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Wahlentscheidung am Groschenautomaten

Japans regierende LDP-Partei schließt Neuwahlen für dieses Jahr nicht mehr aus / Ein neuer Skandal namens „Pachinko“ hat nun die bisher verschonten Sozialisten erwischt / In Wahrheit stecken die Konservativen viel mehr drin / Politik ist eben auch Glücksspiel  ■  Aus Tokio Georg Blume

Es ist ein einfaches, harmloses Spiel. Viele JapanerInnen lieben es. Der Pachinko ist ein Groschenautomat. Die SpielerInnen bewegen den Hebel mit fein dosierter Kraft, und schon fliegen erbsengroße Metallkugeln in ein glitzerndes Labyrinth aus kleinen gesteckten Nägeln. Das scheppert und klirrt. Soziologen sagen, beim lärmigen Pachinko suchen JapanerInnen die Einsamkeit in der übervölkerten Großstadt. Damit ist jetzt Schluß. Denn nun gibt es eine „Pachinko -Affäre“ - in der hohen Politik. Am Wochenende wurden erste Früchte geerntet: „Viel früher als im Januar“ können das japanische Parlament aufgelöst und Neuwahlen einberufen werden, verkündete Ichiro Ozawa, Generalsekretär von Nippons Liberal Demokratischer Partei (LDP) bei einer Pressekonferenz in Gegenwart von Premierminister Toshiki Kaifu. Das war neu: Die Regierungspartei verzichtet auf ihre bisherige Verzögerungstaktik und nimmt deutlich Kurs auf Neuwahlen, die von den Oppositionsparteien schon seit der Enthüllung des Recruit-Cosmos-Skandals und verstärkt nach dem sozialistischen Wahlsieg bei den Oberhauswahlen im Juli gefordert werden. Turnusgemäß sind die entscheidenden Unterhauswahlen im Frühjahr 1990 fällig. Doch erst ihr raffiniertes und wenig harmloses Pachinko-Spiel brachte der LDP die neue Selbstherrlichkeit. Die erste Kugel schoß die Regierung bereits im August ab - mit Hilfe der populären Wochenzeitung 'Shukan Bunshun‘. Nach Informationen, deren Herkunft später im Polizeiministerium geortet wurde, beschuldigte das Blatt die Sozialistische Partei Japans (SPJ), Gelder von der Pachinko-Industrie erhalten zu haben. Im Gegenzug habe die SPJ dann neue Gesetzesvorhaben zur Regelung des Spiels blockiert. Im übrigen habe die SPJ dabei Gelder von einer koreanischen Pachinko-Inhaberorganisation erhalten, was nach japanischem Gesetz verboten sei. Diese „Enthüllungsgeschichte“ verklang damals nahezu ungehört in den Reihen einer sozialistischen Partei, die sich nach den Oberhauswahlen noch im Siegesrausch befand. Deshalb setzten andere Medien, wieder mit Hilfe von Regierungsinformationen, nach. Das Pachinko-Spiel nahm seinen Lauf. Wo aber Pachinko gespielt wird, herrscht Fließbandlärm. Das ewige Rattern der Kugeln, Lautsprecheransagen, der entfernte Widerhall von Popmusik umgeben die Spieler in jeder von Nippons 14.000 Pachinko-Hallen. Sprechen ist zwecklos. Ebenso zwecklos schien es bald für die Sozialisten, den Vorwürfen entgegenzutreten, die nun wie Pachinko-Kugeln auf die Partei einprasselten. Von einem „zweiten Recruit-Cosmos-Skandal“ war jetzt die Rede. Medial geschickt und mit politischer Hinterlist führten die regierenden Liberal-Demokraten erst in der vergangenen Woche den letzten Akt der Affäre auf. Da gaben sie endlich bekannt, daß ihre eigene Partei ebenfalls 1,5 Millionen Mark an Spendengeldern von der Pachinko -Industrie kassiert hatte - etwa ein Zehnfaches des Geldes, das die Sozialisten bekommen haben sollen (etwa 140.000 Mark). Doch da war die Öffentlichkeit schon von der dreiwöchigen Parlamentsdebatte auf Kosten der Opposition geeicht. Tatsächlich geht es im Geschäft zwischen Politikern und Pachinko-Industrie nicht um die lächerlichen Spendengelder an die Parteien. Offizielle 130 Milliarden Mark Umsatz bringt das Pachinko-Geschäft im Jahr. „Das entspricht etwa den Erlösen aller japanischen Auto-, Fernseher- und Videorecorderexporteure“, stellte die 'New York Times‘ vor kurzem fest. Die Tokioter Tageszeitung 'Nikkei‘ schätzt den Pachinko-Umsatz dagegen auf über 300 Milliarden Mark. Dieses Geld floß bisher vornehmlich durch die Hände einer Organisation, deren Kontrolle für die Regierung nicht immer einfach war. Dem „Zenyu-kyo„ -Unternehmerverband gehörten oft Koreaner an, denen die Führung vieler Pachinko-Hallen nach dem Krieg als damals minderwertiges Geschäft zugefallen war. Heute will die Tokioter Regierung - synonym mit der LDP - diesen Unternehmerverband entmachten, um besser von den Pachinko -Milliarden zu profitieren. Dazu wurde im vergangenen Jahr die neue Unternehmerorganisation „Zen-Nichi-Yu-Ren“ für Spielhallenbesitzer gegründet, der heute ausnehmlich Abgeordnete der LDP vorsitzen, und die bereits 67 ehemalige Beamte des Polizeiministeriums beschäftigt, wie das 'Asahi -Journal‘ erst vergangene Woche berichtete. „Das eigentliche Problem liegt nicht im Verhältnis zwischen den Sozialisten und der Pachinko-Industrie, sondern in den undurchsichtigen Machtstrukturen zwischen der Polizeibürokratie und den Pachinko-Unternehmen“, folgert das 'Asahi-Journal‘. Doch die Aufklärung kommt zu spät. Erstmals seit zehn Monaten schenkten im Oktober nach einer 'Asahi'-Umfrage wieder über 50 Prozent der befragten JapanerInnen ihr Vertrauen der regierenden LDP. Währenddessen verloren die Sozialisten an Zuspruch. Sie kann es nur wenig trösten, daß sie dort verloren, wo die meisten JapanerInnen ihr Geld lassen: im Pachinko-Spiel.

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