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Zeitschriften aus Ost und West

■ durchstöbert von Arno Widmann * Zeno / Niemandsland / Weimarer Beiträge

Heute werde ich fast nur zitieren. Es gibt einfach zu viele zu interessante „Stellen“. Da will ich den wenigen Platz nicht mit meinen Überlegungen blockieren.

In Heft 12 von Zeno, es ist dem Thema „Macht“ gewidmet, nimmt sich Robert Caven unter dem Titel „Von Mördern, Gattenmördern und Rufmördern“ Klaus Theweleits „Buch der Könige“ vor. Eine Rezension in Form von acht Richtigstellungen und drei Seiten Nachbemerkungen.

„Theweleit behauptet: Über Benns 1935 erfolgten Rückzug nach Hannover: die Formel von der 'inneren Emigration‘ entsteht aus diesem Schritt (S.71)

Richtig ist: Benns Formel lautet: die R.W. (Reichswehr) ist die aristokratische Form der Emigrierung! (18.11.34, an Oelze).“

Beckmessereien? Nicht, wenn man den ganzen Aufsatz liest. Es wird deutlich, wie sehr Theweleit seine Quellen verbiegt, um seine Männer-Dichter-sind-Mörder-Theorie plausibel zu machen. Zu Theweleits Blödsinn - um ein harmloses Wort zu gebrauchen - in der Jubeltaz schreibt Caven: „Inzwischen hat Faschismuskenner Theweleit sich bis zur Kenntlichkeit enttarnt.“ „Kann es denn Zeitungen geben 'nach Auschwitz‘?“ heißt sein Beitrag im Sonderheft zum zehnjährigen Bestehen der taz, in dem er sich noch einmal der Jenninger-Rede und den redaktionellen Querelen um den Ausdruck „gaskammervoll“ widmet. Theweleit beweist, daß für ihn die Würde des Menschen sehr wohl antastbar ist, wenn es sich bei diesem Menschen um einen politischen Gegner handelt. Jenningers Körperlichkeit, sein Dialekt sind da gerade gut genug, das menschenverachtende Tribunal zu eröffnen. Auszüge: „Jetzt ist er bei 'Nielage und Kappilation‘, ja 'rückblittend in die damalige Zeut‘ ist ihm ganz und gar das Artikulationsvermögen abhanden gekommen... Da ist überhaupt keine Trennschärfe im Rednermund, im Kuhmaul, das da mahlt, möchte man (!) sagen. (...) Und was J. hier produziert, ist Tod. Es roch nach Gas, nach Wortvergasung. (...) Da stand 'es‘ nun (so etwas wie eine wundersame Spätgeburt aus SS -Experimenten am 'deutschen Mann‘), er, körperlich ein Klotz, mäßig entwickelte Roboterbeweglichkeit in einem blauen Maßanzug, Brillenimitat vorm Glasauge, bloß die Lippen sind noch nicht recht belebt, er kaut und gurgelt die Wörter wie ein überfordertes Kind, ein behinderter Deutscher (...) die personifizierte Art der deutschen Auschwitzbewältigung, das ist eine Leerstelle im blauen Anzug, eine Nichtperson, ein Sprechautomat, ein unfertiger Sprechautomat, der ist Präsident ihrer Versammlung.“ Bleibt zu ergänzen, wie Theweleit dagegen die taz-Entgleisung „gaskammervoll“ kommentiert: „Was hat man von einer taz, die sprachliche Übertretungen mit dem Begriff 'Verantwortung‘ erschlägt, die den Versuch, radikal zu sprechen oder auch nur witzig oder auch nur 'rotzig‘, nicht der Ablehnung oder Zustimmung ihrer Leser überläßt, sondern mit dem Rausschmiß von 'Verantwortlichen‘, nämlich Redakteurinnen, beantwortet?“

Caven hat den Finger an die richtige Stelle gelegt: die Bereitschaft einiger Vertreter der kritischen Intelligenz, sich von eben dieser zu verabschieden und sich aufgeplusterten Nullen anzuschließen, wenn die nur recht „rotzig“ trommeln. Wir sollten uns die Zeit nehmen und die dabei produzierten Texte nicht nur zitieren, sonder analysieren.

Im prächtigen Doppelheft 8/9 von Niemandsland berichtet Sieglinde Kohlhammer, Kunsthistorikerin, Berlin-Mitte, vom X.Kongreß des Künstlerverbandes der DDR. „Eine Chronik“ heißt es im Untertitel, eine skandalöse erkennt man nach wenigen Minuten. Und so endet die Tagung: „Mit vierstündiger Verspätung wird endlich die Öffentlichkeit wieder zur Verkündung der Wahlergebnisse zugelassen. Der nunmehr wiedergewählte erste Verbandssekretär Horst Kolodziej scheint einer weiteren blamablen Situation vorbeugen zu wollen. Er hält eine kurze Dankesrede an Delegierte und neuen Vorstand, die er - im Tonfall der Begeisterung - mit dem Vorschlag Clauss Dietels zum neuen Präsidenten abschließt. Mitten hinein in den an dieser Stelle verläßlich zu erwartenden Applaus kürzt er die eigentlich noch bevorstehende Wahlprozedur ab, indem er die klatschenden Delegierten (rhetorisch) fragt, ob er ihren Applaus im Sinne der Akklamation als ihre Zustimmung zur Wahl dieses Kandidaten werten dürfe. Bevor die Delegierten bemerken, wie hier mit ihnen verfahren wird, ist Clauss Dietel schon von den gratulierenden Politbüro-Größen und Ministerialen umringt. Sofort anschließend wird in einer berührenden Geste Willi Sitte zum Ehrenpräsidenten des Künstlerverbandes der DDR auf Lebenszeit ernannt, die ihm geltende Ovation trennt die Delgierten um ein weiteres von dem soeben verübten Überrumpelungstrick ab. Verwirrt ('Ist er nun gewählt oder nicht?‘) hören sie der Dankesrede des neuen Präsidenten zu, der sein Amt mit einer tiefen Verbeugung und Danksagung an Kurt Hager und das durch ihn hier vertretene Politbüro der SED antritt. Der X.Kongreß des Verbandes der bildenden Künstler der DDR ist beendet. Das Gemunkel über ihn beginnt.“

Seinen kurzen, extrem lesenswerten Aufsatz „Das Dilemma der Aufklärung“ beginnt Rainer Schedlinski, Schriftsteller vom Prenzlauer Berg, mit den Sätzen: „Nicolae Ceausescu erhielt im Januar 1988 von der DDR den Karl Marx-Orden, für: 'Seine Verdienste um die Entwicklung Rumäniens zu einem führenden Industrieland mit einer leistungsstarken Landwirtschaft‘. Was soll man dazu sagen? Wie sollte man einem Text widersprechen, der nicht sagt, was er sagt, und der ausdrücklich durch sein Schweigen spricht? Wollte man argumentieren, daß in Rumänien gehungert würde, redete man an den Dingen vorbei, denn der Text sagt nicht, was er meint. Er ist deshalb buchstäblich unwiderlegbar - wollte man ihm wie einer Lüge oder einem Irrtum widersprechen - und was der Text ungesagt meint, ist keineswegs ein Irrtum oder eine Unwahrheit, sondern eine Geste der Sympathie für Rumänien, die ja eine unwiderlegbare Tatsache ist.

Der aufklärerische Geist ist also am Ende seines Lateins. Wollte er klüger sein, redete er an den Dingen vorbei, und wollte er über die Gesten reden, müßte er deren Schweigen verdoppeln, indem er das Thema verfehlte.

Es liegt in der Natur des aufklärerisch-opponierenden Diskurses, daß er die Vollkommenheit des herrschenden nie erreichen wird, denn er ist quasi dessen Schweigen entnommen, um dessen Nachtseite zu repräsentieren. Er stellt eine Marginalisierung des herrschenden Diskurses dar und folgt darin einem Paradox: er muß stets etwas Neues sagen, was der gegenüberliegende Diskurs im Verschwiegenen schon gesagt hat, und er muß etwas wiederholen, was nie gesagt worden ist. Hierin liegt eine List des herrschenden Diskurses, der sich darin quasi selbst auflauert, um sich in seinem Schweigen zu vervollkommnen.“ Diese Sätze im Kopf sollte man noch einmal Theweleits Jenninger-Interpretation lesen. Schedlinski liefert einem eine Erklärung für Theweleits Verfahren.

Im Heft 9 der Weimarer Beiträge geht es vor allem um „40 Jahre DDR-Kultur“. Einige Ansichten seien zitiert. Hans Kaufmann, Literaturprofessor in Berlin, meint: „Soll man die Losung 'Berührung ist nur eine Randerscheinung‘ (Titel einer in der BRD erschienenen Anthologie ungedruckter Lyrik aus der DDR) als Antithese zu 'Brüder, in eins nun die Hände‘ lesen, das im Verdacht steht, bloße ideologische Verhüllung dürrer Lebensprosa geworden zu sein? - Trägt es vielleicht jenen von Christoph Hein (in Ah Q) ironisch ausgestellten Widerspruch an sich, daß keine Botschaft zu haben seine Botschaft ist? (Der Sinn solcher Produkte erschlösse sich dann nicht aus einem 'Inhalt‘, sondern aus ihrem bloßen Sein in einer bestimmten gesellschaftlich-kulturellen Sphäre, das heißt durch den Verweis auf das, was sie verschweigen und was nötig wäre.) Findet der Verzicht auf Berührung nicht seine Ergänzung darin, daß die Vereinzelten sich im Stimmengewirr von Anthologien wiederfinden, durch die auf eine 'offizielle‘ Öffentlichkeit reagiert wird, von der man ausgegrenzt wurde oder sich ausgrenhzen wollte? So viele Gedichte, so viele Fragen. Das epochale Drama der Öffentlichkeit aber tut sich heute weder auf Bühnenbrettern noch in Lyrikanthologien kund, sondern auf Zeitungsblättern mit kyrillischer Schrift.“

Hans Richter, Professor in Jena, erinnert an Franz Fühmann: „Irgendwann Ende der siebziger Jahre. Fühmann stöbert in der Buchhandlung am Hochhaus, er hat abends eine Lesung 'bei Kirchens‘, wie er das nennt. Im Nu merke ich ihm an, wie sehr er sich aus der Öffentlichkeit des Landes ausgeschlossen fühlt. Seinem Gefühl begegne ich mit meiner Meinung über seinen unanfechtbaren Rang in unserer Literatur. Er lächelt ungläubig und bitter; die Finger arbeiten inzwischen ruhelos an den Henkeln des Plastekorbs. Im dunklen Morgen des nächsten Tages treffen wir uns wieder unversehens auf dem Bahnsteig, wechseln Grüße und Wünsche und fahren in verschidenen Waggons des gleichen Zuges Richtung Berlin...

Oktober 1982. Nach monatelangem Hin und Her gilt: Fühmann darf als Gast der Sektion Literatur- und Kunstwissenschaft in eine geschlossene Gesellschaft geladen werden. Er will aus Saiäns-Fiktschen lesen, läßt sich aber gern zu Proben aus dem Trakl-Essay bewegen. Als ich ihn vom „Schwarzen Bären“ abhole, erfahre ich, daß die für den Vorabend öffentlich angekündigte Lesung in der Abbe-Bücherei 'wegen eines Rohrbruchs‘, der offenbar auch alle anderen denkbaren Veranstaltungsräume der Stadt betraf, ausfiel.“

Die Sprache der Gesten und ihr Verhältnis zu Wahrheit, Lüge und Macht scheint der rote Faden dieser Zeitschriftenschau geworden zu sein.

Rüdiger Bernhardt, Professor in Halle-Neustadt, erklärt in einem Gespräch am runden Tisch über „40 Jahre DDR -Literatur“: „Zwischen der offiziell ausgestellten gesellschaftlichen Entwicklung und der in der Literatur vorhandenen Wirklichkeit gibt es heute gravierende Unterschiede; die wichtigsten Bestandteile der Strategie finden sich in der Literatur entweder überhaupt nicht oder als Reduktion einstiger Ideale. Viele Vorgänge aber, die als Errungenschaften gepriesen werden, thematisiert die gegenwärtige Literatur nicht einmal. Sind wir erneut in ein Vorfeld von Neuordnung gekommen?“

Enden möchte ich mit ein paar Sätzen von Gabriele Lindner aus Berlin: “'Grenzüberschreitung‘ ist zu einer auffälligen Metapher nicht nur in der Lyrik geworden. Auch die neue Erzählung von Uwe Saeger ('Das Überschreiten einer Grenze bei Nacht‘, 1989) enthält sie. Der banale Vorgang, der da erzählt wird, gerät durch diese Metapher und wie sie sich in der Erzählung zusammensetzt zu einem zeitgemäßen Sinnbild, das Tragik und Hoffnung einschließt. Da richtet einer schlimmen Schaden an bei Menschen und ist kein Bösewicht, wird Opfer, leidet und versteht nicht, wieso. Die eigenen Grenzen zu überschreiten als Chance. Und wehe, wenn es nicht gelingt. Es sind ganz andere Lesarten der Erzählung möglich. Mir ist eine in dieser Richtung wichtig, weil ich eine Menge Vorgänge in der Gesellschaft finde, über denen die Metapher ebensogut stehen könnte...“

Zeno - Zeitschrift für Literatur und Sophistik, Heft 12, 96 Seiten, 8 DM. Trifelsstraße 40b, 6718 Grünstadt

Niemandsland Heft 8/9, 236 Seiten mit zahlreichen s/w Fotos, 16 DM, Verlag Dirk Nishen.

Weimarer Beiträge Heft 9, 1989, Aufbau-Verlag

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