermittelt, wurde ein Ausreisverbot verhängt. „Eine formelle Demokratie, die haben wir schon seit ungefähr zwei Jahren, jedoch hat sich an den Inhalten der Politik gegenüber früher nicht viel geändert“, sagt der Kirchenaktivist.

Mit Festnahemn und einem ideologischen Generalangriff auf angeblich linksgerichtete Kräfte gehen die Seouler Machthaber seit einiger Zeit wieder verstärkt gegen Intellektuelle und Studenten vor, die nach Wiedervereinigung rufen. Selbst Kim Dae Jung, der moderate Präsident der größten Oppositionspartei für Frieden und Demokratie (PPD), ist vor Angriffen aus dem Regierungslager nicht geschützt und soll angeklagt werden. Zweimal verhörten Geheimdienst und Staatsanwalt den PPD-Vorsitzenden, dem ein Verstoß gegen das nationale Sicherheitsgesetz vorgeworfen wird. Es wird behauptet, Kim hätte von der Reise eines Abgeordneten der Friedenspartei nach Nordkorea gewußt, obendrein auch noch Geld erhalten und sei seiner Pflicht zur Denunziation nicht nachgekommen.

Gleichzeitig formieren sich neue rechtsradikale Gruppierungen wie die Liga für Freiheit oder die Vereinigung von Vietnamveteranen, die mit staatlicher Hilfe aus der Taufe gehoben wurden. Der Konservatismus soll wieder blühen, sagt die Regierung, um die „liberale Demokratie vor den revolutionären Kräften zu schützen“. Mit dieser Aufforderung knüpft sie an die Kampagne aus dem vergangenen Jahr an, als die regierende Demokratische Gerechtigkeitspartei nach den Wahlen zur Nationalversammlung erstmals die Parlamentsmehrheit verlor. Anfang September forderte Premierminister Kang Young Hoon in einem Brief an alle Beamten der Administration deren aktive Teilnahme am Kampf gegen die „linken Ideologen“. Ein über 100 Seiten starkes Regierungspamphlet mit dem Titel „Laßt uns darüber sprechen, worüber wir sprechen mnüssen“, hatte er dann gleich mitverschickt.

Mit Demokratisierung, „Nordpolitik“ und den Olympischen Spielen wollte Seoul in den vergangenen zwei Jahren in der Welt Ansehen und Prestige erobern. Ein Federstrich sollte Vergangenheit, Militärdiktatur, Folter und politische Unterdrückung vergessen machen, und damit der Aufbruch des Landes in eine bessere Zukunft beginnen. Doch von all dem sei heute nur noch wenig zu spüren, sagt der Nationale Kirchenrat Koreas (NDC). Die Regierung hatte ihre Zusagen nicht gehalten, die Leute betrogen und die Repression des alten Systems wirksam fortgesetzt, schreibt der NCC über die gegenwärtige Menschenrechtssituation.

Seit dem 29.Juni 1987, dem denkwürdigen Tag der Demokratisierungserklärung, bis heute wurden nach Angaben der Menschenrechtskommission fast 1.000 Personen aus politischen Gründen inhaftiert; zweimal so viele wie unter der vorherigen Regierung. Allein 134 Personen sitzen im Gefängnis wegen eines Verstoßes gegen das berüchtigte antikommunistische Sicherheitsgesetz, das alle vor zwei Jahren abschaffen oder revidieren wollten. Aber nach der letzten Nordkorea-Reise der Studentin Lim Soo Kyong und des Priesters Moon Kyu Hyon fordert der Geheimdienst sogar eine Verschärfung. Heute gilt das Gesetz, das viele Südkoreaner mit Demokratisierung und „Nordpolitik“ für unvereinbar halten, als stärkste Waffe der Regierung im Kampf gegen die „subversiven Kräfte“. Jüngstes Opfer, der 25jährige Zahnarzt Kim Jin Yop, ein Koreaner mit australischer Staatsbürgerschaft. Zum erstenmal setzten die Behörden einen Ausländer fest, der beschuldigt wird, die illegale Reise der südkoreanischen Studentin Lim nach Nordkorea vorbereitet zu haben.

Lim und Moon seien, so steht es im abschließenden Untersuchungsbericht, ein Propagandawerkzeug Nordkoreas gewesen, hätten im Auftrag Pjöngjangs gehandelt. Trotz Sympathie für die beiden gibt es aber auch unter den Intellektuellen Stimmen, die angesichts der Realitäten auf der koreanischen Halbinsel den von Dissidenten aufgegriffenen Konförderationsvorschlag Kim Il Sungs zur Wiedervereinigung für naiv oder träumerisch halten. „Die Nordkorea-Reise des Dissidentenpastors Moon Ik Hwan kam viel zu fürh“, sagt auch Oh Chong Il; die Situation im Süden hätte sich hierdurch nur verschlimmert. Alle fordern jedoch die Freilassung der Festgenommenen und alle vereint, was der Dichter Kim Chi Ha mit Halbierung des Lebens aller Koreaner meinte: „Die demilitarisierte Zone läuft mitten durch unser Herz.“

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