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Spezialtrupps mit bundesdeutscher Ausrüstung

■ Der Sprung nach vorn für die chinesischen Sicherheitsdienste

In den euphorischen Tagen des April und Mai konnten ausländische Journalisten in der Menge auf dem Tiananmen -Platz ab und zu auch Männer beobachten, die in aller Ruhe Notizen, Tonbandaufnahmen von Interviews und Fotos machten. Es waren keine Journalisten, denn in dieser ansteckenden Atmosphäre von Freiheit und Widerstand demonstrierten selbst die Journalisten der offiziellen Medien mit und unterstützten die Studenten. Die Aufgabe dieser Sicherheitsmänner war daher sehr simpel - übrigens versuchten sie selten, ihre Identität zu verschleiern, auch wenn viele vermutlich zusätzlich als Pressefotografen und Fernsehteams posierten.

Auf höchster Regierungsebene mag es vielleicht Verwirrung darüber gegeben haben, wie zu reagieren sei: Die Sicherheitsdienste machten methodisch weiter wie bisher und gebrauchten alle Mittel, die ihnen zur Verfügung standen, um ein möglichst umfassendes Bild von den Demonstrationen zu bekommen. Filmmaterial aus in Gebäuden und Autos fest installierten Kameras, Videobänder von Verkehrsüberwachungskameras, abgefangene Satellit -Einspeisungen nach Tokio (von ausländischen Fernsehteams): All das stand bereit, als die Niederschlagung begann, um führende Dissidenten zu identifizieren und anzuschwärzen Wuer Kaixi beispielsweise bei einem „ausschweifenden Mahl während des studentischen Hungerstreiks“ -, Version der Ereignisse zu fabrizieren, die dann immer und immer wieder im nationalen Fernsehen gezeigt wurde.

Der technisch hohe Entwicklungsstand der Sicherheitsdienste ist das Ergebnis der geballten Reformen in den letzten Jahren und muß im Zusammenhang mit der politischen und ökonomischen Liberalisierung von 1979 gesehen werden. Während die Bürokratie auf anderen Gebieten stark abgebaut worden ist, haben die Sicherheitskräfte an Größe und Wichtigkeit zugenommen. Sie unterscheiden sich jedoch ganz signifikant von den straffen Organisationen der Kulturrevolution, die Hu Yaobang 1978 bei einer Rede vor der Zentralen Parteischule offen mit der Gestapo verglichen hat.

Die Gesamtkontrolle über law and order liegt bei der Politisch-Juristischen Führungsgruppe (PLLG), die 1987 die Politisch-Juristische Kommission (PLC) abgelöst hat. Sie hat nach wie vor die Kontrolle über das Ministerium für Öffentliche Sicherheit und alle entsprechenden Organisationen, auch die Zusammensetzung mit Qiao Shi an der Spitze hat sich nicht geändert; im Unterschied zur alten Kommission jedoch ist ihre Aufgabe jetzt angeblich eher die einer Koordinations- und Aufsichtskörperschaft als einer unmittelbaren Eingriffs- und Führungsmacht. Eine Änderung, die der Trennung der Gerichtsbarkeit und Sicherheitskräfte von der Kommunistischen Partei im Kriminalrecht der frühen achtziger Jahre entsprach. Selbstverständlich zweifelten nur wenige Experten, daß die Partei ihre strikte Kontrolle der inneren Sicherheit weiterhin behält und einschreitet, wenn sie es für nötig befindet.

Führende Leute in der Partei erkannten, daß die ökonomische Liberalisierung Arbeitslosigkeit und Inflation mit sich bringen würden und fürchteten wachsende Unruhe in der Bevölkerung als Konsequenz.

Nach ihren Erfahrungen in der Kulturrevolution wollte die Führung der Volksbefreiungsarmee jedoch ein militärisches Engagement bei zivilen Unruhen vermeiden; die Armee wurde daher 1984 von Aufgaben der inneren Sicherheit entbunden und ein etwa 500.000 Mann starkes Militärkontingent einer neuen Körperschaft zugeschlagen, der neugebildeten Bewaffneten Volkspolizei. Die Aufgabe dieser neuen Bewaffneten Volkspolizei war die Niederschlagung ziviler Unruhen. Sie wurde ausgebildet und ausgerüstet als Spezial- und Eingreiftruppe sowohl für Demonstrationen als auch für größere Katastrophen-Hilfseinsätze. Polen und Österreich übernahmen Trainingsaufgaben, die USA und die Bundesrepublik Deutschland lieferten die Ausrüstung.

Die Aufsicht über die Bewaffnete Volkspolizei ist geteilt zwischen lokalen Regierungen und dem zentralen Ministerium für Öffentliche Sicherheit, vermutlich um zu verhindern, daß diese Organisation eine starke und unabhängige Identität als Institution entwickelt. Es waren diese Spezialkräfte, die 1987 und 1988 in Tibet so äußerst effektiv die Unruhen niederschlugen. Als Deng allerdings jedem seine Macht über Peking zeigen wollte, ließ er die Armee aufmarschieren; die Spezialkräfte, trainiert in der Kontrolle von Massenunruhen, hätten weniger Blut vergossen.

Ein weiterer neuer Zweig der Sicherheitskräfte ist das Ministerium für Staatssicherheit. Es wurde im Juni 1983 besonders dafür gegründet, die stark anwachsenden Beziehungen zu Ausländern - und die in China selbst ansässigen Ausländer - im Auge zu behalten; Hauptaufgabe ist also Spionage und Spionageabwehr in China und im Ausland.

Erkenntnisse über interne Kritiker werden durch verschiedene Dokumentationen an höchste Parteizirkel weitergegeben. Titel dieser Zirkulare sind: „Reaktionäre Äußerungen“, „Interne Trends“ und „Situationsbericht“. Die ersten Dokumente dieser Art, die 1987 herauskamen, enthielten Stellungnahmen unabhängiger Intellektueller (darunter von dem Journalisten Lin Binyan, dem Physiker Fang Lizhi und dem Literaturkritiker Wang Ruowang); alles Äußerungen, die in den letzten Jahren ganz offen durch die chinesischen Medien verbreitet worden waren. Das Zirkular „Interne Trends“, herausgegeben von der Nachrichtenagentur 'Neues China‘, erscheint relativ häufig. In ihm sind Slogans, Auszüge aus Reden, Interviews und Flugblättern der wichtigsten Universitäten nachgedruckt. Alle chinesischen Journalisten sind angehalten, zusätzlich zu ihren journalistischen Arbeiten auch generelle Informationen zu sammeln; die Tageszeitung von Guaming, zweitwichtigste Parteizeitung des Landes, stellt aus diesem Material wöchentlich den „Situationsbericht“ für das Sekretariat des Zentralkomitees zusammen. Zusätzlich zirkuliert das Ministerium für Öffentliche Sicherheit mindestens ein tägliches und drei wöchentliche Bulletins, deren Inhalt ähnlich aussieht wie der von „Interne Trends“ aus der Presse der Nachrichtenagentur 'Neues China‘. Diese Politik hatte jedoch in mindestens einem Fall schon das Gegenteil zur Folge, in dem des Physikers Fang Lizhi nämlich: Da seine Bemerkungen zur Parteipolitik und -ideologie scharfsinnig und obendrein noch witzig sind, scheinen die Parteimitglieder ihn um so mehr zu respektieren.

Die erstickende Propagandadecke, die sich nach der Niederschlagung am 4. Juni über das Land legte, und Details wie der Bericht über eine Schwester, die ihren Bruder der Polizei übergibt, haben den Eindruck erweckt, als seien die Sicherheitskräfte äußerst erfolgreich. Jedoch sind von den 21 am dringlichsten gesuchten Studentenführern erst sechs festgenommen worden, und zwei davon haben sich selbst gestellt. Der totalitäre Staat ist nicht allmächtig. In den ersten Stunden nach dem Massaker machten sich die Studenten das neue Selbstwähl-Telefonnetz zunutze, um die Nachricht über das ganze Land zu verbreiten; Wandzeitungen, die das Volk auffordern, nicht zu vergessen und die Wahrheit zu verbreiten, tauchen weiterhin in ganz Peking und in anderen Städten auf. Führende Dissidenten sind durch das angeblich so dicht geknüpfte Sicherheitsnetz geschlüpft und offenbar leicht aus dem Land gekommen. Die Kommunistische Partei kann die Worte, die jedes Dekret des Imperialen China beenden, offenbar doch nicht mehr so leicht durchsetzen: Zittert und gehorcht.

Caspar Henderson

Zusammenstellung von Informationen aus 'Index‘, 'New York Review of Books‘, 'Far Eastern Economic Review‘ und 'Asiaweek‘ - April bis Juli

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