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St.-Jürgen-Klinik ist sauber

■ Gutachten belegt: Hygienische Verhältnisse und Herbert Brückner teil-rehabilitiert

Der Abschlußbericht der parlamentarischen Untersucher von Bremens größtem Krankenhaus läßt zwar ein halbes Jahr nach Abschluß der Beweisaufnahme immer noch auf sich warten. Soviel zeichnet sich aber auch ohne die abschließende Bewertung des Untersuchungssausschuß „St.-Jürgen-Straße“ ab: Bei den angeblich katastrophalen Hygiene-Zuständen in der „Schwarzgeldklinik“ hat der Ausschuß anscheinend nur viel Lärm um fast gar nichts veranstaltet. Nach zwei Gutachten des Freiburger Professors und Hygieneexperten F. Daschner geht es im ZKH St.-Jürgen-Straße nämlich genauso sauber und relativ keimfrei zu wie in zig anderen bundesdeutschen Kliniken auch. Daschners Stellungnahmen bedeuten gleichzeitig eine Teil-Rehabilitierung des ehemaligen Gesundheitssenators Herbert Brückner, seines Stellvertreters Hans Helmut Euler und der ärztlichen Direktion des Krankenhauses. Alle drei waren vor dem Untersuchungsausschuß heftig in die Mangel genommen worden, weil sie die angeblich un

zumutbaren Hygiene-Verhält nisse jahrelang geduldet hatten.

Eines der Hauptbeweisthemen in Sachen „Krankenhaus-Hygiene“ war vor dem Untersuchungsausschuß beispielsweise die angeblich mangelhafte Reinigung und Desinfektion von benutzten Krankenbetten. Der inzwischen abgelöste ärztliche Direktor der Klinik, Professor Walter Henschel, hatte vor dem Ausschuß kleinlaut eingeräumt: die Bettenzentrale in den Krankenhaus-Katakomben sei sein „Alptraum“ gewesen. Er habe sich nur laut pfeifend in den Klinik-Keller gewagt.

Von seinem Freiburger Kollegen Daschner muß sich jetzt auch Henschel belehren lassen: „Es gibt keinen wissenschaftlichen Hinweis oder gar Beweis, daß Betten ein wichtiges Erregungsreservoir für Krankenhausinfektionen sind.“ Weiter heißt es in Daschners Stellungnahme vom 9.November 89 zum Problem „Bettenzentrale“: „Die Notwendigkeit einer Bettendesinfektion ist in der Vergangenheit überbetont worden.“ Nach einer Unter

suchung von 1.456 Freiburger Betten kommt Daschner zu dem Schluß: Harnweg-, Atemweg-und Wundinfektionen von Mitpatienten sorgen unter Umständen dafür, daß Patienten im Krankenhaus kränker werden, als sie sowieso schon sind. Aber: „Betten gehören nicht zu den Erregungsreservoires“. Klartext: Vollgepißte, eiter- oder blutverschmierte Matratzen - alles im Grunde halb so wild. Und z.B. überhaupt kein Grund für eine Bettenzentrale mit automatischer Wasch und Desinfektionsanlage. In Freiburg z.B. werden benutzte Matratzen auf der Station von Zivildienstleistenden gereinigt und - so von Ansteckungs-Kranken belegen desinfiziert. Vorteil: Weniger Verbrauch von Desinfetionsmitteln, geringere Kosten, geringere Belastung des Abwassers mit chemischen Desinfektionskeulen.

Auch in einem zweiten „wunden“ Punkt hat sich der Untersuchungsausschuß offensichlich päpstlicher aufgeführt als der Hygiene-Papst Daschner: Die Rügen des Ausschusses, daß im St

Jürgen-Krankenhaus sogenannte „septische“ (also keim -trächtige) Operationen in den gleichen OP-Sälen wie aseptische durchgeführt werden, entsprechen zwar alter Schulbuchweisheit aber nicht Daschners neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Daschner: „Alle bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen haben gezeigt, daß bei septischen Eingriffen nicht mehr Keime in die Umgebung abgegeben werden als bei aseptischn Eingriffen.“ Die geforderte Trennung in zwei baulich völlig voneinander unabhängige OP-Säle sei deshalb völlig überflüssig. Daschners Resumee über die Bremer Operateure und ihr Hyienebewußtsein: „Es gibt von meiner Seite aus keine Anregung, die Disziplin und organisatorische Situation dort zu verbessern. es wird eher zuviel gemacht.“

Bremer Patienten können es glauben oder nicht. Herbert Brückner, Helmut Euler und Walter Henschel werden es jedenfalls sicher gern hören, daß sie ausnahmsweise mal eher zu viel getan haben sollen.

K.S.

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