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Tucholsky und kein Ende

■ Kurt Tucholsky „Republik wider Willen“

Preisfrage: Von wem ist dieser Text:

„Ich weiß genau, welche betrübliche Rolle der aus Posen gebürtige Berliner auf Reisen spielt („Det is der Kölner Dom! Haben Se keenen größeren?“). Aber so frech und lokalchauvinistisch ist wohl noch nie ein Berliner gewesen wie diese Sorte „Nazis“ (die ich absichtlich nicht Oesterreicher benenne, weil Otto Weiniger einer ist und Peter Altenberg und Karl Kraus und Alfred Polgar - aber wir sind uns ja einig, wen wir meinen.) Die „Nazis“ kommen nach Berlin, liebenswürdig wie die früheren Oberkellner, treuherzig und schmuserig und a bisserl a Lieb‘ und a bisserl a Treu und a bisserl a Falschheit ist alleweil dabei - halten den Wurtslprater für den Mittelpunkt der Welt und wollen nun dem Berliner zeigen, was eine richtige Harke ist. Aber bitte sähr, wir danken ergebenst.

Diese Aufdringlichkeit, dise aalglatte Gewandtheit, dieses treue Plüschaufe, diese gradezu diabolische Geschicklichkeit, „überall hienzukommen“ - all das verfälscht nicht nur unser Stadtbild, sondern fängt gemach an, uns eine Plage zu werden. Die Oesterreicher fallen einem nie unangenehm auf. Die „Nazis“ immer.“

Helmut Qualtinger? Thomas Bernhard? Manfred Deix? Falsch geraten, lieber Leser. Diese abgrundtief böse Österreicherbeschimpfung stand am 8.Juni 1922 in der 'Weltbühne‘ und stammt von Kurt Tucholsky. Wobei der Titel der kompletten Glosse, Die „Nazis„, wohl kaum von der NSDAP kommt - die war damals nur ein Münchner Phänomen -, sondern vom Vornamen Ignaz.

Zweite Frage: Warum ist diese Glosse seit ihrer Erstveröffentlichung vor 67 Jahren niemals wieder nachgedruckt worden? Die Antwort weiß ich nicht. Tatsache ist nur, daß sie sich weder in den zehnbändigen Gesammelten Werken Tucholskys findet noch in den beiden Ergänzungsbänden. Und damit wären wir beim Thema.

Der Rowohlt Verlag hat sich nämlich vor kurzem entschlossen, dem ersten Supplementband von 1985, Deutsches Tempo, ein zweites hinterherzuschreiben, rechtzeitig vor Tucholskys 100.Geburtstag, mit dem Titel Republik wider Willen. Herausgeber ist Fritz J.Raddatz, und in seinem Vorwort lesen wir von den Anstrengungen, die es kostete, um das Verstreute des Schriftstellers nach dem Kriege zusammnenzubringen und seine Publikation durchzusetzen. Und tatsächlich ist dank der Leistung der Tucholsky-Philosophen, der Laien und Experten, der Professoren und Studenten, der heutige Leser in einer ungleich günstigeren Lage, was die Erreichbarkeit des Werks angeht, als Tucholskys unmittelbare Zeitgenossen. Aber...

Es gibt viele Texte von Kurt Tucholsky, die ohne großes Herumsuchen zugänglich wären, die lesenswert und interessant sind, die aber von Herrn Raddatz - warum, das weiß nur er bei seinen Editionen ausgeschieden wurden. Es sind ja nicht bloß die „Nazis„, die unter den Tisch fielen, sondern eine ganze Reihe wertvoller Beiträge aus der 'Weltbühne‘. Tucholsky war z.B. einer der größten deutschen Sprachkritiker und Sprachanalytiker - wo bleibt sein Artikel Die Deutschtümelei der Post vom 16.September 1930? Oder ein anderer Fall, diesmal nicht aus der 'Weltbühne‘: Wo bleiben Die beiden Titel, ursprünglich abgedruckt im 'Prager Tageblatt‘ (8.9.1923)? Ironischerweise steht dieser Text in dem ebenfalls kürzlich erschienenen rororo-Taschenbuch Sprache ist eine Waffe, eine Sammlung Tucholskyscher Sprachglossen und ediert von Wolfgang Hering. Hat Herr Raddatz die nicht gelesen?

Und was ist der Skandal? Nicht daß‘ ein Text wie Die „Nazis„, der einmal die Nachtseite des Satirikers zeigt, dem lesenden Publikum unterschlagen wird, sondern daß man selbiges schlicht und ergreifend an der Nase herumführt. Warum tut Herr Raddatz so, als seien es die Zweifelsfälle, die Brosamen, die Wiederholungen, die unbedeutenden Sätze und Sätzchen, die der „Herausgeber“ beseite ließ? Das stimmt doch alles einfach nicht. Da hilft auch der scheinheilige Hinweis auf das Kurt-Tucholsky-Archiv nicht, wo die Originalpublikationen liegen. Nicht jeder Tucholsky-Freund hat Geld und Muße, um nach Marbach zu fahren, und nicht jede Stadt hat in ihrer Bibliothek die Reprint-Ausgabe der 'Weltbühne‘.

Es bleibt eigentlich nur zwei Folgerungen. Der jetzt erschienene Ergänzungsband ist ein Denkmal für Mary Gerold, der verstorbenen zweiten Frau Tucholsky, und in diesem Denkmal haben nur das Gute, Wahre, Schöne Platz, keine Ecken, Kanten und Widersprüche. Und - beim Spiel der Werke und Supplemente läßt sich ganz konkret Geld verdienen: Für Deutsches Tempo und Republik wider Willen muß man zusammen einen knappen Hunderter hinlegen, und daß irgendwann ein dritter, allerüberultimativer Ergängungsband kommt, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und der enthält dann auch die „Nazis„.

Was tun? Die Kurt-Tucholsky-Freaks können sich der westberlicher Kurt-Tucholsky-Gesellschaft anschließen, die 1988 gegründet wurde und das Werk Rowohlt-unabhängig erfroscht. (Es versteht sich von selbst, daß Raddatz sie mit keinem Wort erwähnt.) Was Editionen anbetrifft, sind wir bis zum Jahr 2005, wenn das Urheberrecht erlischt, Fritz J.Raddatz und seiner Kurt-Tucholsky-Stiftung ausgeliefert. Bis dahin muß es aber gestattet sein, die Tätigkeit des Großen Herausgebers als das zu benennen, was sie ist, nämlich als eine Katastrophe.

Ralf Bülow

Kurt Tucholsky, Republik wider Willen, Gesammelte Werke, Ergänzungsband 2, 1911-1932, hrsg. von Fritz J. Raddatz, Rowohlt-Verlag, 527 Seiten, 48 DM

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