: Lotse in der Südsee des Materials
■ Recherche-Unterstützung durch den Dokumentationsdienst im Informationsdienst: Zentrum für alternative Medien -Projekt Alltag
Das kleine Archiv des Redaktionsbüros „Projekt Alltag“ umfaßt etwa 12.000 Zeitungs- und Zeitschriftenexemplare, überwiegend aus dem alternativen Bereich, um die 140 laufende Zeitungen/Zeitschriften und circa 12.000 Texte (Broschüren, Flugblätter, Zeitungsausschnitte), dazu ein paar Dutzend Audio- und Videokassetten (dieser Teil ist erst im Anfang).
Das Archiv dient in erster Linie der Medienarbeit des „Projekt Alltag“ und des „Solidaritätsfonds“ im ID. Im Rahmen unserer beschränkten Möglichkeiten versuchen wir aber auch, wenigstens einem Teil der häufigen Anfragen wegen Recherche-Unterstützung gerecht zu werden. Denn Recherche ist in doppelter Hinsicht eine Schwachstelle des verzweigten Phänomens „alternative Öffentlichkeit“: Erstens verfügen alternative MedienarbeiterInnen nicht über die dokumentarische Infrastruktur ihrer KollegInnen in etablierten medien; zweitens ist das Material über alternative Themen bei etablierten Medien immer noch dünn gesät. Eines Tages wird das auch in den alternativen Finanzierungsetagen als Problem gesehen werden, darauf wetten wir - aber warten wollen wir darauf nicht.
Wie der dokumentarische Alltag für BenutzerInnen von außen aussieht? Ein paar Beispiele.
Telefon: „Hier Peter Wolf von 'Christen für den Sozialisums‘. Wir machen eine Veranstaltung und divese Artikel zum Thema 'Anti-imperialistische Positionen zur Dritte-Welt-Schuldenkrise‘. Könnt ihr Material liefern?“ Wir konnten. Zwanzig sorgsam ausgewählte, wichtige Flugblätter, Zeitungsausschnitte, Broschürentexte und Poster wechselten in kopierter Form den Besitzer. Ein Experte sicherte die Auswahl noch einmal und empfahl weitere Quellen in einem Begleitbrief. Eine Rechnung ermunterte zur Überweisung von 110,- DM und forderte dazu auf, die DokumentaristInnen zu nennen und von dem fertigen Artikel zwei Belegexemplare zu schicken (ohne diese Verpflichtung läuft nichts). Angezapft wurden: das eigene Archiv und - in diesem Beispiel - zwei von ca. zwölf privaten und öffentlichen Archiven, mit denen wir regelmäßig zusammenarbeiten. Durch eine Anfrage war die Auswahl weiterhin abgesichert mit dem ID-Archiv im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, mit dem uns ein Kooperationsvertrag (aber leider keine europäische Freifahrkarte) verbindet.
Die Kosten werden bei jedem Dokumentationsauftrag individuell ausgemacht. Als Annäherungswert gilt 40,- DM für eine Stunde archivarischer Bemühung, dazu kommt der Sachaufwand für Kopien usw. Der Kostenvoranschlag ist - weil oft der Zeitaufwand im voraus nicht ganz genau geschätzt werden kann - ein festes Maximum für die AuftraggeberIn.
Weitere Beispiele: Eine Übersetzerin brauchte zu einem (herzlich schlechten) Roman aus der Gattung Stadtguerilla -Memoiren die Original-Übersetzung einer Kommandoerklärung aus Frankreich 1986. Selbstverständlich müssen wir gelegentlich Aufträge ablehnen, wenn der Aufwand zu groß und das Risiko, nichts zu finden, erheblich erscheint - aber in diesem Fall hatten wir nach einigen schlaflosen Nächten und charmanten Telefonaten nach Paris den Text in der Hand - der Übersetzungsetat wurde mit 58,- DM belastet. - Der Hessische Rundfunk brauchte für eine Fernsehsendung sämtliche Umweltkatastrophen des Jahres 1988 (96,- DM); ein alternativer Projekteberater warf sich auf das Thema Umweltmarkt (160,- DM); eine kleine Alternativzeitung bekam Material für ein Porträt von Robert Jungk einschließlich der Videokassette einer Fernsehsendung (leihweise) (130,- DM). Einer computerkritischen Gruppe in Neu-Isenburg konnte zum Thema „Der Fall Oppenheime - eine Analogie zur Computerisierung?“ umso leichter geholfen werden, als eine systematische private Sammlung zu diesem Thema hervorragend mit uns zusammenarbeitet (160,- DM). Allerdings ist der Annäherungswert bei Dokumentationen zum Thema „Computerisierung“ etwas höher: 50,- DM für eine Archivstunde.
Genug der Beispiele. Den Vogel schoß allerdings die Dramaturgie einer westdeutschen Bühne ab, die zum Thema „Großstadtmythos“ entweder die geeigneten Artikel fürs Programmheft erbat, oder aber - falls besagte Artikel noch nicht geschrieben waren - Empfehlungen haben wollte, welches denn die richtigen AutorInnen wären! Keine Schwierigkeit für uns ...
Grundsätze dieses Angebots für kulturelle/gemeinnützige/alternative Zwecke sind folgende:
1) Wir versuchen, den Bedürfnissen des Einzelfalls gerecht zu werden. Also - auch mit Computerunterstützung - keine standardisierte Abfertigung.
2) Wir bunkern nicht möglichst viel Material im eigenen Haus. Hier finden nur ein Grundstock und das aktuell benötigte Material Platz. Wir kooperieren vielmehr selbstverständlich unter Wahrung aller einschlägigen UrheberInnenrechte, wozu sich auch die AuftraggeberInnen verpflichten - mit öffentlichen und privaten Sammlungen befreundeter Personen und Institutionen.
3) Wir arbeiten, wenn irgend möglich, interdisziplinär, d.h. mit gedrucktem und audiovisuellem Material (mit dem letzteren stehen wir, wie gesagt, erst am Anfang).
4) Wir sehen die dokumentarischen Recherchen als arbeitsteilige inhaltliche Leistungen an, darum keine Aufträge, mit denen wir uns nicht identifizieren können, und keine Aufträge ohne zugesicherte Rückmeldung.
Zum Schluß das Hauptproblem unseres Dokumentaristen: zu allen möglichen Themen gibt es Anfragen - warum so selten zu meinen Lieblingsthemen:
-Graffiti in der Großstadt: Literatur, Texte, Hinweise auf Bildmaterial ...
-Hausbesetzungen in den achtziger Jahren: Hamburg, Frankfurt ...
-„Pseudo„-Zeitungen, eine halb-private Öffentlichkeit
-Die „Autonomen“: Wahn und Wirklichkeit.
Wenn diese Themen jetzt von der 'Hamburger Rundschau‘ im Norden bis 'Radio Dreyeckland‘ im Süden überall auftauchen, so ist klar warum - der Appetit kommt beim Essen.
Richard Herding / Saul Len
Informationsdienst: Zentrum für alternative Medien -Projekt Alltag- - Postfach 900 343, Hamburger Allee 45, 6000 Frankfurt 90 (Bockenheim) - Tel. 069-70 43 52 (falls nicht besetzt: 70 99 35, 70 31 26)
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