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Eine Recherche du temps perdu

■ „Der wiedergefundene Freund“ („Reunion“) von Jerry Schatzberg

Die Stabliste von Reunion liest sich wie ein Versprechen: das Drehbuch schrieb Harold Pinter, die Kamera führte Bruno de Keyzer, das Dekor stattete Altmeister Alexandre Trauner aus, für den Schnitt zeichnet Martine Barraque verantwortlich, die Partitur hat Philippe Sarde komponiert.

Das Versprechen wird gehalten! Wie in seinem legendären unverfilmten Proust-Drehbuch läßt Pinter in den Eröffnungsszenen Vergangenheit und Gegenwart ineinandergreifen und entfaltet einen assoziativen Beziehungsreichtum von aufblitzenden Erinnerungen und Bildern aus fernstem Gestern, die den Protagonisten bis ins Heute heimsuchen. Der Filmanfang stellt eine Unzahl von Fragen und versichert dem Zuschauer zugleich des behaglichen Gefühls, der Film werde fortan so rechtschaffend konventionell erzählt, daß ihm (dem Zuschauer) all diese Fragen beantwortet werden. Bruno de Keyzers Kamera (auf deren Agilität seit Ein Sonntag auf dem Lande nicht nur Bertrand Tavernier vertraut) ist immer darauf aus, die Perspektiven ein wenig zu verrücken, und den Personen unablässig zu folgen. Die Ausstattung Trauners trägt der Tatsache Rechnung, daß dies ein Film der Erinnerung ist: Mobiliar und Details sind mit äußerster Sparsamkeit eingesetzt, selektiert wie durch die subjektive Wahrnehmung der Erinnerung. Martine Barraque findet bei der Montage immer wieder verblüffende Szenenauflösungen, mal fragmentiert sie rigoros die Bewegungen der Figuren, mal verleiht sie dem Erzählrhythmus eine ungeheure Gelassenheit. In der Partitur Philippe Sardes, des meistbeschäftigten französischen Filmkomponisten, schließlich gehen Marschmusik und Bluesmomente eine unheilschwangere Liaison ein. Orchestriert hat all dies Jerry Schatzberg, einer der europäischen US-Regisseure, ein ehemaliger Modefotograf, dem der Ästhetizismus nicht in die Quere kam. Reunion wirkt wie eine Kunstfilmmaschine, die auch ohne die Gewichtigkeit ihres Inhalts laufen würde.

Dieser ungemein preziös gearbeitete Film widmet sich einem Sujet, mit dem man außerhalb Deutschlands unbeschwerter umgehen kann: dem Antisemitismus und dem Aufkommen des Faschismus bis zur Machtübernahme Hitlers. Ein oft behandeltes Kinothema, und ein dankbares Thema nur noch dann, wenn es aus einer nuancierten, frischen Perspektive betrachtet wird. Der Blick auf diese Epoche ist diesmal kein deutscher, die Betroffenheit ist diesmal eine andere (einige der wesentlich Beteiligten - Schatzberg, Trauner, Fred Uhlmann, der Verfasser der stark autobiographisch gefärbten Romanvorlage - sind Juden und waren der Verfolgung durch den Naziterror ausgesetzt): Reunion ist eine internationale Co-Produktion.

Der Film nimmt sich die Freiheit, die Zeitgeschichte in der Geschichte einer Jungenfreundschaft zu filtern, ohne den Antisemitismus zur bloßen Folie zu degradieren, zur nur äußeren Bedrohung der Freundschaft zwischen dem jüdischen Bürgerssohn Hans (Christian Anholt) und Konrad (Sam West), dem Sohn aus arisch-aristokratischem Hause. Die bedrohlichen Zeitläufe werden als Belastungsprobe dieser Freundschaft spürbar, offenbaren sich in den Alltagserlebnissen der beiden Gymnasiasten. Die werden vom Film ganz radikal personalisiert: da wird Engagement auch zu einer Frage der persönlichen Loyalität, zu einer Frage des Verrats an gemeinsamen Wertvorstellungen und Überzeugungen (Konrad, dessen Mutter eine pathologische Antisemitin ist, erliegt, wie viele Intellektuelle seiner Zeit, dem Charisma des Führers und liebäugelt mit der Naziidologie).

Reunion bleibt vor allem anderen die Geschichte einer Freundschaft und feiert - nicht ohne Sentimentalität - die Intensität dieser Beziehung, die man so nur in seiner Jugend erleben kann, die fortan nicht wiederholbar ist und unvergessen bleibt. Die schönsten Szenen widmet der Film den ersten Annäherungen der Jungen. In langen Montagesequenzen schildert er mit sympathischer Beiläufigkeit, wie sich die Freundschaft im Alltäglichen manifestiert: dem regelmäßigen Treffen auf dem Schulweg, dem Abschied auf dem Heimweg, der von Mal zu Mal etwas länger dauert. Der subtile Impressionismus dieser Sequenzen bedarf keiner Dialoge, kann einfach auf die eigene Freundschaftserfahrungen und -erinnerungen vertrauen. Die Entfremdung der beiden ist schließlich unausweichlich, der Film läßt spüren, daß es in einer Freundschaft wie in einer Liebe auch ums Existentielle gehen kann, wenn sie verraten wird.

Schatzberg und Pinter haben aber auch einen Film über Zeit und Erinnerung gemacht. Jason Robards spielt den gealterten Hans, der nun Henry heißt und in den USA lebt. Seine Heimat nach mehr als einem halben Jahrhundert zum ersten Mal wiederzusehen, gerät ihm zur qualvollen Erinnerungsreise, an deren Ende die Wiederbegegnung mit dem unvergessenen Freund stehen soll. Die Subjektivität dieser Recherche du temps perdu vermitteln Schatzberg und sein Kameramann durch eine ausgeklügelte Farbdramaturgie mit dem harten Schwarzweiß von Dokumentaraufnahmen und dem weichen Monochrom der Rückblende, deren Sepiafarbton an alte Familienfotos erinnert.

Bei den Frage, die der Film an die Vergangenheit stellt, macht er sich die ruhige Beharrlichkeit, die dem Alter seines Protagonisten angemessen ist, zu eigen. Ebenso verhalten, wie Jason Robards spielt, bedient sich der ganze Film eines elegischen Erzähltons (der eher einer Novelle entsprechen würde - vielleicht liegt hierin das eigentliche Wagnis dieser Literaturverfilmung). Er ist kein Aufschrei des Schmerzes, sondern die Chronik einer langwährenden Agonie.

Gerhard Midding

Jerry Schatzberg: „Der wiedergefundene Freund“, mit Jason Robards, Christian Anholt, Samuel West, Europa 1989, 110 Minuten

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