: Öffnung nun auch in Bulgarien
■ Parteichef Todor Schiwkow ist zurückgetreten / Sein Nachfolger, der Außenminister Mladenow, will Perestroika einleiten / Die Opposition fordert die Aufgabe der Führungsrolle der Partei
Berlin (afp/taz) - Mit dem Rücktritt des bulgarischen Partei - und Staatschefs Todor Schiwkow soll nun auch in Bulgarien das Zeitalter der Perestroika ausbrechen. Schiwkow, der über 35 Jahre lang das Land beherrschte und es wie kein anderer Chef einer kommunistischen Partei verstand, sich allen in Moskau entwickelten Linien geschmeidig anzupassen, mußte vor dem Plenum des Zentralkomitees am Freitag das Handtuch werfen. Schon kurz nach der Wahl von Gorbatschow zum Generalsekretär kündigte der Parteichef Veränderungen in Bulgarien an, doch es blieb beim Reden. Substantielle Veränderungen gab es nicht.
Und die sollen nun durchgesetzt werden. So jedenfalls forderte es der neue Mann an der Spitze der Partei. Außenminister und Mitglied des Politbüros Petar Mladinow (53) präsentierte sich kurz nach seiner Wahl als ein Mann, der zur „Restrukturierung keine Alternative sieht“. Es sollte einen „Meinungspluralismus“ geben, um die Probleme Bulgariens zu lösen. Doch eine Demokratisierung wie in Polen oder Ungarn steuere er nicht an. Die Restrukturierung in Bulgarien könne nur im Rahmen des Sozialismus durchgeführt werden, erklärte er, wies aber auf die Einberufung eines Sonderplenums des Zentralkomitees hin, das in nächster Zeit stattfinden solle. An der Fürungsrolle der Partei mochte er nicht rütteln lassen.
Verständlicherweise vorsichtig äußerten sich die Oppositionellen der Menschenrechts- und Ökologiegruppen über den neuen Kurs. Denn die von Mladenow gebrauchten Formulierungen lassen strukturelle Veränderungen in der Partei und im Verhältnis von Staat- und Partei nicht erwarten. Immerhin drückte Cheliu Schelew, ein Mitbegründer des „Clubs für Glasnost und Perestroika“, die Hoffnung auf eine politische Dynamik aus, die zu radikalen demokratischen Reformen führen könnte. „Jede Entwicklung, und sei sie noch so gering, ist besser als gar nichts“, erklärte Alexander Karakatschow, der Sekretär der Gruppe „Ökoglasnost“.
Andere Sprecher der Opposition hoffen nun auf weiterreichende Umbesetzungen in Staat- und Partei, weil nur so die neue Führung die Führungsrolle der Partei für einige Zeit noch retten könnte. Längerfristig jedoch müßte die KP wie in anderen Ländern auch diesen Anspruch aufgeben.
Der Vorsitzende des unabhängigen Bürgerrechtskomitees Rumen Wodenicharow forderte, Schiwkow müsse vor Gericht gestellt werden. Die Politik der Zwangsassimilierung der 1,5 Millionen türkischen Einwohner, die zur Flucht mehrerer Hunderttausend in die Türkei geführt hatte, gehe vor allem auf sein Konto. Die Geheimpolizei müsse sofort aufgelöst werden. Mehrere Oppositionsgruppen wollen heute in Sofia demonstrieren.
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