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Türkische Armee richtet Blutbad an

Anti-Guerilla-Einheit eröffnet Feuer auf kurdische Trauergemeinde in Silopi / Journalisten festgenommen und gefoltert / Neun Tote bei Gefechten zwischen Armee und der PKK-Guerilla / Sozialdemokratische Parlamentarierdelegation spricht von Todeskommandos  ■  Von Ömer Erzeren

Istanbul (taz) -Die Beerdigung von neun Kurden in der Stadt Silopi, die Samstag nacht vom türkischen Militär erschossen worden waren, endete Dienstag in einem blutigen Militäreinsatz. Anti-Guerilla-Einheiten der türkischen Armee eröffneten das Feuer auf die Menschen, die sich vor der Moschee und dem nahegelegenen Landratsamt versammelt hatten. Journalisten wurden festgenommen und auf der Wache gefoltert. Nach Zahlen der Nachrichtenagentur 'Anadolu Ajansi‘ wurden 50 Personen festgenommen. „Der Staatsterror hat einen Höhepunkt erreicht. Sie wollen die Türkei in ein Chile, in ein El Salvador umwandeln“, so der sozialdemokratische Abgeordnete Adnan Ekmen, der sich in Silopi aufhält.

Die Ausnahmerechtsverwaltung hatte am Sonntag vermeldet, daß nahe des Dorfes Dereboyu neun PKK-Militante „mit ihren Waffen in den Händen tot gefangengenommen wurden“. Nachrichtenagenturen hatten die Meldung ungeprüft weiterverbreitet. Die Bauern erklären dagegen, daß es in der Nacht von Samstag auf Sonntag nahe des Dorfes zu Gefechten zwischen Armee und der kurdischen Guerilla PKK kam. Bei den neun Toten - so die Dorfbewohner - handelt es sich in der Mehrzahl um unbewaffnete Bauern. „Wir waren Sonntag morgen zum Gemüseverkauf nach Silopi unterwegs“, berichtet Cemal Beyan, dessen Sohn unter den Toten ist. „Anti-Guerilla -Einheiten nahmen meinen Sohn und weitere fünf Jugendlich mit. Kurze Zeit darauf hörten wir Schüsse. 'Drei hatten wir. Mit diesen sechs sind es neun‘, sprach der Offizier in sein Funkgerät.“ In den Abendnachrichten des türkischen Fernsehen wurde Cemal Beyans Sohn Sadun, wie die übrigen mitgenommenen fünf Dorfbewohner als „PKK-Terroristen, die während der Kämfpe getötet wurden“, präsentiert.

Zur Beerdigung der Toten kamen rund 2.000 Menschen vor der Moschee in Silopi zusammen. Die Bauern aus Dereboyu verlangten, mit dem Landrat zu sprechen. Sie fordern eine Autopsie. Alle sechs Toten sollen aus nächster Nähe durch Schüsse in den Rücken getötet worden sein. Die Gruppe, die vor das Landratsamt zog, skandierte Parolen: „Die Mörder unserer Kinder müssen bestraft werden.“ „Wir wollen Gerechtigkeit“, „Nieder mit dem Faschismus“. Aus umliegenden Gassen wurden Steine gegen Behördensitze geschleudert. Es kam zu Dutzenden Verletzten. Die Lokalkorrespondenten der türkischen Tageszeitungen, die sich vor Ort befanden, wurden festgenommen. Sämtliches Fotomaterial wurde beschlagnahmt. „Wir konnten nach den Bajonetthieben nicht mehr gehen“, berichtet der Korrespondent der türkischen Tageszeitung 'Milliyet‘, Namik Durukan. Der Korrespondent der auflagenstärksten türkischen Tageszeitung 'Hürriyet‘, Faruk Balikoi, wurde verletzt, nachdem sich die Anti-Guerilla -Einheiten mit Bajonetten und Gewehrkolben auf ihn gestürzt hatten.

Die Parlamentarierdelegation der „Sozialdemokratischen Volkspartei“, die die Vorfälle in dem Dorf Dereboyu aufklären soll, ist unterdessen in Silopi eingetroffen. „Im Osten sind Todeskommandos unterwegs. Jeden Tag werden irgendwelche Leichen gefunden“, sagt der Abgeordnete Ekmen. Der Abgeordnete Murat Sökmenoglu von der konservativen „Partei des Rechten Weges“ hat wegen der Todesfälle unter den Bauern aus Dereboyu eine parlamentarische Anfrage an Ministerpräsident Özal gerichtet. „Es sind Verwandte von mir unter den Toten“, erklärte der Abgeordnete Kemal Birlik von der regierenden Mutterlandspartei. Auch sechs Abgeordnete der Mutterlandspartei wollen die Region bereisen, um den Anschuldigungen gegen die türkische Armee nachzugehen.

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