: Nicht religiös bedingt-betr.: "Die Nation als Haus und als Kino", taz vom 7.9.89
betr.: „Die Nation als Haus und als Kino“, taz vom 7.9.89
Zu den Beiträgen von B. Kerneck möchte ich Euch gratulieren, die dazu gehörigen Kästen sind allerdings zum Teil peinlich, da es den Autoren nicht einmal gelungen ist, Handbuchwissen richtig wiederzugeben. (...)
Die Abchasen sind kein „kartwelischer Stamm“ (Protest, Protest!), wie ihr fälschlich behauptet, sondern bilden gemeinsam mit den Tscherkessen, Tschetschenen u.a. die sogenannte nordwestkaukasische Sprachgruppe. Sprachlich haben sie absolut nichts mit dem Georgischen zu tun, und folglich ist der Kampf der Abchasen um größere Selbstbestimmung, Sprach- und Kulturautonomie auch keine „Stammesfehde“ (was für eine hoffentlich unbewußte eurozentristische Arroganz ist Euch da unterlaufen, operiert vorsichtiger mit Begriffen wie „Stämmen“).
Zweitens stimmt nicht, daß die Abchasen „Kartwelier islamischen Glaubens“ seien; Kartwelier sowieso nicht, und Muslime nur teilweise. Das Christentum wurde in Abchasien direkt von Byzanz übernommen und in der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts zur Staatsreligion erhoben; bis heute verehren die Abchasen ihre altehrwürdigen Sakraldenkmäler, wie etwa als Nationalheiligtum die Kirche von Lychny. Die abchasischen Küsten waren allerdings seit dem 16.Jahrhundert immer wieder osmanisch-türkischen Angriffen und Einfällen ausgesetzt, und in ihrer Folge kam es zur Islamisierung eines Teils der abchasischen Bevölkerung.
Ein Großteil von ihnen schloß sich ab Mitte des 19.Jahrhunderts jenen tscherkessischen und tschetschenischen EmigrantInnen an, die nach der russischen Eroberung des Nordkaukasus lieber zu ihren osmanischen Glaubensbrüdern/schwestern auswandern, als sich von den Russen an die Küsten und in die Ebenen zwangsumsiedeln lassen wollten. Geblieben sind in Abchasien gerade die christlichen Bevölkerungsteile.
Doch im Unterschied zu der westlichen Klischeevorstellung vom primär religiös bedingten Konflikt zwischen Abchasen und Georgiern, Armeniern und Aiserbaidschanern geht es in sämtlichen Fällen um ganz andere Dinge, nämlich Fragen nationaler Selbstbestimmung, Volksgruppen- und Minderheitenrechte.
Tessa Hofmann, Berlin 41
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