: Eppler, die Grünen und die deutsche Frage
Eine schwierige Diskussion führte die Bonner Fraktion der Grünen über Epplers Bundestagsrede zum 17.Juni ■ Von Gerd Nowakowski
Selten war die grüne Fraktion so vollständig anwesend wie am Dienstag nachmittag bei einer dreistündigen Debatte mit Erhard Eppler über dessen Bundestagsrede zum 17.Juni. Eppler hatte damals eine Diskussion angeboten, die Grünen nahmen an. Die deutschlandpolitische Debatte, die seitdem dramatische Aktualität gewonnen hat, wird mit viel Erregung geführt, Klarheit aber bringt sie nicht. Das Gespräch offenbart vielmehr das bisherige Scheitern der Fraktion, das weite Feld teilweise unvereinbarer Positionen zu bereinigen. Eppler wird stattdessen zum hilflosen Prellbock für eine völlig ungeordnete Meinungsvielfalt gemacht.
Erhard Eppler, der vor 30 Jahren seine politische Laufbahn mit dem Kampf gegen Adenauers Westintegration auf Kosten der deutschen Einheit begann, sieht sich nun durch die Ereignisse in der DDR spät bestätigt und hat zugleich seinen Frieden mit Adenauer gemacht. Die deutsche Frage sei „offen wie alle Geschichte“, trotz der Verbrechen des Faschismus, hatte er im Bundestag gesagt; die Frage der deutschen Einheit werde der Bundesrepublik aufgedrängt, falls die DDR scheitere. Zugleich aber artikuliert er zweiseitige Erosion der nationalen Identifikationen von oben und unten; durch europäische Einigung und erstarkenden Regionalismus. In diesem Raster fragt er leise nach den Chancen einer deutsch -deutschen Konföderation.
Auf diese Rede geht kaum jemand ein. Aufgegriffen wird nur, was ins eigene ideologische Konzept paßt. Ein „natürliches Nationalgefühl“ sei „blanker Unsinn“, herrscht ihn die Abgeordnete Jutta Österle-Schwerin an. Sie sieht stattdessen eine von der Bundesrepublik betriebene „Destabilisierung“ der DDR und geißelt die Vorrechte für DDR-ler gegenüber anderen Flüchtlingen. Die deutschlandpolitische Sprecherin der Fraktion, Karitas Hensel, rügt Epplers „deutschliche“, Europa verratende Rede und sieht das angeführte Selbstbestimmungsrecht durch die in seinem Namen von Hitler begangenen Verbrechen als ausgelöscht an. Alfred Mechtersheimer sieht die Zeit gekommen für eine blockübergreifende Neutralisierung Gesamt-Deutschlands. Otto Schily möchte jedes Eppler-Wort unterschreiben. Parteisprecherin Ruth Hammerbacher macht in linker Manier die Augen zu und erklärt, sie bewege die nationale Frage nicht und im übrigen sei die deutsche Frage als Konseqenz der Hitler-Verbrechen zu sehen.
Antje Vollmer entdeckt die Zeit der „Mitteleuropäer“ wobei sie zugleich fragt, ob es eine mitteleuropäische Identität nach der Vernichtung jüdischer Kultur überhaupt noch geben kann. Eckhard Stratmann will die „deutsche Vereinigung“ durch die „selbstbewußte Wiederaneignung eines Tabuthemas von links“ ansteuern.
Eppler beschränkt sich in dieser Diskussion, die keine ist, auf Anmerkungen. Dem Vorhalt von Fraktionssprecher Lippelt, die Existensberechtigung der DDR dürfe nicht vom Verhalten des Regimes abhängig sein, setzt er entgegen, es könne keine Überlebensgarantie für ein nicht lebensfähiges System geben. Verwundert fragt Eppler, warum die eine Überwindung staatlicher Einheiten anstrebenden Grünen nun ausgerechnet den Staat DDR erhaltenswert finden und die „Zweistaatlichkeit als Ende der deutschen Geschichte“ definieren. Er hält dies für unsinnig und unhistorisch. „Mitteleuropäisch denken heißt deutsche Hegomonie“, wehrt Eppler Antje Vollmers Gedankenspiel ab. Anderes umschifft er: Dietrich Wetzels Position, eine nationale Identität sei nur möglich, wenn die geschichtlichen Quellen verfälscht und umgelogen werden. Ebenso unbeantwortet bleibt Udo Knapps Frage, warum die staatliche Einheit immer nur aus dem Scheitern der DDR hergeleitet werde, aber keiner sage, warum die Bundesrepublik das möchte?
Der Realo Knapp trifft sich plötzlich mit den Linken wenn er sagt, beim gegenwärtigen Versuch der DDR-Opposition einer radikalen Veränderung habe eine nationalstaatliche Argumentation keinen Platz.
Den Punkt in der Diskussion setzt ein weiterer Gast; er ist aus der DDR zu Besuch. Die nationale Frage habe keine große Bedeutung, wirft er fast schüchtern ein: „Wir wollen nicht aufgehen in einen Staat, dem wir nicht gewachsen sind und in dem wir untergehen“. Und, so erinnert er die Grünen: auch gescheitert blieben der SED noch die Machtmittel zum weitermachen.
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