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Manchmal heißt schweigen soviel wie lügen

■ Walter Jankas erste öffentliche Rede seit 1956

Lassen Sie mich in einer kurzen Erklärung Dank sagen an alle, die beigetragen haben, daß in diesem geschichtsträchtigen Haus eine Lesung aus dem Buch Schwierigkeiten mit der Wahrheit stattfinden konnte. Und selbstverständlich danke ich sehr herzlich Herrn Ulrich Mühe für seinen brillanten Vortrag - und Herrn Dieter Mann, der sein Theater für diese Veranstaltung zur Verfügung stellte.

Auch allen Freunden im Filmverband muß ich aufrichtig danken, daß sie in unserer Presse erstmalig ein Kommunique veröffentlichen ließen, in dem „die zuständigen Organe“ aufgefordert werden, einen alten Marxisten zu rehabilitieren. Gleichzeitig das Ministerium für Kultur ermutigen, die „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“ auch in der DDR erscheinen zu lassen.

Nun: Was immer zuständige Organe tun oder unterlassen oder verdorben haben, ich betrachte die in dieser Lesung in diesem Haus und die im Kommunique des Filmverbandes zum Ausdruck gebrachte Solidarität als moralische Rehabilitierung, die mir hundertmal mehr wert ist, als alles, was noch zuständige Organe veranlassen könnten.

Erlauben Sie mir, daß ich einmal nicht Marx oder Lenin zitiere, sondern, auch in meiner Eigenschaft als alter Spanienkämpfer, den großen Philosophen, Schriftsteller und Dekan der Universität von Salamanca Miguel de Unamuno sprechen lasse. In seiner letzten und unversöhnlichsten Rede, die für alle Zeiten in die Geschichte der Kulturschaffenden eingegangen ist, mit Arrest bis zu seinem Tode bestraft wurde, rief er den damals Allmächtigen zu: „Manchmal heißt schweigen soviel wie lügen. Schweigen kann als Zustimmung gedeutet werden... Es ist mir eine schreckliche Vorstellung, daß ein General die Psychologie der Massen diktieren sollte...“

Man mag einwenden, daß diese Worte zu einer anderen Zeit, unter gänzlich anderen Bedinungen gesprochen wurden. Das ist wahr. Und doch meine ich, daß sie für das Heute und Morgen wie ehedem bittere Mahnung sind an alle Intellektuellen und an alle bewußten Arbeiter, die in unserem Land für Menschlichkeit und Sozialismus arbeiten und streiten. Darum rufe ich allen Mitbürgern zu: Kämpft, wie es jedem liegt. Kämpft mit dem Wort, mit der Feder, mit der Kunst, mit Euren Fähigkeiten an den Werkbänken in unseren Fabriken, auf den Bauplätzen und Feldern unserer Republik.

Und jetzt muß ich doch noch an Marx erinnern. Kämpft für eine „Assoziation, in der die Freiheit eines jeden die Bedingung für die Freiheit aller ist“. Kämpft um bessere Lebensqualität. Kämpft, damit die Ästhetik unserer Gesellschaft wieder allen bewußt wird, Voraussetzungen schafft, um jene in den Ruhestand zu versetzen, die uns einen ideologischen Scherbenhaufen hinterlassen, über Jahrzehnte unsere Medien diskreditiert und Andersdenkende immer sofort kriminalisiert haben. Wenigstens einigen muß ohne Wenn und Aber das Wort sofort und endgültig entzogen werden, um verlorengegangene Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Dann wird es auch in naher Zukunft möglich sein, Betonmauern und Stacheldraht - hinter dem sich doch kein sozialistischer Paradiesgarten kultivieren läßt bedenkenlos niederzureißen, ohne daß uns die Jugend und die Zukunft davonläuft.

Ich ende mit dem Ruf, der uns deutschen Antifaschisten, den spanischen und internationalen Freiwilligen in den schwersten Jahren immer wieder Mut machte, als wir rund um Madrid, Teruel, Saragossa und am Ebro noch Siege erkämpfen konnten: Venceremos!

28.Oktober 1989Walter Janka

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