piwik no script img

Tender, troubled and beautiful

■ Bruce Webers Chet Baker-Film „Let's get lost“

Cannes, Filmfestspiele 1987: Chet Baker spielt mit einer kleinen Band auf einer Gala, kaum jemand hört zu, klingeling machen Gläser und Konversation, man feiert sich selbst, wer sonst sollte es auch tun? Das Stück ist aus, Chet Baker, mickrig, mergelig, hohlwangig und zerfurcht, hebt die Hand, sachte, und bittet um Ruhe für Almost Blue, „It's one of these songs, you know“, und dann singt er, zart, brüchig, hebt die Trompete, die so klingt wie seine Stimme, verloren, immer auf der Kippe. „Festivalbesucher - die Schlimmsten, für die man spielen kann“, sagt er im Anschluß an den Striptease vor Hyänen, nicht einmal bitter, eher achselzuckend.

Bruce Weber ist im Hauptberuf Modefotograf und Werbefilmer. Let's get lost heißt, nach einem Chet-Baker-Stück von 1955, sein halbdokumentarischer Film, der einiges über Chet Baker und viel über Bruce Weber verrät. In der ersten Szene, aufgenommen mit grobkörnigem Schwarzweißmaterial, läßt Weber ein Mädchen schlangenartig am Strande tanzen, ein paar Burschen tollen herum, die Ungezwungenheit vor der Kamera ist angestrengt wie in einer Zigarettenreklame.

Dem Firlefanz folgen Ausschnitte aus Konzerten und Fernsehauftritten, Interviews, Szenen aus Filmen, in denen Chet Baker mitspielte. Man sieht und hört ihn, 24jährig und schön wie James Dean, als Trompeter des Gerry-Mulligan -Quartetts, konzentriert, für sich, magnetisch. Sein Ton ist mit nichts vergleichbar, Chet Baker ist nur Chet Baker. Er wird ein Star, ein Idol, er schläft mit zig Frauen, er nimmt jede Art von Drogen, bleibt auf Heroin hängen, spielt für Junk, ist unberechenbar, taucht ab und irgendwo wieder auf, wird in den Knast gesperrt, kriegt die Zähne ausgeschlagen und kann nicht mehr spielen, Dizzy Gillespie treibt Geld auf für die Operation, Chet Baker beginnt wieder zu spielen, bleibt ein Gehetzter und Getriebener, es ist ein Klischee und es ist ein Leben.

Bruce Weber interviewt jede Menge Leute, Musiker, diverse Ehefrauen, Freundinnen, Kinder. Jeder hat eine Geschichte zu erzählen oder auch zwei, jeder kannte ihn eigentlich am besten. Chet Baker wird zum Zankapfel, die Frauen gifteln und stänkern sich an. „Wenn er bei mir geblieben wäre, statt zu dieser Hure zu laufen, hätte er nie Drogen genommen“, in diesem Stil.

Daß die Würde des Menschen in erster Linie antastbar ist und konsumierbar, ist bekannt. Die Grenzen zwischen dokumentarischer Würdigung und Vampirismus sind fließend. Wie viele Musiker, die in den letzten Jahren mit Chet Baker spielten - allen voran der aufdringliche Gitarrist und Flötotto Nicola Stilo -, setzt Bruce Weber Chet Baker in Szene und bedient sich seiner gleichermaßen. Das ist, wg. Dialektik, unvermeidlich, nicht aber die reißerisch -leichenfleddernde PR wie Chet Bakers letzte Aufnahmen, seine letzte Reise usw. Natürlich soll das alles auch noch der Liebe zu Chet, wie der Regisseur ihn stets vertraulich nennt, entspringen. „Würdest du sagen, daß die Zeit, in der wir den Film gemacht haben, für dich eine gute war?“ versucht sich Weber eine Blankounterschrift zu verschaffen. Chet Baker sieht ihn an, das Gesicht eine ausdruckslose Falte, der Unterkiefer mahlt. „Wie sollte ich es sonst sehen?“

Am 13. Mai 1988 fiel Chet Baker aus dem zweiten Stock seines Amsterdamer Hotels. Ob der 58jährige an einer Überdosis starb, an einem dummen Unfall oder an einem Verbrechen, wurde nicht abschließend geklärt. „Glück hat auf Dauer nur der Süchtige“, kalauerte Wolfgang Neuss. Er irrte.

Wiglaf Droste

Bruce Weber: Let's get lost, mit Chet Baker u.a., Musik Chet Baker, USA 1988, OmU, 119 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen