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EITELKEITEN

■ Tanzfabrik Berlin und Gesc Gelabert im Hebbeltheater

Mit der Ankündigung von gleich drei Uraufführungen und der Zusammenarbeit mit dem spanischen Choreographen Gesc Gelabert versprach die Tanzfabrik ein neues Programm. Doch restlos verliebt in ihre sichersten Nummern, wurde diesmal nur ein buntes Kaleidoskop von Abziehbildern daraus. Für ihre Mini-Revue „Die Pfütze“ zapften Dieter Heitkamp und Sabine Lemke nur immer lustig und drauflos wieder den Mythos der wilden 20er Jahre an. Man gibt sich grotesk und frivol, kratzt sich demonstrativ am Po, streut mit angestrengter Stimme absurde Wortfetzen aus und collagiert Abnormitäten, Trivialitäten, Matrosen-Charme und Gegrapsche, wie es gerade so obenauf lag im Körbchen des Bewegungsmaterials. Doch fehlt diesem work-in-progress diesmal die sonst übliche Präzision, um der Beliebigkeit wenigstens Glanz zu verleihen. Ohne genaues Timing entwich der hektischen Bilderjagd der letzte Rest von Witz und Spannung. Hierfür Inspiration durch Leben und Werk Valeska Gerts zu beanspruchen, bleibt Etikettenschwindel.

Die Tanztfabrik feiert sich selbst und kocht ihre altbekannten Attitüden auf. In Birlibirloque klittern acht Tänzer ihre jeweiligen tänzerischen Charaktere, von Lydia Azzopardis rot-schwarzen Kostümen betont, zu einer fröhlichen Freakshow mit Ringelreihen und Mord. Sabine Lemke bleibt der kesse Liebling der Saison, Claudia Fest die weisheitsschwangere Göttin, Jacalyn Carley die niedliche Kleine, die nicht ganz durchblickt, Kurt Koegel nonchanlanter dämonischer Beau, Ka Rustler unbesiegbare Barbarella usw. Die Tänzer verramschen ihre Phantasie; jeder darf in der Mitte des tobenden Hexenkessels einmal Star sein. Cesc Gelabert, der aus Spanien eingeladene Choreograph fürBirlibirloque, scheint diese Aufgabe mit dem Management einer Talentshow verwechselt zu haben und lieferte eine konfliktscheue Null-Choreographie.

Gelabert selbst übte sich in seinem Solo Vaslav in der Verehrung Vaslav Nijinskys. Er begann seine Hommage mit dem Träumer, der in Selbstgenuß versunken wie ein Eisprinz seine Runden dreht und die Bewegung in weichen langen Linien und filigranen Schnörkeln aus sich herausfließen läßt. Dann führte er den bocksbeinigen Pan und den hölzernen Petruschka vor; der Tänzer entdeckte in den Knie- und Ellebogen -Gelenken neue Möglichkeiten der Akzentsetzung, brach die elegante Linie und ließ Eckigkeit, Mechanik und Schönheit der Bewegung zu. Doch zugleich mit dieser Aufrauhung der Schönheit erfährt er den Tanz als einen Dämon, der ihn zum zappelnden Sklaven macht. Am Ende hört er das Hufgetrappel galoppierender Pferde und sucht mit ungleichen Beinen humpelnd vergeblich eine Annäherung an diesen organischen Bewegungssturm. Auch Vaslav blieb noch zu vage in seinen Formulierungen, ohne erkennbare Reflexion des selbstzerstörerischen Narzißmus und Wahns Nijinskys.

Katrin Bettina Müller

Heute noch einmal im Hebbeltheater um 20 Uhr.

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