: Diese Mauer heißt „Friedenslinie“
Belfast wurde in den sechziger Jahren geteilt / Auch wo kein Mauerwerk steht, beschränkt sich der Lebensraum der Bevölkerung streng auf das eigene Viertel ■ Aus Belfast Ralf Sotscheck
Die Innenstadt ist das Aushängeschild der nordirischen Hauptstadt Belfast. Mit ihren Geschäftsstraßen und der belebten Fußgängerzone unterscheidet sie sich äußerlich kaum von anderen europäischen Städten. Doch spätestens zum Ladenschluß erweist sich die Normalität als Trugbild: Die protestantischen Arbeiterfamilien machen sich über die Royal Avenue nach Nordwesten oder in Richtung Osten auf den Heimweg, während die Katholiken am Westende der City auf die schwarzen Linientaxis warten. Die als Kooperative organisierten Taxis fahren festgelegte Routen und sind billiger als Busse. Die Falls Road führt in das katholische West-Belfast. Rechts von ihr gehen schmale Seitenstraßen ab. Die kleinen roten Backsteinhäuser ohne Vorgärten sind typisch für britische Arbeiterviertel. Doch die Straßen enden nach hundert Metern abrupt an einer hohen Mauer, der „peace line“. Diese 1,5 Kilometer lange „Friedenslinie“ riegelt sämtliche Verbindungsstraßen zwischen dem unteren Ende der Falls Road und der protestantischen Shankill Road ab.
Robin ist im „Grenzgebiet“ aufgewachsen: „In unserer Straße wohnten damals Protestanten und Katholiken nebeneinander“, erzählt er. „Ende der sechziger Jahre gingen jedoch die Überfälle protestantischer Banden los. Fast jede Nacht zogen sie durch unsere Straße zur Falls Road, warfen Scheiben ein und zündeten Häuser an. Schießereien zwischen beiden Vierteln waren keine Seltenheit. Nach Einbruch der Dunkelheit haben wir uns nicht mehr auf die Straße getraut.“ Die katholischen Familien sind wegen der ständigen Drohungen protestantischer Paramilitärs schließlich weggezogen. Armee und Polizei vermauerten aus Angst vor Heckenschützen die Fenster und Türen der leerstehenden Häuser und errichteten die „Friedenslinie“. Seitdem ist Robin nicht mehr auf der anderen Seite der Mauer gewesen. „Es ist zu gefährlich. Als Katholik hast du da drüben schlechte Karten.“
Links von der Falls Road verläuft parallel zur Straße, jedoch tiefer gelegen, die neue Stadtautobahn. Sie wirkt wie eine Mauer und beschränkt die Zufahrt nach West-Belfast auf wenige Hauptstraßen, die leicht zu überwachen sind. Stadtplanung als Mittel der Aufruhrkontrolle. In den Augen der „Sicherheitskräfte“ gilt hier jeder als „potentieller Terrorist“. Das Viertel ist von Armeeforts umzingelt. Videokameras und Richtmikrofone zeichnen jede Bewegung, jedes Gespräch auf. Kaum ein Bewohner West-Belfasts ist nicht im Armee-Computer gespeichert.
Die Trennungslinien zwischen katholischen und protestantischen Arbeitervierteln sind jedoch keineswegs überall so deutlich wie in West-Belfast. In Teilen Nord -Belfasts stoßen die hinter den Häusern gelegenen Gärten beider Bevölkerungsgruppen direkt aneinander. Als die Protestanten vor vier Jahren ihre gewaltsame Kampagne gegen das anglo-irische Abkommen begannen, das Dublin ein eng begrenztes Mitspracherecht in nordirischen Angelegenheiten einräumen sollte, kam es hier ständig zu heftigen Auseinandersetzungen. Polizei und Armee errichteten zwischen den Gärten schließlich hohe Mauern, um den alltäglichen Steinschlachten ein Ende zu setzen.
Jedoch auch dort, wo keine Mauern stehen, sind die Grenzen dicht. Der Lebensraum der Bewohner bleibt auf das eigene „sichere“ Viertel und die Innenstadt beschränkt. Die durch die britische „teile und herrsche„-Politik verursachte vertikale Spaltung der Gesellschaft zieht sich durch alle Bereiche: Schulen, Schwimmbäder, Fußballvereine, Kneipen und selbst die schwarzen Taxis, das alternative Transportmittel, sind streng segregiert. Ansätze zur Überwindung dieser Grenzen scheitern immer wieder und haben ohne politische Lösung des Konflikts auch keine Aussicht auf Erfolg. Doch dafür sieht Robin in Zukunft keine Chance. Er sagt: „Ich habe schon immer behauptet, daß eher die Berliner Mauer fällt, als daß sich die Briten in Nordirland freiwillig zu einer Lösung des Konflikts durchringen, die ihren Interessen widerspricht.“
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