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Abschied vom Männermachttraum Revolution

Kongreß „Frauen-Literatur-Revolution“: Feministinnen wollen Evolution statt Revolution / Nur ein Vortrag von Ingrid Strobl setzt einen Kontrapunkt zur allgemeinen Beschwörung der friedfertigen Frau / Welche Angst haben Frauen vor der Gewalt der Frauen?  ■  Von Conni Filter

Auch wenn es nur Windelstoff war (gestiftet von der Firma Windel aus Windelsbleiche), der an dem grauen Betonturm der Paderborner Uni flatterte, so provozierte er doch. Denn auf dem unschuldig weißen Tuch prangte in dicken roten Lettern das Wort „Revolution“, und das hat in Paderborn kaum jemand gerne so direkt vor Augen. Trotzdem: In der vergangenen Woche wurden die braven PaderstädterInnen vier Tage lang damit konfrontiert - und dann auch noch von Frauen. Rund 350 Wissenschaftlerinnen und Nichtwissenschaftlerinnen aus Ost und West kamen in der ostwestfälischen Bischofsstadt zusammen, um sich mit dem Thema Frauen-Literatur -Revolution zu befassen.

Zwar dürfen Frauen in Paderborn inzwischen sogar „Ehrenunteroffiziere“ im Verein der Schützen werden, zwar wagt es eine Paderbornerin (Gertrud Höhler), im einsamen Alleingang auch an den härtesten Männerbastionen (die Vorstandsetagen von Volkswagen und Deutscher Bank) zu knabbern, aber eine Frauenrevolution gab es noch nicht in Paderborn. Allerdings eine Revolte. Und die brach 1984 los, als die Berufungskommission, die über die Besetzung einer C -3-Stelle im Fachbereich Literaturwissenschaft zu bestimmen hatte, sich weigerte, eine qualifizierte Germanistin in die engere Wahl zu ziehen. Auf der Dreier-Vorschlagsliste, die zum Wissenschaftsministerium in Düsseldorf ging, standen nur Männer. Das trieb im „feministischen Niemandsland Paderborn“ ('Emma‘) Frauen aus der Universität wie aus der Stadt auf die Barrikaden, und sie kämpften so lange, bis NRW -Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD) der Männer-Uni Paderborn (Schwerpunkte Informatik und Ingenieurwissenschaften) einen Lehrstuhl für feministische Literaturwissenschaft bescherte. Und auf dem sitzt die Bremerin Helga Grubitzsch, die den PaderbornerInnen den Revolutionskongreß einbrockte, die vierte Tagung der Frauen in der Literaturwissenschaft.

Eine Revolution allerdings löste die nicht aus. Auch wenn es draußen manchmal anders schien (so wurde das Konterfrei Rosa Luxemburgs überlebensgroß an die Fassade der christdemokratischen Stadtverwaltung projiziert), drinnen in der Uni ging es eher friedlich zu. So friedlich, daß der Berichterstatter des 'Westfälischen Volksblatts‘ seine LeserInnen mit den Worten beruhigte: „Man nahm unter den in Paderborn versammelten Frauen schon am ersten Tag Abschied von der Revolution - bürgerliche wie sozialistische Umsturzversuche fanden zum Auftakt der Tagung wenig Fürsprecherinnen (...) Eher schon zeigte man sich geneigt, das 'Heil‘ der Frau in langsamen evolutionären Schritten zu suchen.“ Bunter Reigen der Forschung

Richtig gestritten wurde erst am Schluß. Die sieben Arbeitsschwerpunkte, in denen in zweieinhalb Tagen mehr als 60 Referate zu so unterschiedlichen Themen wie Die Androgynitätskonzeption Friedrich Schlegels und Schreibende Frauen in China vorgetragen wurden, ließen für Auseinandersetzungen kaum Zeit. Und Helga Kirchner vom WDR, eine der als Kongreßbeobachterinnen eingeladenen Journalistinnen, zeigte sich am Ende zwar „beeindruckt von dem Reigen dessen, was hier an Forschung präsentiert wurde“, fragte sich aber auch: „Wie sind wir mit dem Reichtum umgegangen?“, bemängelt, daß die Vorträge zum Teil „unverbunden nebeneinander“ gestanden hätten.

Dabei hatte Gastgeberin Helga Grubitzsch gleich am Anfang die Unverbundenes bindende Frage an die Geschichte (und an die Wissenschaftlerinnen) gestellt: „Kann die französische Revolution vom Standpunkt der Frauenbewegung aus überhaupt als Revolution bezeichnet werden?“ (Schon mal was von historischem Materialismus gehört, Gnädigste? d.Säzzerin) Und: „Ist der Revolutionsbegriff für uns brauchbar, oder brauchen wir andere Befreiungsutopien?“

Die sechs Wissenschaftlerinnen, die auf dem Eröffnungspodium saßen, waren sich weitgehend einig, daß „die Geschlechterfrage in Revolutionen nicht gelöst werden kann“ (Carola Lipp). Einig waren sie sich auch in der Ablehnung der „Blutrünstigkeit der Revolutionäre“ und des Mittels der Gewalt auf dem Weg zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse. Welche Wege sie beschreiten wollen und wohin die führen sollen, konnten alle nicht konkret benennen. Der Staat als „größter Patriarch“

Maria Mies (Professorin aus Köln und profilierte Forscherin zu Frauen, Arbeit und Ökologie) zum Beispiel hält es für falsch, „Revolutionen nachzuholen“, also die den Frauen vorenthaltenen Menschenrechte im nachhinein zu reklamieren. Wie sie es überhaupt für falsch hält, den Staat - „den größten Patriarchen“ - in die Pflicht und „den Mann zum Maßstab“ zu nehmen. Ihre Utopie: eine Gesellschaft von Selbstversorgerinnen, von Fischerinnen und Bäuerinnen. Und der Weg dahin: Konsumverzicht. (Gehen Sie zurück nach Indien, da können Sie Ihren Illusionen nachhängen, d.Säzzerin)

Auf den Kampf um Frauenrechte will Adrienne Goehler, frisch gekürte Präsidentin der HDK Hamburg, nicht verzichten, aber auf Revolutionen, Gewalt und die „Adaption des männlichen Geschlechts“. Die Völkerkundlerin Lydia Sklevicky aus Jugoslawien setzt auf die „die Kontinuität von unabhängigen Frauenbewegungen“ (Wohl alter übertragener Salat aus jugoslawischer Geschichte, wie? die wiederum nicht wohlmeinende Säzzerin), da die Geschichte immer wieder zeige, daß hinter allen Revolutionen „ein radikaler Wille zur Macht“ stecke: „Feministinnen aber haben einen radikalen Willen zur Gleichheit, und das paßt nicht zusammen.“ Eine „Lanze für die Verhaltensspielräume“ und „Nischen“, die „uns Revolutionen schaffen“, brachen lediglich die Völkerkundlerin Carola Lipp und die Literaturwissenschaftlerin Inge Stephan, obwohl sie auch für eine „Politik der Gewaltfreiheit“ und der „kleinen Schrite “ plädierten.

„Kleine Schritte“ machten die 10.000 Pariserinnen gewiß nicht, die im Oktober nach Versailles zogen, um den König nach Paris zu holen. Sie waren nicht Anhängerinnen einer „Politik der Gewaltfreiheit“. Sie hatten für sich eine „Nische“ entdeckt und sich bewaffnet: mit Schrubbern und Besen, aber auch mit Gewehren und Kanonen. Diese Frauen waren nicht Thema der Podiumsdiskussion, die die Tagung eröffnete. Auch nicht die 304 Revolutionärinnen, die 1792 mit einer Petition um die Frauenbewaffnung baten. Ebenfalls nicht die „Gesellschaft der revolutionären Republikanerinnen“, die die Aufstellung von Frauenbataillonen forderte.

Die Frauen im Saal rüttelten nicht am Bild von der friedfertigen Frau, das so einhellig beschworen wurde und an dem mancher bürgerliche Revolutionär vor 200 Jahren seine helle Freude gehabt hätte. Zum Beispiel der Abgeordnete Dehaussy-Robecourt, der dem Konvent empfahl, die Petition der 304 abzulehnen: „Sie (die Natur) hat die Frau ganz und gar nicht dafür geschaffen zu töten; ihre sanften Hände sind weder dafür gemacht, um mit dem Eisen umzugehen, noch, um menschenmordende Bajonette zu handhaben.“ Mit Besen und Kanonen

„Die Frau, die sich dem Feind mit der Waffe in der Hand stellte, ist ganz und gar im Dschungel der Geschichte verschwunden.“ Dieser Satz wurde 200 Jahre nach Dehaussy -Robecourts Rede zu Papier gebracht - von Ingrid Strobl, die ihren Vortrag über Frauen im bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Besatzung und „Endlösung„ nicht selbst halten konnte, weil sie den von Helga Grubitzsch beantragten Hafturlaub nicht bewilligt bekam.

Strobl hat sich, bevor sie eingesperrt wurde, auf die Suche nach diesen aus der Geschichte getilgten Frauen gemacht und zum Beispiel Emilia Landau gefunden, die 1942 im Warschauer Ghetto die erste Handgranate warf „und damit das Zeichen zum Aufstand“ gab. „Die Realität des Widerstands von Frauen sah anders aus, als Historiker wahrhaben wollen, aber auch die Frauen selbst“, sagt Strobl in ihrem von Helga Grubitzsch verlesenen Vortrag. Frische Brise und

Vorwurf des „Muttermordes“

Die Widerstandskämpferinnen gegen den Hitler-Faschismus wurden laut Strobl von der Geschichtsschreibung - und das betrifft die traditionelle wie die feministische - meist als die, die „pflegten, versorgten, unterstützten“ vorgestellt. Und sogar die Kämpferinnen selbst, so Strobl, wagen es heute häufig nicht mehr, zuzugeben, wie sie mit ihrer anerzogenen Rolle radikal gebrochen und auf Menschen geschossen haben. Sie wagen es nicht, weil sie nicht als „Huren, Mannweiber und Bestien“ beschimpft werden wollen - wie die Revolutionärinnen vor 200 Jahren.

Die Zuhörerinnen, die am ersten Tag die friedfertige Frau diskussionlos hingenommen hatten, nahmen auch am dritten die Frau mit der Waffe in der Hand hin, ohne sich damit auseinanderzusetzen. Erst am letzten Tag wehte eine frische Brise, störte eine Gruppe von Studentinnen die Harmonie. Die jungen Frauen kritisierten, daß über den Strobl-Vortrag nicht diskutiert worden sei, wollten sich mit dem „zu schnellen Abschied von Revolution und feministischen Grundsätzen“ nicht abfinden, hatten in den Arbeitsgruppen „eine konkurrente Atmosphäre“ diagnostiziert, rieben sich an der „Wissenschaftssprache“ und befürchteten, daß die „klassische patriarchale Trennung zwischen Lehrenden und Lernenden“, die die Frauenforschung einmal aufheben wollte, wieder klafft.

Der Aufstand der Töchter brachte ihnen den Vowurf des „Muttermordes“ ein. Aber wer seine Mutter kritisiert, tötet sie nicht gleich, und eine der Frauenforscherinnen der „Mütter-Generation“ stellte sich dann auch die selbstkristische Frage: „Was ist mit uns passiert? Haben wir die Inhalte zu den Akten gelegt?“ Und zog das Fazit: „Wir müssen wieder in die politische Offensive kommen, die dann auch eine theoretische sein kann“.

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