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„Die Grünen sind es Wert, daß man sich dafür opfert“

■ Thomas Krämer-Badoni, Professor für Soziologie an der Bremer Universität, war ein Jahr lang im Vorstand der Bremer Grünen / Hat sich das gelohnt? Eine Bilanz

Der Vorstand der Grünen, zu dem Du vor einem Jahr kandidiert hast, wollte die intellektuelle Meinungsführerschaft der Grünen in der Stadt herauskehren. Habt ihr was erreicht?

Thomas Krämer-Badoni: Wir hatten das vor, und wir haben auch einiges in dieser Richtung gemacht. Es war ein Vorstand, in dem viele Akademiker waren, da lag das nahe.

Worum ging es?

Krämer-Badoni: Die Grünen sind angetreten in einer Phase, in der Politikmüdigkeit herrschte, Verlust sei es auch nur sozialdemokratischer Perspektiven...

Anfang der 80er Jahre?

Krämer-Badoni: Ja. In einer solchen Phase wollten sie als die Partei der Nicht-Organisierten an der Integrität von Politik festhalten. Offene sachbezogene Auseinandersetzung statt Kungeleien. Die Grünen verkörperten den Anspruch, all das zu vermeiden, was einem einfällt, wenn man an Politik und Parteien denkt..

Das ist ja nun lange her...

Krämer-Badoni: Das ist lange her. Diese Partei ist in Gefahr geraten, eine Partei wie alle anderen zu werden. Als ich zu dieser Kandidatur überredet wurde, hatte ich die Vorstellung, hier eine intellektuelle Öffnung zu befördern. Wir haben das versucht mit spezifischen Thematiken. Zum Beispiel haben wir über den Antifaschismus debattiert, wir haben gegen den klassischen, kruden Antifaschismus mit den „Weg mit„'s die Frage aufgeworfen, aus welcher Situation heraus neue Faschismen entstehen und auch: wieviel sie mit der eigenen Situation, auch dem eigenen Handeln zu tun haben.

Da gab es ein Hearing...

Krämer-Badoni: Ja. Wir haben das im Vorstand diskutiert, und wir sind überall dort in die entsprechenden Gruppierungen gegangen, wo das diskutiert wurde. Und wir haben an einem Podium teilgenommen, an dem auch die DVU beteiligt war. Ich denke, man kann nicht mehr sagen: Wir nehmen die nicht wahr, wir schneiden die, sondern man muß die Motive, auf die Rechte rekurrieren, ernst nehmen, und man muß sich öffentlich mit ihrem Repräsentanten auseinandersetzen.

Die Grünen haben ihr Potential vor allem im Bereich der Kultur, der Bildung und der Wissenschaft. Ist da die neue Vorstandsarbeit wahrgenommen worden?

Krämer-Badoni: Ich glaube nicht, daß sich grundsätzlich etwas geändert hat. Aber wir haben eine Reihe von Veranstaltungen gemacht, ein kulturpolitisches Hearing.

Eine politische Partei ist kein Bildungsverein, eine Partei müßte intervenieren in die Stadtpoliik..

Krämer-Badoni: Die Grünen haben eine numerisch verhältnismäßig starke Fraktion, der größte Teil der kommunalpolitische Aktivitäten wird durch die Fraktion abgedeckt. Der ehrenamtliche Parteivorstand, also die Partei selber, ist gar nicht in der Lage, wirklich in Kommunalpolitik zu intervenieren - das wäre ein fulltime -Job. Der Vorstand hat dafür zu sorgen, daß die Partei zusammengehalten wird und daß bestimmte Thematiken, Identifizierungspunkte entwickelte werden.

Dieser Vorstand ist schließlich dann doch im traditionellen Parteischlamassel - Stichwort Bremerhaven - gelandet.

Krämer-Badoni: Das ist für mich persönlich eine der enttäuschenden Erfahrungen dieser politischen Arbeit.

Was für eine Zukunft haben die Grünen? Der Umbruch in den „sozialistischen Ländern“ macht die Linken auch in den Grünen sehr ratlos...

Krämer-Badoni: Da sind alle im Moment etwas ratlos. Bis auf die, die nur selbstgerechte Bestätigung suchen. Für die Linke ist diese Ratlosigkeit - die Grünen bestehen nicht nur aus Linken - auch eine konzeptionelle. Was entwickelt sich für ein Gesellschaftsbild, was für eine Utopie gibt es noch? Der „reale Sozialismus“ war nie so eine Utopie, aber er hatte deren Funktion. Es gab eine distanzierende Identifizierung: „so nie“, aber die Tatsache, daß es solche Staaten gab, die beanspruchten, eine sozialistische Gesellschaft zu entwickeln, war auch für die innenpolitischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik von großer Bedeutung. Das fällt jetzt weg.

Auf dem grünen Strategiekongreß in Saarbrücken demnächst wird es eine Arbeitsgruppe „Ökologischer Kapitalismus“ geben. So deutlich wurde dieser Begriff in der Programm -Debatte bisher nicht verwandt.

Krämer-Badoni: Auch wenn es eine rhetorisch radikale Kritik am Kapitalismus gab, hat es bei den Grünen nie einen fundamentalen Dissens zu dieser Gesellschaft gegeben. Faktisch, wenn es um alternative Initiativen, alternatve Produktion ging, ließ man sich auf den Kapitalismus ein. Das erscheint deswegen jetzt vielleicht als radikalere Formulierung, ist aber das, was die Grünen immer gewesen sind.

Was wird aus der basisdemokratischen Identität der Grünen, wenn der Ruf nach dem starken Staat - was ökologische Kontrolle angeht - sich immer mehr auf Brüssel, auf zentralistische europaweite Strukturen ganz weit oben beziehen muß?

Krämer-Badoni: Das Dilemma ist noch viel schärfer. Basisdemokratie ist eine Sache, der Ruf nach dem starken Staat - übrigens nicht nur in der Ökologie, auch bei der Verkehrsüberwachung, mehr und höhere Strafen, mehr Polizei ist die andere Sache. Da gibt es konzeptionelle Mängel. Diese Partei hat letztlich auch keine andere Vorstellung vom Staat als eine in der Tendenz autoritäre. „Wir sind basisdemokratisch, aber wehe, wenn wir den Staat haben...“, so könnte man das umschreiben. Dann gerät man nämlich in Versuchung, mit Gesetzen, Verordnungen, Kontrollen das durchzusetzen, was man für vernünftig hält.

Vor vier Wochen bist Du vom Landesvorstand der Grünen zurückgetreten, weil Du ein Forschungssemeser hast - würdest Du nochmal kandidieren?

Krämer-Badoni: Wenn man die Landesvorstandsarbeit ernsthaft betreibt, kann man nicht nebenher Hochschullerer sein, denn das ist ebenfalls ein fulltime-Job. Ich war mit beiden Tätigkeiten unzufrieden. Ich würde aber jedem meiner Kollegen empfehlen, das mal zu machen und sich der Strapaze ein Jahr zu unterziehen. Das sind die Grünen wert, daß man das dafür opfert.

Int.: K.W.

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