: Mietkarussel durch Wohnungsnot
■ In Tenever haben MieterInnen saftige Nachzahlungen bekommen
Die BewohnerInnen der Trabantenstadt Tenever sind empört. Mitte September flatterten ihnen Nebenkostennachzahlungen zwischen 500 und 1500 Mark in den Briefkasten. Die Firma Bergstedt und die Gewoba treiben damit eine „stille“ Mietpreiserhöhung bis zu 30 Prozent der Warmmiete ein. Von den Nebenkosten werden unter anderem Gebäudereinigung, Aufzugswartung oder Begrünung bezahlt. Heizkosten und Stromverbrauch müssen noch einmal extra bezahlt werden.
Die Kostenexplosion bleibt für die meisten MieterInnen ein Rätsel. „Brutal und ungerecht“ empfinden sie diese Zahlungsforderung. Sie werden mit der neuen Belastung an den Rand ihrer finanziellen Möglichkeiten gedrängt, denn der Anteil der sozial Schwachen in Tenever ist überdurchschnittlich hoch: ein Drittel der Menschen lebt hier von der Sozialhilfe. Im „Bewohnertreff Tenever“ beginnen sie sich jetzt zu organisieren, um die Forderungen der Wohnungsverwalter auf ein sozialverträgliches Maß zurückzuschrauben. Neben der Nebenkostennachzahlung wurden nämlich schon die Grundmieten erhöht und - in einigen Fällen - die Wohngeldzuschüsse gekappt. „Hier wird die katastrophale Wohnungspolitik auf unserem Rücken ausgetragen“, meinte ein Sprecher des Bewohnertreffs, der wie alle anderen MieterInnen auch - aus Angst vor einer Kündigung ungenannt bleiben will.
Mieten und Zusatzkosten stehen in Tenever mittlerweile in krassen Mißverhältnissen. Eine 44 Quadratmeter-Wohnung kostet hier 750 Mark warm. Das Sozialamt, das diese Wohnung finanziert, gesteht dem Mieter als Lebensunterhalt pro Monat gerade 428 Mark zu. Das Mietaufkommen der TeneverInnen liegt zwischen 30 und 50 Prozent des monatlichen Nettogeldes. Und das für Wohnungen, deren Zustand zum Teil unter aller Sau ist: Im Kesslerblock, dem marodesten Koloß der Siedlung, schimmeln die Wände so stark, das das Mobiliar nach kurzer Wohnzeit völlig unbrauchbar wird. „Sie lüften falsch und heizen zu wenig“, beschied man bei der Ge
woba die beschwerdeführenden Mieter. „Die Mauern sind hier so dünn, daß sich im Winter Eispfützen in den Treppenfluren bildeten. Jetzt hat man in die Treppenflure Heizkörper gesetzt, die wir mit unserem Geld unterhalten“, beschwert sich ein Mieter über die Renovierungspraxis.
Trotz einiger Teilerfolge, die der Bewohnertreff in der Auseinandersetzung mit den Hausverwaltern errungen hat (Ratenzahlung des Rechnungsbetrages ab Januar 1990), sieht die Zukunft düster aus . „Das ist doch nur die Nachzahlung für die letzten 18 Monate. Jetzt kommt noch die Erhöhung der Pauschalen und nächstes Jahr wieder eine Nachzahlung“, befürchtet eine Mieterin. Sie stottert heute noch die Raten vom letzten Jahr ab. Außerdem glaubt niemand daran, das die Wohnungsverwaltung einen Rechenfehler gemacht hat.
„Wenn der Senat will, das hier ein Stadtteil mit Lebensqualität entsteht, brauchen wir hier Miet
garantien.“ Um ihre ärgsten Nöte zu überbrücken, fordern die Betroffenen die nachträgliche Erhöhung des Wohngeldes. Weitergehend wollen sie aber als Bewohnerorganisation Mitspracherecht beim „Restaurierungskonzept Tenever“. Die 7,2 Millionen, die der Bausenator dafür freigemacht hat, sollen nach den selbstbestimmten Bedürfnissen der Bewohner eingesetzt werden: ein Horthaus und ein Bürgerhaus braucht die Siedlung, die Schulsituation muß verbessert werden, eine schnelle Verkehrsanbindung ist dringend erforderlich .“
Bei den Wohnungsverwaltern will man indes die brodelnde Stimmung in Tenever nicht zur Kenntnis nehmen. Verwalter Brackmann: „Wir wollen uns Ende September mit den Bewohnern zusammensetzen. Dann erhält jeder Einblick in seine Kostenabrechnung.“ Dann müssen bei einigen Posten Kostenerhöhungen bis zu 300 Prozent gerechtfertigt werden. mad
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