piwik no script img

KLIENTENSCHMÄH

■ SFB-Coverversion der verlorenen Marx-Brothers-Radio-Show

„Radio-Show“ hieß der Programm-magnet, mit dem die großen amerikanischen Industriekonzerne während der Wirtschaftsdepression ihre Produktionskrise aufzuhalten suchten. Nachdem das Fire Chief Programm des Ölkonzerns Texaco gute Einschaltquoten verzeichnete, entschloß sich der Erzrivale Standard Oil 1932 ebenfalls zu einer Show, die an fünf Wochentagen für die einzigartigen Vorteile von Esso -Benzin werben sollte. Das leicht entflammbare Ergebnis namens Five Star Theatre sah ein täglich wechselndes, live vorgetragenes Varieteprogramm von 30 Minuten Dauer vor. Die einzige Verpflichtung gegenüber dem Sponsor bestand für die Protagonisten darin, am Ende ihrer Show den Namen des Produkts in einem selbstgestalteten Spot zu erwähnen.

Jeden Montag präsentierte sich die Hälfte eines gefeierten Film- und Bühnenkomikerkleeblatts: Groucho und Chico Marx. Mit ihrer Serie Beagle, Shyster and Beagle - Attorneys at law eröffneten sie am 28.November 1932 die neue Radio -Show. „Schnüffler, Winkeladvokat und Schnüffler“ hieß die Kanzlei eines untauglichen Rechtsanwalts (Groucho), der mit seinem inkompetenten Assistenten (Chico) jeden ihm angetragenen Fall zu Fall brachte. Dabei übten sich die beiden in unnachahmlich-marxistischer Wortakrobatik und der hohen Kunst der Klientenbeleidigung und Rechtsverdrehung. Und dafür kassierten Marx & Marx (neben den Dialogschreibern Porin und Sheeleman) 6.500 Dollar die Woche, was selbst den Wochenlohn Marlene Dietrichs übertraf.

Die Ausstrahlung der ersten Folge traf gleich ins Schwarze, da ein New Yorker Anwalt Beagle sich gegen diesen Unfug verwahrte und der NBC eine Klage androhte, falls der Titel bestehen bliebe. Die Rundfunkgesellschaft gab nach, so daß die Marx-Brothers-Radio-Show ab der vierten Folge als Flywheel, Shyster and Flywheel über den Äther ging, stets mit dem lakonischen Hinweis am Ende, daß für Esso auch noch am nächsten Montag geworben werden könne. Nach einem halben Jahr resignierte Standard Oil und gab das Sponsern auf mit der Begründung, daß die Einschaltquoten des Five Star Theatre weit unter denen der Texaco-Show geblieben seien. Die Gebrüder Marx vermuteten schlicht eine Verdoppelung der Einnahmen, gigantische Geldsummen, welche anzunehmen der Esso-Konzern sich einfach schämen müßte, und wandten sich nach diesem Rausschmiß ihrem nächsten Filmprojekt Duck Soup zu.

Flywheel, Shyster and Flywheel wurde nie aufgezeichnet und wäre längst in Vergessenheit geraten, wenn nicht kürzlich die Manuskripte der Show im Copyright Office der amerikanischen Kongreßbibliothek wiederentdeckt worden wären, so daß sie jetzt von den Hörspielabteilungen von SFB, WDR und SWF wieder neu produziert werden konnten. Den Übersetzern Harry Rowohlt und Sven Böttcher gelang dabei ausnahmsweise das Kunststück, Punching-ball-Dialoge und amerikanischen Sprachwitz nicht unter einer Decke deutscher Umständlichkeit zu ersticken. Als absolute Marx-Brothers -Fanfrau erwies sich Corinna Genest, die der Anwaltssekretärin Mrs. Dimple ihre rauchzarte Stimme lieh. Nach neunwöchiger Produktion der 25 Folgen und offensichtlich nur unter Kaffeeinfluß stehend, überbot sie bei einer Voraufführung die Stimmung jedes gut besuchten Marx-Brothers-Kino-Revivals mit ihrem schallenden Gelächter.

Barbara Schäfer

Flywheel, Shyster an Flywheel. Die Marx-Brothers-Radio-Show mit Harald Leipnitz als Groucho und Stefan Behrens als Chico vom 5.Oktober bis 9.November jeden Donnerstag um 11.30 Uhr, SFB3.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen