: Eigentum und Diebstahl
■ Oberster Sowjet billigt Gesetzesvorlage zur Wiedereinführung privaten Eigentums
Noch hat es keine Gesetzeskraft, aber die Vorlage zur Wiedereinführung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln im Mutterland des Roten Oktobers wurde mit überwältigender Mehrheit vom Obersten Sowjet gebilligt. An der notwendigen Zustimmung des Parlaments gibt es ebenfalls keinen Zweifel. Für die Traditionslinke dürfte die Sowjetunion nun zurück auf dem Weg in den Kapitalismus sein. Und die Konservativen im Westen werden diesen Schritt als ein weiteres Indiz der Bankrotterklärung des Sowjetsystems werten. Marktwirtschaft und das Ende der Geschichte werden hier zum Synonym.
Beide Seiten werden sich nicht bestätigt finden. Denn die Beschäftigung von Lohnabhängigen, die Wiedereinführung der Ware Arbeitskraft als zentraler Mechanismus kapitalistischer Verwertungslogik, ist in dem Gesetz nicht vorgesehen. Dies ging den Deputierten zu weit. Anders als in Polen und Ungarn wäre es auch in der sowjetischen Gesellschaft nicht mehrheitsfähig. Die Freigabe an Produktionsmitteln und die Möglichkeit, gepachtetes Land weiter zu vererben, ist erst mal eine Maßnahme, Versorgungsengpässe zu beseitigen.
Dahinter steckt aber mehr. Es geht um die grundsätzliche Aufgabe, die Gesellschaft für den Begriff Eigentum zu sensibilisieren. Ihn hat es schlichtweg nicht gegeben. Das, was man unter sozialistischem Eigentum bisher verstand, war eine Worthülse. Und so ist man mit ihm auch umgegangen. Allen gehörte alles und keinem etwas. Man hat sich genommen, was man brauchte. Verantwortungsbewußtsein und Initiative konnten sich daraus nicht entwickeln. Diebstahl gehörte zur Organisation elementarer Lebensverhältnisse. Und die Verabsolutierung des Staatseigentums bewirkte nichts anderes als die Entfremdung des Arbeiters von seinen Produktionsmitteln. Verfügen konnte er darüber nicht. Dafür sorgte schon die Bürokratie. Die Entmündigung als politisches Subjekt zeitigte ihre Folgen in der Ökonomie. Versorgungsmängel in der Landwirtschaft entstanden nicht etwa nur wegen mangelnder Kapazitäten in der Produktion, sondern auch aus der Gleichgültigkeit der Beschäftigten, die Dinge dort hinzubringen, wo sie hingehören: zu den Konsumenten. Daran könnte sich durch diese Gesetze langfristig etwas ändern.
Die Entscheidung, mehrere Eigentumsformen nebeneinander zu dulden, ist gleichzeitig ein Schritt, das Konzept der Entwicklung des Sozialismus von der Vielfalt zur Einheitlichkeit zu revidieren. Was bisher unter sozialistischem Eigentum verstanden wurde, wird sich nun an der Überlegenheit seiner Produktivität messen lassen müssen. Nominelles Staatseigentum, das sich als ineffektiv erweist, hat das Attribut sozialistisch verwirkt.
Klaus-Helge Donath
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