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Beiruts Grüne Linie - surreal wie im Film

Früchte eines 15jährigen Krieges: Milizen im Graben und Geschäfte am Rande  ■  Von P. Groll

Sichtbar wird die Demarkationslinie zwischen den beiden Teilen der libanesischen Hauptstadt eigentlich nur an den Übergängen. Diese Passagen sind wie ein Barometer tagesaktueller Politik im Bürgerkriegsstaat. Wer kontrolliert sie? Wie viele sind geöffnet? Wie lange dauert der Übergang? Wieviele Menschen pendeln täglich von einem Teil in den anderen? Wie oft muß der Ausweis oder schlimmstenfalls ein Passierschein der zuständigen Miliz vorgelegt werden? Kommen Versorgungsgüter durch? Wird eventuell sogar geschossen?

Von der „Galerie Semaan“ im Süden bis zur Passage am Hafen wirken die Übergänge wie perfekte Kulissen eines surrealistischen Films. Jede Runde des beinahe 15jährigen Krieges fügte ein neues Detail hinzu. Fußgänger und Kraftverkehr werden durch eine Kraterlandschaft kanalisiert, in der menschliche Schaffens- und Zerstörungskraft sich bis zum Untergang gemessen haben.

Abseits der Passagen treibt sich fast niemand an der Grünen Linie herum, der dafür nicht bezahlt wird. Wer es dennoch tut, der sollte ortskundig sein oder für vertrauenswürdige Begleitung sorgen, sonst könnte er sein blaues Wunder erleben. Scharfschützen lauern auf beiden Seiten. Eines ausdrücklichen Schießbefehls bedarf es nicht. Die Milizionäre, die hier ihrem Job nachgehen, und wie andernorts Familienväter gewissenhaft ihren Schichtdienst abreißen, langweilen sich oft. Ein wenig Zielschießen, auch ohne jeglichen Vorsatz zu töten, bringt da Abwechslung.

„Ich bringe morgens die Kinder zur Schule, dann fahr‘ ich mit dem Sammeltaxi bis 'Berbier‘, steig‘ kurz vor'm Museumsübergang aus und geh‘ den Rest des Weges zu Fuß,“ erläuterte einmal ein Milizionär der Schiitenbewegung Amal, der sich über die Gleichförmigkeit seines Geschäfts beklagt hatte. Mit politischer Überzeugung, so versicherte er, hatte seine Tätigkeit nichts mehr zu tun. Doch ließ ihm, wie so vielen tausend Libanesen, die vom Krieg ruinierte ökonomische Situation des Landes keine Wahl.

Zwar kann man sich noch an verwitterten Straßenschildern orientieren, an Banken oder Geschäftshäusern, Moscheen und Kirchen, deren Ruinen von einer prachtvoller Vergangenheit zeugen. Doch nur Erfahrene wissen, welche Straße nicht von der Gegenseite aus eingesehen werden kann. Und nur sie kennen auch die Scharfschützennester diesseits. Oft bleiben die Milizionäre wochenlang in den gleichen Positionen, die im Laufe der Jahre mit Feuer- und Wasserstelle und Schlafstatt ausgebaut wurden. Die Grüne Linie ist eine feste Front. Man kennt sich auch über die Feuerlinie hinweg. Wird es gar zu öde, unterhält man sich schon einmal. Dann wechseln wüste Schimpfkanonaden die Seiten.

Fremde erwecken hier in jedem Fall Mißtrauen. Dennoch gibt es Ausnahmen in der Einsamkeit. Die werden selbst in Beirut („Sun & Fun-Capital of the Middle-East“ nannten JournalistInnen die Metropole zärtlich, bevor die Entführungen einsetzten) als Exoten betrachtet, mit einer Mischung aus Abscheu und Hochachtung. Heißer Tip im moslemischen Westbeirut war lange Zeit, selbst als die nach Khomeinis Machtübernahme übermütig gewordenen Schiitenmilizen versuchten die Sitten zu bestimmen, das „Theatro Kabir“ an der Demarkationslinie im alten Stadtzentrum. Männerangelegenheit blieb zu überprüfen, ob sich Zuschauer aus beiden Teilen der Stadt hier zum schlüpfrigen Vergnügen trafen. Glaubhaft versichert wurde immerhin, daß sich allnächtlich der Saal bis auf den allerletzten bordeauxroten Plüschsessel füllte, wenn die Pornofilme abgespielt wurden.

Seltsame Entspannung suchten wohl auch die Pferdenarren, die sich wenigstens in Zeiten offiziellen Waffenstillstands im Stadion hinter dem französischen „Club des Pins“, der Residenz des französischen Botschafters direkt am berüchtigten Museumsübergang, trafen. Dort holten sie ihre Gäule aus den großzügig angelegten Stallungen, die bereits während der Kolonialzeit errichtet wurden, und galoppierten unverdrossen über die weitläufigen Sandbahnen der Arena. „Fast ein Beiruti“, urteilten Botschaftsangehörige zweideutig über den hochrangigen deutschen Diplomaten, der diesem seltsamen Hobby im Niemandsland frönte.

Zwischen dem alten, orientalischen Blumenmarkt und dem Hafen, einer der ältesten Keimzellen der Stadt, nutzen dem Krieg entsprungene Habenichtse jede Feuerpause, ihre schmutzigen kleinen Werkstätten immer näher an die Demarkationslinie zu schieben. Im schummrigen Halblicht spritzt man gestohlene PKWs um, und überhaupt werden eine Menge Geschäfte getrieben, die man eben ausschließlich hier am rechten Ort wähnt.

In der Zukunft, so, wie sie in den Schubladen der Stadtplaner längst gebunden vorliegt und auf den Sanktnimmerleinstag wartet, hat all dies freilich keinen Platz. Den einstigen Glitter von Banken, Boutiquen und Bistros (der Traum, wieder „Schweiz des Nahen Ostens“ zu werden, ist noch längst nicht ausgeträumt) will man in neuen Kunstwerken aus Glas, Stahl und Beton rund um den „Platz der Märtyrer“, eben wieder auf der Grünen Linie ansiedeln. Vielspurige Autorouten sollen sozusagen als Bypass das alte und neue Herz entlasten.

Dort, wo die Grüne Linie im Sommer 1975 aus der allerersten Front des Krieges wuchs, zwischen dem christlichen Vorort Ain el-Rumaneh, Chiayh und den palästinensischen Flüchtlingslagern im heutigen Westteil Beiruts, sollen dann Park & Ride-Strecken entstehen. Sabra und Chatila, die elendigen Shantie-Towns, wo 1982 unter den Augen der Israelis falangistische Milizen über 2.000 Menschen ermordeten, sind in dieser Zukunft als Parkplätze an der Zufahrtstrasse zum internationalen Flugplatz vorgesehen.

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