: Glasnost bei der IG Metall gefordert
Delegierte üben deutliche Kritik am Führungsstil des Vorsitzenden Steinkühler / Demokratischere und basisnahe Strukturen für die Gewerkschaft gefordert / Wiederkehr des Willi Hoss in der Metallergewerkschaft / Beifall für den grünen Bundestagsabgeordneten ■ Aus Berlin G. Sterkel/M. Kempe
Die Delegierten des 16.Ordentlichen Gewerkschaftstages der Industriegewerkschaft Metall in Berlin zeigten Selbstbewußtsein und Kritikfreudigkeit. Bei der Aussprache zu den Geschäftsberichten des Vorstandes geriet insbesondere der erste Vorsitzende ins Visier. „Mehr Glanost in der IG Metall“, forderte die Delegierte Cornelia Gramm aus Hanau unter heftigem Beifall und mit Blick auf Franz Steinkühler, der sich tags zuvor „einen Führungsstil auf der Basis einer differenzierten Analyse unter Einbeziehung vieler Betroffener“ gewünscht hatte. „Wer stellt sich denn den berechtigten Wünschen unseres ersten Vorsitzenden in den Weg?“ fragte sie.
Kritik am Stahlkonzept
Otto König, von Steinkühler entgegen des Basisvotums abgelehnter Kandidat für den Leiter des Bezirks Wuppertal, forderte „demokratische und basisnahe Strukturen für die IG Metall“. Der Vorstand müsse bereit sein, Verantwortung zu teilen, und „Loyalität darf nicht Unterwerfung bedeuten“. Auch für diese deutlichen Worte gab es Beifall, ebenso wie für den Rheinhausen-Betriebsrat Theo Stegmann, der wie viele Delegierte aus dem Ruhrgebiet Kritik an der Stahlpolitik der IG Metall formulierte. Aus der Schaffung neuer Arbeitsplätze ist bislang nichts geworden. Die Forderung nach Vergesellschaftung sei ein „historisches Erbe“, das nicht aufgegeben werden dürfe. Die Erfahrungen aus dem Kampf in Rheinhausen müßten aufgearbeitet werden, damit die IG Metall nicht in Gefahr laufe, „sich zur Yuppie-Gewerkschaft“ zu entwickeln.
Der Zufall des Tagungsablaufs hatte am Abend zuvor für ein symbolträchtiges Zusammentreffen gesorgt. Direkt nach dem Bericht des Kontrollausschusses, bei dem es um die Gewerkschaftsausschlüsse in den letzten drei Jahren ging, erhielt ein Ausgeschlossener das Wort: Willi Hoss, Bundestagsabgeordneter der Grünen, vor 17 Jahren als Mitglied der oppositionellen plakat-Gruppe bei Daimler/Untertürkheim ausgeschlossen. Hermann Günkel, der Vorsitzende des Kontrollausschusses der IGM, stellte klar, daß die Gewerkschaft bis in die jüngste Zeit Mitglieder ausgeschlossen hat, die auf „gegnerischen Listen“ zum Betriebsrat kandidierten. Die IG Metall will weiterhin, trotz einer anderslautenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, Mitglieder gegnerischer Listen auch dann ausschließen, wenn diese keine ausdrücklich gewerkschaftsfeindlichen Ziele verfolgen.
Hoss für
ökologische Prinzipien
Willi Hoss betonte in seiner Rede, die plakat-Gruppe habe immer an der Notwendigkeit einer starken und auch geschlossenen Gewerkschaftsbewegung festgehalten, auch wenn der betriebliche Konflikt zwischen unterschiedlichen gewerkschaftspolitischen Konzeptionen seinerzeit nicht lösbar gewesen sei. Hoss war der erste Vertreter der Grünen Partei, der auf einem Gewerkschaftstag der IG Metall aufgetreten ist. Er formulierte grüne Prinzipien für eine ökologisch orientierte Mitbestimmung über den Inhalt der Produktion, gegen die Kapitalkonzentration zu gewaltigen Rüstungskomplexen wie bei der Fusion Daimler/MBB, für eine basisbezogene internationale Solidarität und für menschenfreundliche Arbeitszeitgestaltung. Vieles von dem wird inzwischen in der IG Metall diskutiert und wurde von den Delegierten mit Beifall aufgenommen.
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