: Freiheit und Olympia
Litauens Sportler drängt es zur Selbständigkeit ■ PRESS-SCHLAG
Die litauische Sportbewegung steht mit an der Spitze der Freiheitsbewegung in unserem Land. Wenn wir bei großen Sportveranstaltungen unter unserer kleinen Flagge auftreten, wird die Welt aufmerksamer werden auf unser kleines unbekanntes Land.“ So unbekannt ist sein Land nicht mehr, wie dies Arturas Povilinas in einem Pressegespräch glaubt dartun zu müssen, wenn auch die Sportbewegung tatsächlich im Ausland im Schatten der „großen Politik“ bislang weithin übersehen wurde.
„Dabei gehören Sport und Politik immer zusammen, Stalin wußte, warum er nicht nur unabhängige Politiker, sondern das gesamte Litauische Olympische Komitee (LOK) in sibirische Arbeitslager verbannte.“ Arturas Povilinas ist Vorsitzender des im vergangenen Dezember neugegründeten LOK. „Neugründung“ scheint Povilinas nicht das passende Wort, denn „das LOK ist nie aus dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) ausgeschlossen worden, auch nicht aus den anderen internationalen Sportverbänden. Wir wurden nach dem Krieg gezwungen, uns von der Sowjetunion repräsentieren zu lassen, die ja erst 1951 IOC-Mitglied wurde.“
Litauen war dies von 1923 an, seit seiner Selbständigkeit. Eigene Mannschaften traten bei allen Olympischen Spielen auf, zuletzt 1936 in Berlin. Bei den Spielen von Seoul gingen im letzten Jahr fünf Einzelmedaillen an litauische Sportler, und mit einer Ausnahme bestand die gesamte sowjeti
sche Basketball-Olympiamannschaft aus Spielern Litauens. Nach Basketball ist Fußball am populärsten: 50.000 der 3,8 Millionen Einwohner sind als Aktive registriert, darunter 150 Profifußballer. In der ersten Runde des Europapokals gelang es der litauischen Spitzenmannschaft Zalgiris Wilnius, den schwedischen IFK Göteborg rauszuwerfen. Eine eigene litauische Olympiamannschaft würde also wahrscheinlich des öfteren Flagge zeigen können. Schon 1992 in Barcelona? „Das ist unser Ziel und unsere Hoffnung. Aber wir sind Realisten und wissen, daß es nicht gut ist, vor der Zeit aktiv zu werden.“
In Litauen hat sich die Entwicklung hin zur sportlichen Selbständigkeit nach Povilinas Einschätzung aber geradezu überschlagen: „Wenn man bedenkt, daß vor zwei Jahren jeder verhaftet wurde, der bei einem Fußballspiel eine gelb-grün-rote Nationalflagge schwenkte. Nun dürfen wir offiziell unsere nationalen Symbole benutzen. Als wir am 11. Dezember letzten Jahres das LOK wiederbeleben durften, dachten wir, welch phantastischer Schritt! Jetzt haben wir von Moskau die Erlaubnis, bei kleineren Sportveranstaltungen schon unter eigener Flagge anzutreten, bei Welt- und Europameisterschaften dürfen unsere Sportler zumindest unser Wappen an der Sportkleidung tragen. Die Zeit ist also eigentlich reif für den nächsten Schritt.“
Povilinas sitzt auf zwei Stühlen. Er ist nicht nur Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees, sondern gleichzeitig Vizevorsitzender des von Moskau gesteuerten litauischen Sportbundes. „Das ist kein Widerspruch. Die Entwicklung hin zur Wiederbelebung des LOK ist ein Ergebnis von Gorbatschows Perestroika. Wir können auch nicht schneller vorangehen als diese, stehen mit ihr in Einklang, nicht in Widerspruch. Was nicht bedeutet, daß es keine Konflikte geben kann.
Fußnote: Auch in Estland und Lettland konnten zwischenzeitlich die nationalen olympischen Komitees wiederbegründet werden.
Reinhard Wolff
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