Selbstmordwelle in Hollywood

■ Karol Wojtyla besteigt den polnischen Thron. Kurt Waldheim begrüßt die Außerirdischen. Die Fußball-WM ist annulliert Im Italien der siebziger Jahre konnten diese „falschen Informationen wahre Ereignisse schaffen“

Klemens Gruber

Als in Italien das staatliche Monopol für den Äther zusammenbrach, stellte sich die Frage nach dem Verhältnis von künstlerischer Avantgarde und Massenkommunikation neu. Die überraschende Antwort: strategische Kommunikation. Die aus den Laboratorien der schönen Künste vertriebene Avantgarde hatte eine neue Waffe entdeckt: Fälschungen von Medienereignisse. Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch Die zerstreute Avantgarde von Klemens Gruber, erschienen im Böhlau-Verlag.

Falschmeldungen, deren Absicht und ausdrückliches Ziel es gerade ist, früher oder später als solche erkannt zu werden, erlauben weder Zustimmung noch Ablehnung. Sie höhlen das Vertrauensverhältnis aus, welches die Politik - und dasselbe gilt für die Massenmedien - zu installieren versucht. Als offenkundige und für jeden erkennbare Fälschungen wollen sie den Eindruck erwecken, nichts anderes zu sein als Teil jener Ansammlung von unzähligen Unwahrheiten, die das Informationssysstem ausmachen. Dann aber ist die einzig mögliche, weil angemessene Haltung die einer nicht -kooperativen Rezeption.

Es geht also weniger um die Diskreditierung der Politik als vielmehr um die Wiedererweckung kritischer Intelligenz: Derart tritt neben den Unterhaltungswert die erzieherische Funktion der Fälschungen.

Um sie zu verbreiten, wurde in Rom das CDNA (Centro di diffusione di notizie arbitrarie) gegründet. Dieser Club, entstanden mit dem Ziel, „in verschiedenen Bereichen des bürgerlichen Lebens die Willkür zu propagieren“, rief eine Reihe von äußerst interessanten Initiativen auf dem Gebiet der Information ins Leben, die aber oft mißgedeutet wurden und seine Mitglieder auch mit den bestehenden Gesetzen in Konflikt brachten. Dabei hatten sie nur „in der Fälschung den fruchtbarsten Boden für die poetische Innovation gefunden“.

Es wurden mehrere ganz vortreffliche Fälschungen in Umlauf gebracht. In verschiedenen Städten warteten die Lokalzeitungen mit ungewöhnlichen Nachrichten auf. Eines Morgens etwa erschien der konservative Bologneser 'Il Resto del Carlino‘ mit folgenden Schlagzeilen: „4.000 Menschen wurden 1976 bei der Arbeit umgebracht.“ Im Januar 1976 verteilte eine „maodadaistische Zelle“ bei einer großen Kundgebung der Kommunistischen Partei ein von der italienischen Industriellenvereinigung unterzeichnetes Flugblatt, in dem diese ihre Zustimmung und nachgerade Begeisterung für die politische Linie der PCI ausdrückte. Während die eingeschworenen Parteiarbeiter den Text mit vernagelter Befriedigung zur Kenntnis nahmen, erkannten viele einfachen Mitglieder die Ironie und konnten sich das Lachen nicht verkneifen.

Den höchsten Grad an Perfektion aber erreichte die Kunst der Fälschung in der Wochenzeitschrift 'Il Male‘ (Das Böse), an deren Entstehung einige Mitglieder des CDNA maßgeblich beteiligt waren. Mit wöchentlich mehr als 100.000 verkauften Exemplaren und einer beachtlichen Durchschnittsrate an Beschlagnahmungen, die übrigens zu einer Anmerkung im Carter -Report über die Menschenrechte führte, wurde diese „Zeitschrift für politische Satire“ - wie ihr Untertitel lautete - ein in jeder Hinsicht großer Erfolg.

Der erste große Erfolg war eine stupende Extraausgabe des 'Corriere della Sera‘. „Die Menschheit ist nicht mehr allein im Universum - Von einer fremden Galaxie gelangten sie auf die Erde“, Untertitel: „Gestern um 6.15 (Ortszeit) ist ein Raumschiff auf der Hochebene von Baranca del Cobre in Mexiko gelandet. Mehr als 18 Stunden lang wurde die Nachricht geheimgehalten. Heute früh um 4.37 die Bestätigung durch den Sicherheitsrat der UNO. Ausgangspunkt der Reise dürfte das Sternbild des Schützen sein. Erster Austausch von Botschaften mittels Absonderung von Gerüchten. 'Das ist ein verblüffendes Ereignis. Jetzt beginn das Zeitalter des galaktischen Friedens‘, hat der Sekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, erklärt. Schweigen der 'Tass‘. Strikte Zurückhaltung im Vatikan.“ Umberto Eco meldet sich mit dem Kommentar „Wenn reden schweigen ist. Der abwesende Marsmensch“ zu Wort. Auf Seite zwei dann ausführliche Berichte, ein Gedicht von Eugenio Montale mit dem Titel Der Himmel, ein Artikel „Konfuse Reaktionen der italienischen Politiker“ und eine kurze Notiz „Im Vatikan erwartet man ein Zeichen des Heiligen Geistes“. Weiter: „Zwei Fragen an Michel Foucault“, ein Bericht über eine „Selbstmordwelle in Hollywood“, Todesanzeigen und kleine Annoncen.

An die Fälschung muß man glauben können. Und das Gelingen der Täuschaung hängt entscheidend von ihrer Originalität ab. In diesem Fall beruhte sie auf einem sehr poetischen Aspekt der Fälschung, nämlich der Nostalgie für die Zukunft; im nächsten auf den Befürchtungen der Gegenwart.

Dem entsprach die wohl berühmteste Fälschung des 'Male‘. Getreu der von den Dadaisten formulierten Einsicht: „Je unwahrscheinlicher ein Vorfall ist, desto wahrscheinlicher ist er“, ließ 'Il Male‘ gleich mehrere Tageszeitungen mit fotografischer Evidenz über die Verhaftung des beliebten Schauspielers Ugo Tognazzi als Kopf der Roten Brigaden berichten.

'Il Giorno‘ macht auf mit der Schlagzeile: „Von jetzt an gibt es wenig zu lachen. Tognazzi ist der Kopf der BR.“ Die Überschrift des Leitartikels: „Das war zu erwarten.“ Der „verrückte Schauspieler“ sei bei Morgengrauen in seiner Villa festgenommen worden. Daneben Fotos, keine Fotomontagen, richtige Farbfotos von Ugo Tognazzi in Ketten, mit einer riesigen Schürze bekleidet, auf der übergroß das Emblem der Players-Navy-Cut-Zigaretten prangt, und rundherum die als Carabinieri verkleideten Redakteure des 'Male‘ mit Maschinenpistolen im Anschlag und falschen Schnurrbärten, die sie echter erscheinen lassen als die wirklichen.

Die Turiner 'La Stampa‘ sieht „Licht am Ende des Tunnels“ und meldet außerdem, daß dank der tüchtigen Hunde der Finanzpolizei zwei Trüffeldealer am Flughafen verhaftet worden sind. 'Paese Sera‘ wiederum berichte, Tognazzi habe sich zum politischen Gefangenen erklärt. „Er ist verrückt, aber ich vergebe ihm“, meint ein Kollege, bevor auch er untertaucht. Schließlich noch ein Artikel über „Eine beispiellose Karriere“ mit Kommentaren von Roberto Benigni und Bettino Craxi.

Eine Woche später der nächste Streich: Wenige Tage vor den Parlamentswahlen kündigen von 'Il Male‘ gefälschte Zeitungen an, daß sich die Christdemokraten „aus dem grausamen Wettstreit der Wahlen“ zurückziehen. Der den Kommunisten nahestehende 'Paese Sera‘ übertitelt das Editorial mit: „Die große Einsamkeit der Linken“ und macht sich zum Anwalt der „Gefühle des ganzen Landes angesichts des überraschenden Verschwindens dieser riesigen Partei“. Die Leitung der PCI veröffentlicht eine Petition für die Rückkehr der DC ins Parlament: „Ohne eine starke christdemokratische Partei fühlen sich alle Italiener, uns eingeschlossen, ein wenig verwaist. (...) Allein sind wir nichts, mit der DC sind wir alles, alles, alles!“ 'Il Popolo‘, die Tageszeitung der DC, erklärt, daß nach der bestürzenden Entscheidung der Führungsspitze die Parteikasse „in aller Ruhe unter den Mitgliedern verteilt werden wird“. Und 'Il Giornale‘ schließlich bringt in der Rubrik „Die Stimme des Arztes“ Erläuterungen des Vorstands der Universitätsklinik Mailand zum Thema: „Was ist ein Kollaps“.

Daß das Wunschdenken des Publikums eine entscheidende Rolle bei der Rezeption erfolgreicher Fälschungen spielt, zeigt die Extraausgabe des 'Corriere dello Sport‘ während der Fußball-Weltmeisterschaft 1978. „Die Spiele sind annulliert“, lanciert 'Il Male‘ in riesigen Lettern: Ein Massendoping der Holländer, die Italien aus dem Wettbewerb geworfen hatten, sei aufgedeckt worden.

Die Nachricht fand nicht nur bei den Tifosi begeisterte Zustimmung, sondern sie ließ in Rom den Verkehr für mehrere Stunden zusammenbrechen; anderntags schreiben die Zeitungen: „Si e fermata la citta“. Die Urheber nannten dies den „holographischen“ Aspekt der Fälschung: die Realisierung eines vieldimensionalen Raumes mittels des gefälschten Ereignisses - Frucht eines Informationskurzschlusses. Dazu gehören die treuherzigen Diskussionen über die neue Linie der Kommunistischen Partei genauso wie die aufgeregten Telefonate anläßlich der Verhaftung von Ugo Tognazzi oder die Gespräche, die nach der Meldung von der Ankunft der Außerirdischen überall, in den Bars, in den Autobussen und in den Warteschlangen vor den Bankschaltern entstanden sind; an Orten also, an denen normalerweise entweder ein Kommunikationsstau oder aber „die Ordnung des Diskurses“ vorherrscht.