: Mit dem Farbpinsel gegen drohendes Verkehrschaos
■ Basispolitiker im Beirat Mitte bremsen Verkehrsberuhiger in Senat und BSAG-Vorstand / Beirat will keine Fußgängerzone im Ostertor
Die Beirätin Ulrike Schreiber reißt zur Bekundung ihres christdemokratischen Willens die Hand hoch und stutzt: Die FDP-Vertreterin des Bremer Innenstadtvolkes müßte - das legt der Verlauf der zweistündigen Debatte dem unvoreingenommenen Betrachter nahe - die CDU-Auffassung in der Sache teilen. Gleichwohl: Zu Schreibers Verwunderung bleibt der liberale Arm des Beirats unten. Sind der Freidemokratin im letzten Moment Zweifel gekommen? Haben sie am Ende gar die sozialdemokratischen Gegen
argumente verfangen? Egal! CDU-Beirätin Schreiber weiß am besten, was auch der FDP frommt und kann auf demokratische Unwägbarkeiten jetzt keine Rücksicht nehmen: Aufbäumend gegen die drohende Abstimmungsniederlage eilt sie ihrer FDP -Nachbarin zu Entscheidungshilfe: Die Linke zur Bekundung des eigenen Willens steil erhoben, umfaßt sie rechtshändig den Abstimmungsarm der nichtsahnenden Freidemokratin und bugsiert ihn gleichfalls in die Luft.
Auf der anderen Seite des
Volksvertretertischs schlägt derweil SPD-Fraktionssprecher Jürgen Dinse ein-ums andere mal die Hände über dem Kopf zusammen. „Ist das denn so schwierig“, fährt Dinse in genervter Weinerlichkeit seine Beiratskollegen an. Nicht etwa wegen der eigenwilli
gen CDU-FDP-Koalitionsbil dungen. Dinses Verzweiflung gilt den eigenen Genossen. Nach zweistündiger Debatte weiß auch hier niemand mehr, was los ist. Begriffen haben alle nur: Über irgendetwas wird gerade abgestimmt. Wenn man bloß wüßte,
worüber! Über den CDU-Antrag (müßte man ja vermutlich dagegen sein), über das Verkehrskonzept des Bremer Senats für Steintor und Ostertor? (Müßte man unter Vorbehalt wahrscheinlich aus sozialdemokratischen Loyalitätsgründen dafür sein). Über die Frage, ob man überhaupt abstimmt? (Wäre eine Gewissensentscheidung). Über den eigenen Antrag? (Ach den gibts auch? Ja, handschriftlich, eben erst vom Fraktionssprecher handschriftlich zusammengeschrieben. Was fordern wir denn?)
Am Montag abend plante der Beirat Mitte in der Aula des Alten Gymnasiums die Zukunft der Bremer Innenstadt. Anwesend außer den 11 Beiräten, rund 50 AnwohnerInnen und den OrtsamtsleiterInnen Hucky Heck und Andrea Freudenberg: Hubert Rensch, Vorstandsmitglied der Bremer Straßenbahn-AG, Hans Jürgen Kahrs, oberster Senats-Koordinator für den ÖPNV, und Klaus Hinte, oberster Verkehrsplaner im Stadt- und Polizeiamt. Alle drei angetreten, um Beirat und Anlieger von dem zu überzeugen, was sich der Senat für die Verkehrsberuhigung des Viertels alles ausgedacht hat und nun möglichst zügig umsetzen will. Kern des Konzepts: Ostertorsteinweg und Vor dem Steintor werden in eine „fußgängerzonenähnliche Zone“ umgewidmet. Nur Zulieferer der Anliegergeschäfte und die Straßenbahn haben freie Fahrt. Letztere gewinnt dadurch auf der Strecke Gröpelingen Sebaldsbrück rund 10 Minuten, nähert sich dem BSAG-Ziel einer „Stadtbahn“ und hebt so die Attraktivität des ÖPNV. Für die
verlorene Parkfläche werden im Viertel an noch ungeklärten Stellen zwei oder drei „Parkierungsanlagen“ geschaffen, in denen AnwohnerInnen- und KundInnenautos verschwinden. Haken des Konzepts: Ein Teil des verdrängten Auto -Durchgangsverkehrs wird Osterdeich und Bismarckstraße zusätzlich belasten.
Ob das Konzept je realisiert wird, ist allerdings fraglich. Jedenfalls wenn es nach den Beiräten der Innenstadt ginge. CDU-Beirätin Schreiber würde z.B. lieber eine U-Bahn quer unterm Viertel bauen lassen. Den SPD-Beiräten ist der eigene Senat denn doch zu radikal. Sie möchten wenigstens eine Fahrspur quer durchs Viertel erhalten wissen, für freie Bahnfahrt sollen derweil weiße Pinselstriche auf den Schienensträngen sorgen. Der grüne Peter Puppe meldete sich überhaupt erstmals und einzig mit einem Geschäftsordnungsantrag zu Wort und überließ seinem Fraktionskollegen Siegfried Wegener das grundsätzliche Bekenntnis zum Vorrang des ÖPNV sowie die konkrete Kritik des Senatskonzepts. Wegeneres Vermutung: Das Konzept ist überhaupt nur ausgeheckt, um der Parkplatz-GmbH mittels neuer Parkhäuser zu zusätzlichen Einnahmen zu verhelfen. Seine Alternative: Den gesamten Autoverkehr „weiträumig abfangen“ und irgendwie ganz aus dem Viertel raushalten. Zur Abstimmung ließen die Grünen ihre Überlegungen nicht stellen. Sie stimmten dem von der SPD hastig während der Sitzung zusammengeschusterten Antrag zu.
K.S.
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