: Verbrechen gegen den Geist
■ Kurze Geschichte des intellektuellen Dissens‘ in Rumänien
Dennis Deletant
Gestern wurde in der taz über den „Appell der Front zur Rettung der Nation“ berichtet, den innerparteiliche Oppositionelle der rumänischen KP an den Parteitag im November gerichtet haben. Die anonymen Verfasser fordern darin eine offene Diskussion der katastrophalen Situation. Offene Briefe an Ceausescu, vor allem von Schriftstellern, Journalisten und Wissenschafltern hat es in jüngster Zeit viele gegeben. Dennis Deletant rekapituliert die Geschichte dieser Briefe.
Es gibt Anzeichen dafür, daß sich das rumänische Regime zunehmend verunsichert fühlt von der intellektuellen Opposition, die sich immer häufiger Gehör verschafft. Auf die Flut offener Briefe an Präsident Nikolae Ceausescu reagiert es mit harten Maßnahmen gegen die Briefschreiber und ihre Familien. Bis zum Sommer vorigen Jahres war Ceausescus Politik am schärfsten kritisiert worden durch Tausende von Arbeitern in Rasow, die am 15.November 1987, anläßlich einer Demonstration gegen eingeschränkte Heizungsquoten, die Einführung der Siebentage-(Arbeits -)Woche und eine chronisch schlechte Lebensmittelversorgung, das regionale Parteibüro zerstört hatten. Der intellektuelle Dissens hatte sich bis Anfang dieses Jahres auf eine kleine Zahl isolierter Protestbriefe von Doina Cornea beschränkt, der 63jährigen Dozentin der Cluj-Universität, die am 15.September 1983 entlassen worden war. Doina Cornea schrieb im Januar 1984 einen Brief an den Präsidenten ihrer früheren Universität und protestierte hierin gegen die schwerwiegenden Einschränkungen der akademischen Freiheit durch die Behörden; ein weiterer Brief ging später an Präsident Ceausescu, in dem sie politische, ökonomische und soziale Reformen forderte. Im August vorigen Jahres nun verbündeten sich acht weitere Personen, darunter drei Arbeiter, mit ihrem Protest gegen die Pläne des Präsidenten, Rumäniens Dörfer zu „systematisieren“, was nichts anderes bedeutet, als die Hälfte aller Dörfer (über 13.000) zu zerstören. Dieser Brief markiert ein wichtiges Ereignis das in Rumänien so seltene Beispiel eines gemeinsamen Protests von Arbeitern und Intellektuellen. Im darauffolgenden Monat appellierte Doina Cornea zusammen mit sechs anderen Mitgliedern der Katholischen Ost-Kirche an Papst Johannes Paul II., diese Kirche, die 1948 von den Kommunisten aufgelöst worden war, wieder einzusetzen.
Die wachsende Entfremdung von Ceausescu, selbst in höchsten politischen Kreisen, wurde im März dieses Jahres sichtbar, als ein offener Brief an den Präsidenten in der Öffentlichkeit erschien; unterschrieben war er von sechs Veteranen der Partei, unter ihnen Professor Silviu Brucan, früherer Herausgeber der Parteizeitung 'Scinteia‘ und Botschafter Rumäniens in den USA und bei den Vereinten Nationen. Zwei weitere Unterschriften, von Constantin Pirvulesco und Gheorghe Apostol, stammten von früheren Inhabern hoher Stellungen; Pirvulescu war in den späten Vierzigern Vorsitzender der Partei und Apostol zwischen 1954 und 1955 ihr Erster Sekretär gewesen. Die vierte Unterschrift leistete Corneliu Manescu, von 1961 bis 1972 Außenminister und Präsident der UNO-Generalversammlung zwischen 1967 und 1968.
Es war dies nicht das erste Mal, daß Pirvulesco und Manescu gegen Ceausescus Politik protestierten. Auf dem zwölften Parteitag 1979 hatte Pirvulesu - damals 84jährig - den Generalsekretär beschuldigt, persönliche Interessen über die des Landes zu stellen, und erklärt, er werde nicht für seine Wiederwahl stimmen. Brucan hatte nach den Novemberunruhen von Brasow 1987 das offizielle Schweigen über die Ereignisse dort gebrochen und die Forderungen der Demonstranten unterstützt, indem er erklärte, die Klagen der Arbeiter seien berechtigt. Seine damalige Erklärung war in diesem Land, in dem eine politische Opposition nicht existiert, ohne Beispiel.
Mit einem Manöver, das ganz offensichtlich der gegen den Präsidenten gerichteten Kritik in diesem Brief den Stachel ziehen sollte, enthüllte Radio Bukarest am 14. März dieses Jahres, daß Mirceu Raceanu bereits im Januar verhaftet worden sei - und zwar wegen „Verkehrs mit ausländischen Elementen“ - und daß ihm, „nach Untersuchungen, die zur Zeit noch nicht abgeschlossen sind, wegen Spionage der Prozeß gemacht wird“. Mirceu Raceanu ist stellvertretender Direktor im Außenministerium und der Sohn von Gregor (Ion) Raceanu, einem weiteren Unterzeichner des Veteranenbriefes.
Die Entlassung des jungen rumänischen Dichters Mircea Dinescu aus der Redaktion der Wochenzeitung der Schriftstellergewerkschaft, Romania literara, die ebenfalls am 14.März erfolgte, beweist einmal mehr die Unerbittlichkeit des Regimes in Sicherheitsfragen. Im Herbst '88 war Dinescu auf Einladung der sowjetischen Schriftstellergewerkschaft in die UdSSR gereist und hatte in sowjetischen Medien seine Unterstützung für Glasnost und Perestroika bekundet. Nach seiner Rückkehr wurde er sofort unter Bewachung gestellt und das Manuskript seines jüngsten Lyrikbandes, Der Tod liest Zeitung, (siehe das Gedicht 'Tanz') zensiert. Eine amtliche Einladung zur Entschuldigung für den „verleumderischen“ Charakter seiner Gedichte schlug er aus; statt dessen schrieb er einen offenen Brief an Dumitro Radu Popescu, den Präsidenten des rumänischen Schriftstellerverbandes, in dem er heftige Kritik übte an den Arbeitsbedingungen der Schriftsteller, an der herrschenden Zensur und der Lähmung der Schriftstellergewerkschaft selbst, deren Verwaltungsrat sich nicht versammeln darf. Sie sei inzwischen eine unautorisierte Körperschaft, da Wahlen seit nunmehr drei Jahren untersagt sind.
Gleichzeitig gab Dinescu der Pariser Tageszeitung 'Liberation‘ ein Interview, in dem er die Behandlung des Volkes durch das Regime als geistige Entmündigung bezeichnete. Am Erscheinungstag dieses Interviews, dem 17.März, wurde Dinescu unter Hausarrest gestellt. Erst nach mehreren Monaten durfte er das Haus wieder verlassen; ihm und seiner Frau folgen seitdem jedoch Polizisten, wo immer sie hingehen. Kürzlich hinderte man sie an einer Urlaubsreise zum Schwarzen Meer. Ebenso wie Doina Cornea erhielten auch Dinescu und seine Eltern sogenannte „schwarze Briefe“, also Drohbriefe mit Trauerrand und ohne Unterschrift. In seinem Brief an den Präsidenten der Schriftstellergewerkschaft, den er unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Redaktion schrieb, attackierte Dinescu den Adressaten auch persönlich und beschuldigte ihn des mangelnden Einsatzes für Schriftsteller: „Vermutlich haben Sie, Herr Präsident, vergessen, daß auch Sie Schriftsteller sind, und daß wir gemeinsam vom Brot der Freiheit essen sollten, das Sie mir jetzt verweigern durch den Rausschmiß in die Arbeitslosigkeit.“
Nach Angaben des Lyrikers ist ihm als Grund für die Entlassung angekreidet worden, er habe „unautorisierte Besuche von Diplomaten und Journalisten sozialistischer und kapitalistischer Länder“ empfangen. Daß hier auch von „sozialistischen Ländern“ die Rede ist, zeigt das Ausmaß der Isolation an, in die sich das Regime begeben hat und auch die Entschiedenheit, mit der es Kontakte zwischen Rumänen und Ausländern jeglicher Nationalität zu unterbinden versucht. Diese Politik wurde erstmals amtlich, als ein Präsidentenerlaß im Dezember 1985 vorschrieb, Gespräche mit Ausländern müßten gemeldet werden. Nichtangemeldete Gespräche wurden damit strafbar. Die Gesetzmäßigkeit dieses Dekrets, das nie veröffentlicht wurde, stellten Brucan und die Leute um ihn herum in Frage.
Am 17.März 1989 folgte daraufhin die Veröffentlichung eines Leitkommentars in der Parteizeitung 'Scinteia‘, in dem die Notwendigkeit, Staatsgeheimnisse zu wahren, betont wurde, besonders jetzt, da „reaktionäre Kreise die Versuche nicht aufgeben, feindselige, antisozialistische und antirumänische Positionen zu verbreiten“. In ihrem offensichtlichen Versuch, die Notwendigkeit des Präsidentenerlasses zu legitimieren, verkündete die Zeitung, daß „das unwürdige Verhalten mancher Personen im Kontakt mit Repräsentanten anderer Staaten maches Mal aus scheinbar harmlosen Eigenheiten und Fehlern entsteht, wie etwa durch Angeberei und Geschwätzigkeit, die Verräter, Spione, Landesfeinde und Feinde des Sozialismus zuerst heraufbeschwören und sich dann zunutze machen“.
Sieben Schriftsteller haben Dinescu ihre Unterstützung zugesichert: Geo Bogza, Prosa-Dichter und sozialistischer Veteran; Stefan Augustin Doinas, Lyriker; Dan Haulica, Redakteur der monatlich erscheinenden Kulturzeitschrift 'Secolul 20'; Octavian Paler, Kritiker, und die drei Essayisten Andrei Plasu, Alexandru Paleologu und Mihai Sora. In einem Brief an den Präsidenten der Schriftstellergewerkschaft äußern die sieben ihr Bedauern darüber, „daß die zeitgenössische rumänische Literatur in Gestalt ihres besten Vertreters in Frage gestellt werden soll“ und fordern dazu auf, daß „alles irgend Mögliche getan wird, um diese Ungerechtigkeit zurückzunehmen und einen Fehler wiedergutzumachen, dessen moralische, berufliche und menschliche Folgen verheerend sind“.
Obwohl die Briefschreiber darauf achteten, daß dieser Brief nicht im Ausland verteilt wird und damit die rumänischen Behörden provoziert, wurde ihnen sofort jegliche Arbeit unmöglich gemacht. Plesu, der mit Dinescu eng befreundet ist, verlor seine Stellung als Kunsthistoriker mit der Begründung, die Stelle sei aufgelöst worden. Er wurde angewiesen, nach Bacau, einer Kleinstadt 200 Kilometer nordwestlich von Bukarest zu ziehen oder aber arbeitslos zu bleiben und damit das Risiko einzugehen, als „Parasit“ vor Gericht gestellt zu werden. Für eine solche Maßnahme gibt es im rumänischen Gesetz keine Handhabe. Am 5.April reiste Plesu nach Bacau ab, ohne von den Behörden eine Erklärung erhalten zu haben, warum er in ein „inneres Exil“ geschickt wurde, in dem die ihm zugewiesene unqualifizierte Arbeit kaum ihn selbst erhalten kann, geschweige denn seine Familie in Bukarest. Seine Frau wurde unter Bewachung gestellt und darf keine Besuche empfangen. Ende Mai wurde berichtet, daß die Maßnahmen gegen Frau Plesu aufgehoben seien. Jedoch noch im Juni erhielt Andrei Plesu die Anweisung, keinen Kontakt mit Mircea Dinescu aufzunehmen.
Die Verfolgung der Schriftsteller allgemein - und die von Dinescu und Plesu im besonderen - führte dazu, daß Doina Cornea zusammen mit sechs anderen einen weiteren offenen Brief an Ceausescu schrieb. In diesem Brief vom 9.April fordert sie ihn auf, „diese Politik der Unterdrückung zu beenden, die zerstörerischer ist als die ökonomische Katastrophe, die Sie ebenfalls zu verantworten haben. Ana Blandania, Dan Desliu, Mircea Dinesu und Andrei Plesu sind unsere Dichter. Sie sind Denker unseres ganzen Landes. Sie sind nicht Ihr persönliches Eigentum. Wie alle, die die Wahrheit achten und sie in ihrer Kunst auszudrücken suchen, sind sie Träger und Verteidiger unserer Existenz als Nation. Sie zum Schweigen zu bringen, ist ein Verbrechen gegen den Geist. Sie zu strafen, zu demütigen und ihre Arbeit unmöglich zu machen, heißt, Verrat zu begehen an den tiefsten Wurzeln und dem Sinn der Nation.“
Die hier erwähnten Lyriker Ana Blandiana und Dan Desliu sind ebenfalls Opfer der Repression durch das Regime. Im Dezember 1984, nach der Veröffentlichung von vier Gedichten in der studentischen Literaturzeitung 'Amfitreatu‘, die gegen die Mißhandlung aller Rumänen protestieren, erhielt Ana Blandiana Todesdrohungen per Telefon und durfte von da an keine Lyrik mehr veröffentlichen. Anfang des Jahres 1985 räumte man ihr eine kleine reguläre Kolumne in der Wochenzeitschrift 'Romania literara‘ ein, und im April dieses Jahres erschien eine Anthologie ihrer Gedichte. In diesem Band ist jedoch nicht eines ihrer Gedichte gedruckt, die seit dem Lyrikverbot entstanden sind, und er erschien erst, nachdem auch Ana Blandiana zum Mittel des Briefes an den Präsidenten gegriffen hatte (siehe die Anmerkung zum Gedicht von Ana Blandiana).
Dan Desliu war in den Fünfzigern ein Dichter des Sozialistischen Realismus gewesen, hatte sich dann jedoch im Zuge seines Protestes gegen Ceausescus „Kulturrevolution“ der Siebziger zu einem Verteidiger nonkonformistischer Schriftsteller innerhalb der Schriftstellergewerkschaft entwickelt. Er soll 1981 aus Protest gegen die Mißachtung der Statuten - als nämlich Dumitru Radu Popescu, der neue Präsident der Schriftstellergewerkschaft, von oben eingesetzt wurde - die Partei verlassen haben. Eine Zeitlang erschien er als Showmaster im Fernsehen, wurde jedoch 1984 entlassen, nachdem ihm einmal - in Abweichung vom Manuskript - eine kritische Anspielung auf den Regierungsstil des Präsidenten rausgerutscht war. Am 3.März dieses Jahres schrieb er einen offenen Brief an Ceausescu, in dem er erklärte, daß Rumäniens Problem „in Ihnen und Ihrem anormalen Blick auf die Realität“ liegt. Dem Sender 'Stimme Amerikas‘ erzählte er in einem Gespräch, er sei in Bukarest überfallen und verprügelt worden; die Sendung (vom 14.März) wurde durch Frequenzstörungen unterbrochen. Zwei Tage danach durchsuchte die Polizei seine Wohnung, da er angeblich mit Kaffeebohnen auf dem Schwarzmarkt handele. Am 17.März verhaftete man ihn mit der durchsichtigen Begründung, er habe in der Mensa der Schriftstellergewerkschaft einen Teller gestohlen. Nach der Freilassung in seine permanent bewachte Wohnung begann er einen Hungerstreik. Gerüchte besagen, er sei Ende April in das Bukarester Krankenhaus Nummer9 eingeliefert worden und würde dort zwangsernährt.
Die gegen sie und gegen alle ihre Verwandten, Freunde und Bekannten ergriffenen Maßnahmen beschreibt Doina Cornea selbst in ihrem Brief an den Präsidenten Ceausescu vom 15.April. Darin heißt es unter anderem: „Wie kann es denn möglich sein, daß sogar meine Nachbarin, Frau Ioana Tanu, vom Staatssicherheitsdienst verhört und vom Dekan ihrer Fakultät mit Relegation bedroht wurde, bloß weil sie mich gebeten hatte, einen Tag auf ihr Kind aufzupassen? Es wurde ihr sogar untersagt, mich noch zu grüßen; ...Und wie war es möglich, daß eine mir unbekannte, junge Frau länger als eine Stunde festgehalten und verhört wurde, bloß weil sie mir auf dem Friedhof ein Zündholz gegeben hatte, mit dem ich eine Kerze anzünden wollte? (Sie hatte keine Ahnung, wer ich bin.)“ (Ausführliche Auszüge aus diesem Brief sind zusammen mit einer Erläuterung des Exil-Schriftstellers William Totok in der taz vom 2.Mai '89 nachzulesen/d. Red.
Die von Cornea beschriebenen Maßnahmen sind ein weiteres Zeugnis dafür, wie die rumänische Regierung ihren Verpflichtungen zur Einhaltung der Menschenrechte nach der Erklärung von Helsinki nachkommt, für ihre allgegenwärtige Einmischung in das alltägliche Leben ihrer Bürger und für die Mißhandlung des rumänischen Volkes.
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