: Aus der Botschaft in die Turnhalle
■ Stahmer: „Eine absolute Notsituation“ / Senat muß noch Hunderte von Schlafplätzen für Aus- und Umsiedler suchen / Gespräche mit Alliierten
Gestern abend, Flughafen Tegel, 19:40 Uhr: die erste von vier Maschinen mit DDR-Flüchtlingen aus den bundesdeutschen Botschaften in Warschau und Prag trifft ein. An Bord sind 29 Menschen, die Quartier suchen. Die Passagiere aus dem nächsten Flugzeug, ebenfalls Botschaftsflüchtlinge, haben bereits im westdeutschen Aufnahmelager zu Protokoll gegeben, daß sie privat unterkommen können.
Mit weiteren 600 bis 700 DDR-Flüchtlingen, die aus den Botschaften ausreisen durften, rechnet man im Haus der Sozialsenatorin. „Eine absolute Notsituation“ konstatierte gestern Ingrid Stahmer und kündigte die Öffnung von sieben Turnhallen für die Unterbringung an. Ab 28. Oktober habe der Senat zudem zwei Messehallen angemietet. Gestern abend stand zudem noch ein Gespräch zwischen der Senatorin und den Alliierten an, die angeboten haben, Gebäude zur Verfügung zu stellen.
Insgesamt rund 2.300 Menschen werden für diese Woche erwartet - darunter Aussiedler, Übersiedler und die sogenannten Botschaftsflüchtlinge, sowie DDR-BürgerInnen, die weiterhin über die ungarische Grenze in den Westen kommen. 26.000 waren es seit Beginn des Jahres. In der kommenden Woche rechnet man noch mit einer Steigerung in Hinblick auf den 7. Oktober, wenn die DDR ihren 40. Geburtstag feiert. Den wolle Honecker sicher ohne die Störenfriede feiern, vermutet Rita Hermanns, Sprecherin von Senatorin Stahmer.
Die Aus- und Übersiedler will man zwar weiterhin willkommen heißen, doch „politisch voll begrüßen“ kann Frau Stahmer die Situation nicht mehr. „Wir sind inzwischen in einer Situation, wo es schwierig wird, die Leute unterzubringen“, erläutert Pressesprecherin Rita Hermanns. Zwar stehen rund 22.000 Plätze in über 170 Heimen zur Verfügung, aber dazu zählten auch 2.300 in sogenannten Notunterkünften, in Containern sowie rund 800 Schlafplätze in Turnhallen. „Bisher hat es immer geklappt“, sagt Hermanns zuversichtlich, obwohl auch sie einräumen muß, daß die Unterkünfte nicht besser werden. Inzwischen sei man auch auf Einrichtungen mit 300 bis 400 Menschen in einem Gebäudekomplex angewiesen - „was wir eigentlich nie wollten“.
Eine Gruppe kann allerdings nicht einmal davon profitieren. Eine wachsende Anzahl von polnischen AussiedlerInnen gerät in die Obdachlosigkeit, solange ihr Antrag auf Deutschstämmigkeit überprüft wird. Untergebracht wird nur, wer den Status eines Aussiedlers erhält. Wer abgelehnt wird
-und das sind gegenwärtig über die Hälfte -, dem bleibt zur Zeit faktisch nichts anderes übrig, als Asyl zu beantragen und auf diese Weise ein Dach über den Kopf zu bekommen.
anb
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