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SCHNAUZE VOLL DEUTSCHLAND

■ ZATA spielt „Aporee“

„Ich will im Winter nach Kuba“, sagt die junge Frau mit dem grobgehäkelten Ohrenwärmerstirnband in WeinRot, „am liebsten mit einer Gruppe, nur nicht touristisch.“ Ihr Gegenüber im Reisebüro sieht aus, als sei sie diese Sorte Kummer gewöhnt. „Sprichst du Spanisch?“ fragt sie immerhin noch kurz und empfiehlt, als das selbstverständlich verneint wird, „doch eher eine Pauschalbuchung“ vorzunehmen. „Von mir aus auch pauschal, aber eben nicht touristisch“, beharrt mit workshopgeprüftem Selbstbewußtsein die junge Reiseversessene auf ihrem liebgewordenen Selbstbetrug, und die professionelle Fluchthelferin schickt einen Blick gen Himmel und fügt sich drein.

Im jüngsten Stück des ZATA-Theaters, Aporee, fegt dergleichen von der Straße durchaus bekanntes, abgehetztes Personal über die Bühne. Zwei Frauen, zwei Männer, die nichts verbindet außer diesem: Schnauze voll, Weg-weg-weg -wollen, irgendwohin, scheißegal wo, überall ist es besser als da, wo man ist. Auf ins Land der Träume, selbst wenn es unbewohnbar ist, wüst und leer, ein neues Leben muß her, koste es, was es wolle, nur keine Maschine mehr sein, keine Tante Murante, kein Hamster im Rad.

Aber so leicht entkommt man nicht. Das alte Leben reist mit als Hypothek im Rucksack wie im Samsonite. Die hilflos -gläubige Beschwörung, daß man ein anderer werde, indem man den Ort wechselt, kriegt Prügel von der Wirklichkeit, die Widersprüche platzen auf wie Geschwüre, und die Neurosen blühen: „Kann man seine Eltern mit nach Aporee nehmen?“

Heillos verstrickt sind die Figuren, die Erkenntnis, daß der Dampfer ins Glück ein falscher ist, wird verbissen geleugnet. Da kommt ein Schwarzfahrer, ein blinder Passagier gerade recht: das gefundene Fressen für die kollektive Hackordnung, das Ventil, durch das die enttäuschte Sehnsucht (der eben Täuschung zugrunde lag) entweichen kann: tief durchatmen und richtig zu(sammen)schlagen, das befreit und erfrischt.

ZATA spielt Aporee in einer Art Menagerie. Das Publikum darf in den Käfig gucken, und die Frage, auf welcher Seite des Gitters die Affen sitzen, bleibt offen. Fünf Schauspieler und ein Musiker führen Machtspiele vor, und der scharfe, analytische Blick offenbart nichts Edles und Schönes. Keiner Wunder, daß sich Widerstand regt im Publikum, denn auf der Bühne werden die Lebenshilfekrücken unvermittelt weggetreten, und die Landung ist hart. Die Fluchten, zum Beispiel in Lalalaliiiiiebe oder, wenn nichts mehr geht, in die debile Begeisterung übers Gebärenkönnen („Es hat Mama gesagt!“) werden mit böser Komik und dem Blick fürs Wesentliche nachgezeichnet, da bleibt nichts übrig vom Guten und Wahren als der Warencharakter, als die umfassende Verfügbarkeit - also das, was gemeint ist, wenn im Kapitalismus von Freiheit die Rede ist.

wiglaf droste

ZATA, Aporee, von Dirk Szuszies, frei nach Hans Erich Nossacks Novelle „Ein glücklicher Mensch“, Mi bis So jeweils ab 20.30 Uhr im neuen Spielort RAMMZATA, Fidicinstr. 40, 1/61.

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