piwik no script img

Biermann ausge-krenzt

Die Grenzer der DDR lassen sich auch im Gewühl des U-Bahn -Übergangs Friedrichstraße von Tausenden von Grenzgängern nicht aus der gewohnten Ruhe bringen. „Herr Biermann, Ihre Einreise in die Deutsche Demokratische Republik ist nicht gestattet.“ Neben Wolf Biermann bleibt auch Ralf Hirsch, der nach der Rosa-Luxemburg-Demonstration im Februar 1988 aus der DDR ausgebürgert wurde, an diesem Samstag aus seiner alten Heimat weiterhin ausgesperrt. Als sich die beiden noch einmal umdrehen, um einen Blick auf die „Krenz-Organe“ zu werfen, ist nur noch das Klicken einer Kamera zu hören - und die gehört keinem Westphotographen, sondern den unscheinbaren Herren der „Firma“ Stasi, die es nicht unterlassen wollen, bildmäßig auf dem neuesten Stand zu sein.

Noch etwas geschafft von der Aufregung stehen Biermann und Hirsch nun in dem Gang. Besonders Biermann ist die Enttäuschung anzumerken. Wirklich gerechnet hatte er selber nicht mit einer Rückkehrerlaubnis, doch ein bißchen geheime Hoffnung hatte schon mitgeschwungen. Vielleicht deshalb auch wollte er keine Westkameras und Reporter um sich haben, als er den Versuch unternahm. „Ich bin ja von Bärbel Bohley eingeladen worden und nicht von Krenz und seinen Freunden, da konnte ich mir schon ausrechnen, daß meine Einreise nicht ohne weiteres möglich sein wird nach 13 Jahren.“ Biermann läßt noch einmal seine DDR-Geschichte Revue passieren. „Vor 25 Jahren wurde ich verboten, ausge-ulbrichtet, 1976 in den Westen ausgehoneckert , und jetzt ausgekrenzt. Aber auch das ist nicht das letzte Wort.“

Findet er noch an Honecker einen menschlichen Zug, weil der ihm 1982 erlaubte, den auf dem Sterbebett liegenden Freund und Philosophen Robert Havemann in Ost-Berlin zu besuchen, ist Krenz für ihn das rote Tuch. Sein Ausspruch über das „fleischgewordene Symbol, die DDR zu verlassen“, den er am Freitagabend in der Talkhow von Lea Rosh geprägt hatte, bringt ihm aber nicht nur Freunde ein. Auch hier, an der Friedrichstraße, ist Biermanns Urteil über Krenz umstritten. „Wer hätte das von Gorbatschow geglaubt, man muß auch dem Krenz eine Chance geben“, meldet sich eine Stimme aus dem DDR-Rentnervolk zu Wort.

Sitzt Biermann wieder einmal zwischen allen Stühlen? Das ist er gewohnt. „Natürlich sollen Menschen sich ändern dürfen. Wenn so ein Mensch wie Krenz sich tatsächlich geändert hätte, dann würden wir es anerkennen. Wir würden es sogar an den bescheidensten Details erkennen wie, zum Beispiel, am Freitag bei seiner Ansprache. Im Grunde habe ich daraufgehofft, daß er einen Hauch von Selbstkritik äußert. Er war ja der Mann, der das Massaker in Peking bejubelt hat, er war der Mann, der die Pogrome am 40. Jahrestag zu verantworten hat. Er war der Mann des Wahlbetrugs. Wenn er als Mensch einen Anfang machen will, ist es doch nicht zuviel verlangt, zu sagen: Liebe Freunde, ich bin nicht mehr meiner Meinung. Es tut mir leid. Ich will es ändern. Dann würde er sich als Mensch zeigen. Doch das ist bei ihm nicht zu sehen. Er selbst kippt sich aus dem Widerspruch von Liebe und Haß heraus.“

Am Bahnhof-Zoo angekommen, surren sie endlich, die gewohnten Kameras: SFB, ZDF stellen ihre Fragen. Will er wirklich wieder eingebürgert werden, drüben? Nein, das sei nicht die Frage, es sei doch eine ganz private Frage, wo ein „Mensch seine 140 Pfund Fleisch zur Nacht niederlegt“. Das sei doch gerade eine Qualität dieser Entwicklung, daß nicht mehr gefragt werden muß, wo einer leben möchte. Konzerte geben - ja, und etwas Bescheideneres, einfach seine Meinung sagen und den edlen Meinungsstreit beginnen. Wieder zitiert Biermann die Worte des Grenzbeamten und treibt seinen Spott mit dem „Auskrenzen“ seiner selbst. An dem Egon Krenz wird er auch in Zukunft kein gutes Haar lassen.

Erich Rathfelder

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen