: Zum Sitzen nicht geboren
■ Balans - Stühle im Expertenstreit / Auch beim Sitzen gilt das Gebot der Vielfalt
Der Mensch ist eigentlich nicht zum Sitzen geschaffen. Trotzdem bringt er einen großen Teil seiner Zeit in dieser für den Körper unbequemen und belastenden Position zu. Haltungsschäden und die sogenannte „Sitzkrankheit“ mit Gelenk- und Gliederschmerzen sind die Folge. Etwa 16 Millionen Menschen arbeiten heute in gleicher Sitzhaltung am Bildschirm oder anderswo, über Stunden..
Orthopäden und Hersteller haben sich deshalb in den letzten Jahren mit Möglichkeiten beschäftigt, das Sitzen aktiver und dynamischer zu gestalten. In Norwegen führte das zur Konzeption des Balans-Stuhles, auf dem man eine unkonventionelle Sitzposi
tion einnehmen kann: Die Idee dieser Sitzmöbel ist eine schräge Sitzfläche und Schienbeinstützen, auf denen die Unterschenkel abgestützt werden können.
Noch streiten sich Experten, ob Balans Haltungsschäden vermeiden kann. Kritiker warnen vor möglichen Durchblutungsstörungen und Versteifungen der Kniegelenke. Die Herstellerfirma und die Gemeinde der Balans-Befürworter meinen, Balans entlaste die Wirbelsäule, bringe sie in eine natürliche Position und balanciere den Körper anatomisch aus.
Wegen der Zweifel an diesem Sitzkonzept rät die Verbraucherzentrale in ihrem telephonischen
Ansagedienst in dieser Woche, sich vor dem Kauf eines dieser Stühle eingehend vom Orthopäden und im Fachgeschäft beraten zu lassen. Das hat die taz getan - von 14 befragten Ärzten konnten jedoch nur zwei eine Auskunft zu diesem Thema geben. Viele der Orthopäden kannten die Balansstühle nicht einmal.
Die Bremer Orthopäden und Chirotherapeuten Dr. Bäumer und Dr. Eggert beantworteten die Frage, ob die Balansstühle empfehlenswert seien, einhellig mit einem deutlichen JEIN. Die Stühle könne man nicht generell empfehlen, da ihre wohltuende Wirkung abhängig sei von individuellen Voraussetzungen wie Al
ter, Konstitution und Körperbau. Dr. Bäumer empfiehlt vor dem Kauf eines solchen Stuhles eine genaue Funktionsanalyse beim Orthopäden.
„Der Stuhl ist eine gute Ergänzung, wenn man sich das leisten kann und den Platz dafür hat,“ meint auch Dr. Eggert. Ebenso wie Dr. Bäumer empfiehlt er den Stuhl aber nicht als Alternative, als einziges Sitzmöbel, sondern jeweils nur für einige Stunden zwischendurch. Sonst müsse die Wirbelsäule beim langen Sitzen ohne Lehne zu viel anstrengende Haltearbeit leisten.
Gunter Teich vom Möbelgeschäft „Treibholz“ dagegen empfiehlt Balans als ausschließliches
Sitzmöbel. Die Argumente von Balans-Gegnern läßt er nicht gelten: „Man soll ja auch nicht stundenlang in der gleichen Haltung auf dem Stuhl sitzen, sondern die Position immer wieder ändern. Dann können auch keine Schäden auftreten.“ Der Balans-Stuhl sei so konzipiert, daß die Sitzposition durch Gewichtsverlagerung immer wieder neu bestimmt werden kann - sklavisch starre Haltung wie auf den Werbephotos ist also weder erwünscht noch empfehlenswert. „Die Stühle kosten zwar um 500 Mark, doch wir geben auch fünf Jahre Garantie, und wer mit ihnen nicht zurechtkommt, kann sie zurückgeben.“
Gesche Tebben
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen