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Routine

■ Zum Verhältnis der West-SPD zur Ost-Opposition

Zwischen der diplomatischen Rede und dem diplomatischen Handeln liegt ein großer Unterschied, auch wenn er oft nicht erscheint. Wenn Bahr im Saarländischen Rundfunk erklärte, man müsse mit allen politischen Kräften der DDR, mit der Regierung und der Opposition, in ein „vernünftiges Verhältnis der Zusammenarbeit und Kooperation“ treten, ist das nicht nur die diplomatische Leier seit Monaten, das ist die alte ostpolitische Routine des „Wandels durch Annäherung“. Kern und historische List dieser Diplomatie war, das politische Monopol der SED zu akzeptieren, um deren verändernde Kräfte zu fördern.

In dem Moment, wo oppositionelle Gruppen in der DDR dieses Monopol praktisch in Frage stellen, gehören die alten ostpolitischen Maximen der Geschichte an wie offenbar auch ein Teil der sozialdemokratischen Ostpolitiker. Die kalte Ausladung der SPD-Bundestagsdelegation vor ein paar Wochen zeigt, daß die SED-Führung schon früher begriffen hat. Die Gründung des Neuen Forums, die Gründung einer sozialdemokratischen Partei in der DDR zeigen, daß die oppositionelle Bewegung den Übergang vom Protest in die Institution gefunden hat. Verweise auf bloße Kontakte von SPD-Politikern zur Opposition beantworten den dringenden Anspruch der DDR-Opposition auf Dialog mit der SPD überhaupt nicht. Es fehlt ein Signal, eine institutionelle Antwort.

Noch vor Jahresfrist sprach die SPD von der „zweiten Phase der Entspannungspolitik“, eine damals schon überholte Formel. Die SPD verharrte notwendigerweise in ihrer beschwörenden Ideenlosigkeit, weil die drängenden historischen Kräfte längst schon die Himmelsrichtung gewechselt haben. Der Demokratisierungsprozeß Osteuropas bestimmt den Inhalt der Ostpolitik. Die Sozialdemokratie stand sowohl in Ungarn als auch in Polen immer auf seiten der Angeschobenen und nicht auf seiten antreibender Kräfte der demokratischen Umstürze in diesen Ländern.

Es ist gut möglich, daß das Verhältnis der SPD zur DDR -Opposition ein ähnliches Schicksal nimmt wie ihr Verhältnis zu Solidarnosc. Bahr betonte, daß die SPD es immer vermieden habe, „konspirative Beziehungen“ zu oppositionellen Gruppen in jenen Ländern zu pflegen. Heute ein böses Wort. Es wird in der DDR nachhallen. Bahr mißachtet, daß die Demokratisierung konspirativ beginnen mußte und muß. Er mißachtet, daß gegenwärtig kein westlicher Kontakt mit der DDR-Opposition konspirativ ist, auch wenn er konspirativ abgewickelt werden muß. Das Wort „konspirativ“ im Kontext der Gründung der DDR-SPD zu verwenden, die ja die Aufnahme in die Sozialistische Internationale will, klingt nach einer zwar verhüllten, aber gleichwohl brüsken Zurückweisung.

Klaus Hartung

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