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Zürich rollt: Schlaraffenstadt für Trambahnfahrer

Bremer Landespressekonferenz und Straßenbahn AG zu Gast im Mekka des Öffentlichen Nahverkehrs / Züricher Einzelhandel fördert die Bahn  ■  Aus Zürich Holger Bruns-Kösters

Hauptverkehrsplätze in Zürich sind ein gefährliches Pflaster. Nicht für die Einheimischen, die sind's gewohnt, aber doch für einen Bremer, der so sozialisiert ist, daß er einigermaßen ohne Gefahr durch den heimischen Autoverkehr kommt. In Zürich kommt die Gefahr nämlich anders, nicht auf Rädern, sondern auf Rollen. In den Stoßzeiten rattert fast ohne Unterbrechungen eine Straßenbahn nach der nächsten heran. Und wenn die blau-weiße Tram naht, dann heißt es für Fußgänger und Autofahrer: Halt.

„Ein Fahrzeug des Öffentlichen Verkehrs braucht nicht viel Grün. Aber es braucht eine grüne Ampel, wenn es kommt“, sagt Ernst Joos, stellvertretender Direktor der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) und nebenbei häufig Fremdenführer für Gruppen aus ganz Europa, die kommen, um einmal praktisch umgesetzt zu sehen, was anderswo noch blasse Theorie ist. Gekommen waren in diesem Fall die Bremer Landespressekonferenz mit einer guten Handvoll Journalisten und die Chefetage der Bremer Straßenbah AG. Und die beguckten, bestaunten und beklatschen, was die Herren der Züricher Verkehrsbetriebe ihnen zu sagen und zu zeigen hatten.

Angefangen hat der Auf

schwung der Tram zum Verkehrsmittel Nummer eins mit der Aufgabe anderer großer Pläne. 1973 lehnten die Schweizer in einer Volksabstimmung den Bau einer mehr als eine Milliarde teuren U-Bahn ab. Der Stadtrat von Zürich hatte die Baupläne damit begründet, etwas für den ÖV tun zu wollen. Diesen Bekenntnissen mußten nun Taten folgen und das konnte nach Lage der Dinge nur sein: Ausbau des vorhandenen Netzes. Und diesmal zogen die ZüricherInnen mit. Im März 1977 wurde der ÖV-Ausbau in Volksabstimmung bejaht. ÖV-Ausbau, das ging in Zürich nicht ohne Zurückdrängen des Autoverkehrs. Bereits 1979 beschloß der Stadtrat, was der Bremer Senat 10 Jahre später immer noch nicht so ganz laut sagen mag: “...werden die städtischen Ämter angewiesen, den öffentlichen Verkehr grundsätzlich zu bevorzugen.“

Auf das Ergebnis dieser Politik sind die Vertreter der VBZ hörbar stolz. Der Grund in Zahlen: 550.000 Menschen leben im Einzugesbereich der VBZ. Und von denen fährt, statistisch gesehen, jeder 470 Mal im Jahr mit Tram oder Bus. Zum Vergleich: BremerInnen fahren etwas mehr als 200 Mal jährlich mit der BSAG. Dieses Ergebnis haben die Verkehrsbetriebe der 360.000-Einwohner-Stadt mit einem Bündel von Einzelmaßnahmen erreicht.

16 Kilometer eigene Busspur wurden gebaut, überall, wo Autos Tram oder Bus abbiegenderweise im Wege standen, wurde das Linksabbiegen verboten; in den Straßen, in denen parkende Autos die Tram behindern, wurden radikal Park- und Halteverbote erlassen und durchgesetzt.

Besonders stolz sind die VBZ auf die Technologien, die eingesetzt werden, um die Wartezeit von Bahn und Bus an den Ampeln gegen Null zu bringen. Wie die Computersteuerung funktioniert, verdolmetscht Ernst Joos so: „300 Meter vor der Kreuzung meldet die Bahn: 'Ich bin die Linie 3 und habe einen Anhänger dabei'“. Kaum ist der Anhänger über die Kreuzung, springt die Signalanlage wieder um. Zürichs Autofahrer haben sich längst daran gewöhnt, daß die Grünphasen an jeder Ampel zu jeder Zeit völlig verschieden sein können.

Zweites Element der High-Tech-Verkehrslenkung: Das datengesteuerte Betriebsleitsystem. Der Leitstellenrechner kennt jederzeit den tatsächlichen Standort jedes einzelnen Fahrzeuges und übermittelt dem Fahrer laufend die aktuelle Fahrplanlage. Wird beispielsweise eine Strecke blockiert, können effekive Umleitungen schnellstens organisiert werden. Die Fahrgäste werden über Lautsprecher in den Wagen und an den wichtigsten Haltestellen informiert, in welchen Ersatzbus sie zu steigen haben, um trotz der Streckenblockade an das Ziel zu kommen. Joos: „Wir wollen den Fahrgast als Gast behandeln und nicht als Kartoffel.“

Der Kanton Zürich (vergleichbar einem Bundesland) hat sich inzwischen konkrete umweltpolitische Ziele gesetzt, die noch weitergehende verkehrspolitisch Maßnahmen zur Folge haben müssen. Die Luftqualität soll wieder der von 1960 entsprechen. Dazu müßte der KfZ-Verkehr um weitere 15 Prozent verringert

werden. Joos:„Es gibt massiven Widerstand gegen des Handels gegen die Reduktion des Autoverkehrs.“ Mit der Züri-Linie dagegen hat sich der Handel, nachdem er zunächst gegen die Vernichtung von Parkraum gewettert hatte, inzwischen sogar angefreundet. „Man muß die Leute in die Stadt holen. Wie ist egal“, sagt beispielsweise ein Herr Keck als Sprecher des Einzelhandels. Die Geschäfte haben inzwischen ihre Werbekonzeptionen umgestellt und werben nur noch zu zwei Dritteln für die eigenen Produkte. Der Rest geht in Werbemaßnahmen für die Stadt. Da veranstalten die Einzelhändler schon mal mit guten Preisen ausgestattete Aktionen für die Bahn oder lassen zum eigenen Nutzen und zum Frommen des Öffentlichen Nahverkehrs wochenlang den Kneipenwagen der VBZ durch die Gegend gondeln. Keck: „Die Tram bringt uns als Imageträger sehr viel.“

Für dies gute Image hat Heinz Vögli zu sorgen, im Unternehmen zuständig für „Kommunikation“, wie Marketing hier zurückhaltend genannt wird. „Autoverzicht können sie nicht verkaufen“, sagt er. „Sie müssen die Dienstleistung Mobilität verkaufen. Und in Sachen öffentlicher Mobiltät sind wir der maßgebliche Anbieter.“ In die Sprache des Slogans übersetzt: „Wir sind die Nummer Eins im Züricher Verkehr.“ Die peppig aufgemachte Monatskarte heißt „Regenbogen-Karte“, auf den Plakate wird mit pfiffigen Wortspielen gearbeitet („Zur Ouvertüre - Fahrkultur“), Werbefilme für's Kino zielen auf den Zeitgeist-Menschen, der für den schnellen Genuß lebt und gerade deshalb mit der Tram fahren muß. „Eine langweilige Umsetzung der kommunikativen Maßnahmen ist eine Beleidigung der Zielgruppen“, sagt Vögli und kann sich einen Seitenhieb auf bundesdeutsche Nahverkehrs- werbung nicht verkneifen: „Würden Sie ÖPNV kaufen?, wie das bei Ihnen so erotisch heißt.“ Und auch mit dem Erscheinungsbild der deutschen Straßenbahnen kann er sich gar nicht anfreunden: „Sehr oft hat man bei Ihnen den Eindruck, daß die Straßenbahn Jägermeister heißt.“

ÖPNV-NutzerInnen fahren in Zürich vom kommenden Jahr an „Züri-Linie 1990.“ Und das werden mit Sicherheit noch einmal mehr als in der Vergangenheit sein. Denn im kommenden Jahr eröffnen drei neue S-Bahn-Verbindungen im Umland.

„Der Appell zu vermehrtem freiwilligem Verzicht aufs Auto scheint mir so wirksam, wie wenn man die Steuern durch ein Kollekte ersetzen würde“, steht auf einem Zettel, den Vize -Direktor Joos den Bremer Journalisten zu den Akten gibt. Und dann, irgendwann am spätem Abend steigt er in die Tram und fährt nach Hause.

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