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Bluffte Senatorin Schreyer die AL?

■ Gutachten contra Gutachten: Stromtrasse ist keine unabwendbare Erblast des CDU-Senats / Senatorin Schreyer kennt die juristische Kritik am entsprechenden Erstgutachten schon länger / Formfehler könnten nun die geplante Überlandleitung „kippen“

Die geplante Stromtrasse steht juristisch auf weitaus wackligeren Füßen, als es die AL-nahe Umweltsenatorin Schreyer bisher glauben machen wollte. Das geht aus einem der taz vorliegenden, internen Vermerk der Senatsumweltverwaltung hervor. Auf acht Seiten listet darin Dr.Kunert, ein Jurist der Schreyer-Behörde, erhebliche Zweifel an der Qualität des sogenannten „Wollmann -Gutachtens“ auf, mit dessen Aussagen Senatorin Schreyer bisher den Bau der Stromtrasse verteidigt hatte.

Dieses Gutachten, das der Senat im Juni vorgestellt hatte, kam zu dem Ergebnis, daß der Senat nur noch den Spielraum habe, über das Wie der Stromtrasse zu entscheiden. Die Frage des Ob, befand das Gutachten, sei durch Zusagen des alten Senats bereits erledigt. Schreyer hatte das Wollmann -Gutachten als „handwerklich sauber“ verteidigt und seine Argumentation übernommen. Schon Ende August kam ihr Hausjurist Kunert nun zu ganz anderen Urteilen. Das Wollmann -Gutachten stünde „im entscheidenden Punkt auf relativ schwachen Füßen“. Es sei zwar nicht auszuschließen, daß die Bewag den Senat vor Gericht zu einer Genehmigung der Stromtrasse zwingen könnte. „Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit hierfür scheint mir“, so schreibt der Jurist, „allerdings nicht zu bestehen“.

Die Zweifel an der Tragfähigkeit des Wollmann-Gutachtens, die Schreyers Jurist formulierte, gelten unter Verwaltungsjuristen als durchaus fundiert. Dem Vernehmen nach erhebt der renommierte Rechtsanwalt Reiner Geulen in einem Gutachten, das Schreyer später bestellte, ähnliche Zweifel an den Argumenten Wollmanns.

Doch obwohl Schreyer den Vermerk Kunerts schon am 8.September abgezeichnet hatte, verteidigte sie drei Wochen später auf einer Mitgliedervollversammlung (MVV) der AL erneut den Standpunkt des Wollmann-Gutachtens. Der Auftrag an Geulen sei erst erteilt worden, nachdem auch aus der AL „wachsende Zweifel“ an der Unumstößlichkeit des Trassenprojektes laut wurden, erfuhr die taz dazu nun gestern aus der Umweltverwaltung. Wie berichtet, hatte die AL-MVV am 20.September Schreyers juristische Argumente zurückgewiesen und sich die Freiheit genommen, den Bau der Verbundleitung abzulehnen.

Heute will Schreyer nun mit dem Gutachten Geulens an die Öffentlichkeit gehen. Es wird ihr dem Vernehmen nach erst einmal den Rücken stärken - sowohl in der Auseinandersetzung mit der AL als auch im Clinch mit Bewag und SPD. Im Gegensatz zu Kunert bestätigt Geulen nämlich die Auffassung der Senatorin, daß der Bau der Verbundleitung als solcher nicht mehr zu stoppen sei. Der Rechtsanwalt räumt aber dem Senat - so heißt es im Rathaus Schöneberg - relativ gute Chancen ein, die Bewag zu einer ökologisch verträglichen Trassenvariante zu zwingen. An diesem Punkt gab es bisher Streit zwischen Schreyer und einigen SPD-SenatorInnen. Die Umweltverwaltung tendiert zu einer unterirdischen Verkabelung. Die Justizverwaltung vertritt dagegen die Meinung, der Senat sei juristisch verpflichtet, der Bewag den Bau einer oberirdischen Freileitung zu genehmigen.

Geulen kommt, wie es heißt, auch zu einer vernichtenden Kritik an der Art und Weise, in der der alte CDU-Senat das Genehmigungsverfahren für die Trasse handhabte. Diese scheinbar nur historischen Anmerkungen sind auch für die Zukunft des Trassenprojektes wichtig. Lassen sich den Behörden nämlich Verfahrensfehler nachweisen, haben betroffene Anwohner relativ gute Chancen, das Stromtrassenprojekt zu kippen. Das könnte das endgültige Aus für die Freileitung bedeuten.

hmt

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