: Airbus-Endmontage: To win or Toulouse?
Streit im europäischen Airbus-Aufsichtsrat um MBB-Vorschlag zur Endmontage in Hamburg ■ Aus Paris A. Smoltczyk
Internationale Arbeitsteilung oder ein mittelschwerer Fall von Hijacking? Der Ton in den Kommuniques der französischen „Aerospatiale“ in Sachen Airbus-Transfer legt letzteres nahe. Ende letzter Woche trafen sich die Partner des europäischen Airbus-Konsortiums, auch um eine neue Runde in einem seit längerem schwelenden Streit einzuläuten.
Seit mehreren Monaten nervt Messerschmitt-Bölkow-Blohm als Muttergesellschaft der Deutschen Airbus ihren französischen Partner im europäischen Airbus-Konsortium mit einem Vorschlag: die komplette Endmontage des Airbus A 320 in Hamburg durchzuführen. Die Begründung: Dadurch könne man auf die kostspieligen Zickzack-Transporte der Flugzeugtorsos zwischen den beiden heutigen Produktionsstandorten Hamburg (Innenausstattung) und Toulouse (Endmontage) verzichten. Im Gegenzug könnte nach dieser Lesart die Innenausstattung der künftigen Langstrecken-Versionen A 330 und A 340 von Hamburg nach Toulouse verlagert werden, mithin zwei komplette Endfertigungslinien entstehen. Aerospatiale lehnt dieses Ansinnen ab, und bei der Aufsichtsratssitzung des Europäischen Firmenkonsortiums am Freitag in Toulouse lagen die Konflikte auf dem Tisch. Der MBB-Vorschlag wird von Aerospatiale als „industrielle Absurdität“, als „Schimäre“ und „finanzielle Katastrophe“ gewürdigt. Hauptargument: Eine weitere Spezialisierung innerhalb des Konsortiums wäre an sich zwar wünschenswert, doch würden die Kosten eines Umzugs mitten in der Produktionsreihe die Einsparungen weit überschreiten. MBBs Zahlen seien, heißt es, „unrealistisch“ und „abwegig“.
Die Meinungsverschiedenheiten zwischen MBB und Aerospatiale waren am Freitag so deutlich, daß eine weitere Expertenkommission bestellt wurde. Die Bundesdeutschen hoffen, daß Kanzler Kohl beim nächsten deutsch-französischen Gipfel am 4. November Frankreichs Präsidenten umstimmen kann - zur Not über Zugeständnisse in anderen Wirtschaftsbereichen (Aerospaciale ist im Gegensatz zum British Aerospace und der Deutschen Airbus nach der Privatisierung ein Staatsbetrieb).
Die Franzosen setzen demgegenüber auf die kommunikative Vernunft und die Aussagekraft der Zahlen. Sie wollen eine „Regelung des Problems unter Industriellen“, nicht unter Politikern. Aerospatiale-Chef Henri Martre: „Über die Grundfrage sind sich die Partner einig. Wenn man zu einer Fertigung findet, bei der Montage und Ausstattung zusammenfinden, kann Geld eingespart werden. Das bestreiten wir nicht. Das Problem heute ist die schon bestehende Fertigungsstraße. Der deutsche Vorschlag ist extrem kostspielig, eine entsprechende Investition wäre unrentabel.“ Die Einsparungen durch den Wegfall des zeitaufwendigen Transports von Toulouse nach Hamburg würden nur 4,5 Millionen Dollar ausmachen, statt, wie MBB errechnet hat, 23 Millionen. Die Einrichtung einer zweiten Montagestraße in Hamburg würde dagegen, so die französischen Zahlen, 400 Millionen Dollar ausmachen (MBB spricht von 147 Millionen), dazu kämen noch 100 Millionen für neue Investitionen in Toulouse.
Aerospatiale hat darüber hinaus kein sonderlich großes Vertrauen in die Flexibilität Messerschmidtscher Produzenten. MBBs Projektion spricht von einer Kadenz von 40 Tagen für einen Airbus made in Hamburg. Boeing, die Großmeisterin in Sachen Flugzeugbau, braucht gegenwärtig, nach 1.500 produzierten Stück, noch 43 Tage, um eine „737“ zu basteln. „MBB, die keinerlei Erfahrung in diesem Bereich hat, gibt also vor, es besser zu machen als Boeing!“, lacht man bei Aerospatiale skeptisch. Sie vermuten das Gegenteil: die zwangsläufig auftretenden Reibungsverluste bei einer vorübergehenden Endmontage an zwei Orten (noch Toulouse und schon Hamburg) würde zu Lieferverzögerungen und einer Behinderung der Entwicklung des neuen Airbus „321“ führen. „Wenn die Operation beschlossen wird, würde Airbus mit Sicherheit in zwanzig Jahren mühsam und kostspielig erworbene Marktanteile verlieren“, resümieren die Franzosen und hoffen, daß die anderen Airbuspartner, die British Aerospace und die spanische Casa, sich ihrer Position der Vernunft anschließen werden. Denn alle Kosten über die reinen Investitionen hinaus, müßten, so Aerospatiale, vom gesamten Konsortium getragen werden.
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