: Für Raucher fehlen die Signale vor dem Infarkt
■ Wer Marathon läuft, sollte gesund sein / In Berlin wird erstmals ein medizinisches Begleitprogramm geboten
Leichen pflastern den Weg des Marathonlaufes. Bereits der griechische Bote und Protagonist dieses Klassikers brach 490 v.u.Z. tot zusammen, nachdem er von Marathon ins 42 Kilometer entfernte Athen geeilt war, um den Sieg des Miltiades über die Perser zu verkünden. 1986 kollabierte in Berlin ein Läufer kurz vor dem Ziel tödlich, im Vorjahr blieben im norwegischen Dramen (!) gleich zwei Läufer auf der Strecke.
Alle genannten Opfer liefen volles Risiko: Der hellenische Sendbote rannte „trocken“, also ohne unterwegs Flüssigkeit zu sich zu nehmen; der Berliner marschierte schneller, als es der Arzt erlaubte, und die beiden Toten aus dem hohen Norden waren offensichtlich untrainierte Hasardeure.
Vorfälle wie diese bringen derartige Veranstaltungen in Verruf und diskreditieren die gesamte Fitneßwelle. „Der Marathon gerät immer wieder in die Kritik“, weiß Willi Heepe, Arzt und sportmedizinischer Koordinator des Berlin -Marathons: „Die Leute fragen sich, ist das gesund, wenn 16.000 Menschen Marathon laufen?“
Zwar erwähnt Heepe, ein passionierter Selbst-Läufer, immer wieder die statistische Kleinstadt mit ebenbürtiger Einwohnerzahl, wo tagtäglich ja auch ein Mensch zu Grabe getragen werden müsse. Doch zufrieden stellt ihn das Rechenexempel keineswegs: „Tote im Breitensport“, meint er, „sind zu verhindern. Wir werden uns ab diesem Jahr sportmedizinische Themen vorknöpfen!“
Für 1989 lautet es „Arteriosklerose und Sport“. Jeder vierte Bundesbürger, schätzen Experten, trägt die potentiellen Anlagen für diese Fettstoffwechselstörung in sich. Doch es gibt noch einen weiteren Grund, weshalb die Thematik jetzt aufgegriffen worden ist. „Dieses Jahr“, so Heepe, „bedeutet einen Wendepunkt in der Medizin. 95 Prozent aller Fettstoffwechselkrankheiten und -störungen können erfolgreich behandelt werden.“ Und da der Ausdauersport erwiesenermaßen das „probateste, beste und billigste Medikament“ gegen Arteriosklerose darstelle, greift der Arzt zum Superlativ: „Das Ganze ist eines der interessantesten Unterfangen, die es bisher gegeben hat.“
Profitieren sollen davon die immerhin 16.000 StarterInnen, die sich wieder zum beliebtesten deutschen Straßenlauf gemeldet haben. Darunter nehmen etwa 4.000 Neulinge die gewaltige Strecke zum ersten Mal in Augenschein. Zu ihnen zählen Filmemacher Wim Wenders, aber auch Thomas Wessinghage, der frühere Europameister über 5.000 Meter.
Dieser rennenden Armada bietet der Veranstalter SC Charlottenburg einen kostenlosen Service an: Alle Teilnehmer können sich an den drei Tagen vor dem Start Blut abnehmen lassen und erhalten ihre Werte mit der Urkunde zugeschickt; auch EKGs können gemacht werden.
„Die Sportmedizin wird immer wichtiger, weil sich stets neue Gruppen dem Marathonlauf öffnen“, weiß Cheforganisator Horst Milde um die Dringlichkeit solcher Maßnahmen. Gleichzeitig kritisiert er die „medizinischen Institutionen“: „Es wird nichts getan, außer wenn einer seine Doktorarbeit schreibt.“
Umdenken ist auch für Dr.Heepe das Gebot der Stunde: „Wir geraten in eine Laufgeneration hinein, die uns Sorgen macht. Mir graut immer, wenn Leute Marathon laufen, die noch nie einen Sportarzt gesehen haben. Leute, die weder ihren Blutdruck noch ihren Blutfettwert kennen.“ Er beschreibt sein „Feindbild“ sehr genau: Es sind jene zwischen 35 und 45 Jahren, die bis dato ungesund gelebt haben und sich nun urplötzlich entschließen, etwas für ihre Gesundheit zu tun. „Die Versteckten, die nicht wissen, daß sie krank sind. Raucher, deren Herzkranzgefäße sich schon verändert haben. Durch das Rauchen ist ihre Feinnervigkeit bereits dahin. Die bekommen vor dem Infarkt keine Signale mehr.“
Kurioserweise scheinen aber weder die AOK noch der Ersatzkassen-Verband mit dem SC Charlottenburg kooperieren zu wollen. Letztlich übernahm ein Pharma-Konzern die Kosten für die anberaumten Untersuchungen in Höhe von 60.000 Mark. Den LäuferInnen soll der Start beim diesjährigen Marathon jedoch nicht vermiest werden. Es sei denn, Wille Heepe ist zum handeln verpflichtet: „Bei exorbitant hohen Blutfettwerten nehme ich mit das Recht heraus, denjenigen vor dem Start zu mir zu bitten.“
Jürgen Schulz
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