: Gegen den „Himmlischen Frieden“ der Maschinengewehre
■ Die Ostberliner Tageszeitung 'Der Morgen‘ sprach mit Walter Janka. Hier Auszüge aus dem Interview
Der Morgen: Ihre Erinnerungen haben nicht nur Zeitwert, sondern sind höchst aktuell. Hat das mit dem Interesse für bisher unbewältigte DDR-Geschichte zu tun?
Walter Janka: Es ist zutiefst traurig, wenn Menschen unsere Geschichte, die sehr bitter und hart ist, mit allem Wenn und Aber, nicht kennen. Weil unsere Geschichtsliteratur für Tabu erklärt, was nicht ins bisherige DDR-Bild paßt. Damit muß Schluß sein, Historie muß gründlich aufgearbeitet werden. Das ist eine berechtigte Forderung. Der Jugend gilt meine ganze Hoffnung. Die Macht in ihren Händen kann die Gesellschaft verändern. Und zwar nicht rückwärts zu einer Ordnung, die man als menschlich, sozialistisch, als fortschrittlich und freiheitlich bezeichnen kann. Wir Alten haben die Plicht, unsere letzten Tage dafür zu nutzen, den nachfolgenden Generationen Mut zu machen. Mit für den Kampf um Meinungs- und Demonstrationsfreiheit, für Streiks, da wo sie notwendig sind. Der Sozialismus braucht demokratische Verhältnisse mit mehr Menschenrechten, als sie der Kapitalismus jemals einräumen kann. Wer von uns will einen „himmlischen Frieden“ erleben - Sie wissen, was ich meine. Ich schäme mich dafür, daß ausgerechnet Repräsentanten unseres Staates lächelnd denen die Hand schüttelten, die Maschinengewehre aufstellten, um Studenten wegzuschießen. Warum wurde das bejubelt?
Es mußten Jahrzehnte vergehen, bis Sie offen über Ihre Biographie sprechen konnten. Empfinden Sie das als eine Art Rehabilitierung?
Im Zusammenhang mit Diskussionen um die Ereignisse in Ungarn 1956 und die Entlarvung Stalins auf dem XX.Parteitag der KPdSU wurde ich 1956 verhaftet. Vier Jahre und vier Wochen war ich in Bautzen inhaftiert, habe mich aber niemals schuldig bekannt. Bis heute schlugen alle meine Versuche fehl, diesen verleumderischen Prozeß aus der Welt zu schaffen. Den Vaterländischen Verdienstorden nahm ich im Mai diesen Jahres dennoch entgegen. Ich wollte nicht als unversöhnlich gelten. Am liebsten allerdings würde ich über Nacht alle Orden abschaffen. Was mir für die Zukunft Hoffnung gibt: Der Drang nach Demokratisierung erfaßt nicht nur Intellektuelle, sondern das ganze Volk. Wir müssen diesen Prozeß vor Provokateuren schützen, ihn gewaltfrei machen.
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