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Der Felix als Schwarzer Peter

■ Wie funktioniert die Vergabe des Europäischen Filmpreises? Funktioniert sie überhaupt? Eindrücke aus Paris

Warum schlafen die Filmprofis bei der Vergabe der Palmen in Cannes und wärhrend der Cesar-Verleihung in Paris? Frederic Mitterrand, Talkmaster, Filmemacher und letzten Samstag Moderator der Felix-Gala, hat zumindest für die Cannes -Besucher eine Entschuldigung parat: Nach zwei anstrengenden Festivalwochen dürfe man schon mal müde sein. Das Spektakel um die Cesars aber (das französische Gegenstück zum Oscar) sei zur Pflichtübung verkommen, die die Mitwirkenden deutlich weniger interessiert als das Publikum.

Im Theatre des Champs-Elysee ist am Samstag abend kein Schnarchen zu hören. Die Profis haben die ihnen reservierten Plätze gar nicht erst eingenommen. So kommt es, daß die sorgfältig kalkulierte Sitzordnung - Gandhi (die Fälschung) in der ersten, Baby Schimmerlos (das Original) in der letzten Reihe - aufgelöst wird. Die oberen Ränge werden geräumt, und die Journaille darf sich glücklich schätzen, zwischen den Stars als Statisten für ein stimmiges Fernsehbild herzuhalten.

Der Clou: Das Schauspiel und seine Fernsehbearbeitung sind simultan zu besichtigen. Links und rechts neben der Bühne illustrieren zwei das Ergebnis der Eurovisionsanstrengungen, um den Anwesenden vor Augen zu führen, welcher Ausschnitt von mehr als sechzig teilnehmenden Filmen aus 27 europäischen Ländern an die fernsehende Öffentlichkeit gelangt: ein paar lieblos zusammengesetzte Eindrücke aus sieben Spiel- und zwei Dokumentarfilmen, die zu loben das europäische Feuilleton seit mehr als einem Jahr keine Gelegenheit ausgelassen hat.

Vergeblich, versteht sich. Theo Angelopoulos' Landschaft im Nebel, der seine Premiere bereits im Sommer 1988 erlebte, wird am 25.November 1989 als „Europäischer Film des Jahres“ ausgezeichnet. Beim bundesdeutschen Publikum etwa ist er bis dahin praktisch unbekannt geblieben. Der kleine Frankfurter Verleih „Pandora“ hat den Film vor ein paar Monaten in die Kinos gebracht. Das Resultat: Auf jeden hingerissenen Filmkritiker entfielen ein paar Dutzend Zuschauer.

Als in Berlin der Europäische Filmpreis ins Leben gerufen wurde, da fühlte sich die internationale Filmkritikerorganisation Fipresci übergangen. Dabei ist die Wahl der Jurys in Berlin wie in Paris durchaus nach dem Geschmack der schreibenden Mafia ausgefallen. überdies hat ein anderes Konzept als das der fernsehkonfektionierten Oscar-Imitation niemand vorgelegt. Die Frage, ob der Felix ein europäisches Publikum für die hausgemachten Produkte interessieren oder lediglich eine verschlafene Branche wecken soll, mag einem keiner beantworten. So wird als Erfolg gewertet, daß es ihn überhaupt gibt. 27 Länder auf ein Verfahren zu einigen, ist keine leichte Sache.

Um zu verstehen, warum vom Felix keine Überraschungen zu erwarten sind, genügen einige Blicke auf Struktur und Reglement. Eine „European Cinema Society“ deckt den Europäischen Filmpreis kraft der großen Namen ihrer Mitglieder. Die 42köpfige Mitgliederschaft übt keinerlei öffentliche Funktion aus, aber sie gibt auch schweigend eine Richtung an. Isabelle Huppert zählt nicht nur als einziges Mitglied unter 40, sondern auch als Schauspielerin zur Minderheit, neben dem Kameramann Sven Nykvist, dem - ja was? Drehbuchautoren - Jorge Semprun, Liliana Cavani mag als enfant terrible durchgehen - ansonsten eine gepflegte Mischung aus Produzenten und Regisseuren mit Hang zum Funktionär (David Puttman, Jörn Donner) und unser aller Lieblingen (zweimal Taviani, einmal Wenders). Namen wie Carax, Kusturica, Kaurismäki vermißt man nicht ohne Grund: die machen Filme, solange es noch geht.

Bei soviel Mut zur Verstaubtheit mögen auch die meisten nationalen Auswahlkomitees nicht an sich halten. Jedes dieser Gremien bestimmt maximal drei Filme, die um den Felix werben: je ein Vorschlag für den „Europäischen Film des Jahres“, den „Jungen europäischen Film des Jahres“ und den „Europäischen Dokumentarfilm des Jahres“. Die griechische Jury verzichtete auf solche Vielfalt und schickte siegesgewiß nur Angelopoulos ins Rennen. Auch die Finnen benannten einen einzigen Film - eine Handvoll neuer Kaurismäki-Produktionen ging so gar nicht erst ins Rennen. In der Bundesrepublik fiel die Wahl des Gremiums (Heinz Badewitz, Harry Baer, Peter Buchka, Elvira Senft und Wim Wenders) auf Reinhard Hauffs Blauäugig, Christian Wagners Wallers letzter Gang und den Dokumentarfilm Restrisiko oder Die Arroganz der Macht von Bertram Verhaaf und Claus Strigel.

Der Dokumentarfilm wird noch einmal anders behandelt. George W.Brandt, Herz Frank und Jean Rouch küren Recsk 1950-1953 von Geza Böszörmenyi und Livia Gyarmathy, die Geschichte eines ungarischen Arbeitslagers, zum „Dokumentarfilm des Jahres“, Joris Ivens wird posthum ein Sonderpreis zuteil. Die Gewinner stehen Wochen vor der Preisvergabe fest - warum Spannung aufbauen für ein Genre wie den Dokumentarfilm, für das sich kaum ein Publikum erwärmt?

Der zweite Schrtt: 21 aus 46 vorgeschlagenen Spielfilmen hat ein internationales Gremium Anfang Oktober für insgesamt neun Preise nominiert und dabei ausgiebig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, fünf bzw. sieben Nominierungen in der Katgeorie zu vergeben. „Wir haben den Schwarzen Peter weitergegeben“, bekennt Hark Bohm als eines von sieben Mitgliedern der Vorauswahl.

Die Jury mit ihrer Präsidentin Liv Ullmann hat diese Chance nicht genuzt. Von sieben schließlich prämierten Filmen sind vier (Landschaft im Nebel, Eldorado, High Hopes und Die kleine Vera) bereits seit der Biennale von Venedig im Sommer 1988 allerorts abgefeiert worden, den Darstellerpreis erhält die sichere Nummer Philippe Noiret, und auf eine sympathische kleine Fernsehproduktion (High Hopes) entfallen gleich drei Preise. So setzt man Zeichen.

Noch mit dem von Markus Lüpertz gestalteten Felix in der Hand hat Philippe Noiret bloß Spott für die Veranstaltung übrig: „Nie hätte Hollywood sowas hingekriegt“, ruft er in den irritierenden Applaus. „Niemals. Niemals. Niemals.“ Zwei Tage vorher gesteht er off record im Interviev: „Nichts könnte mir piepegaler sein als ein Cesar oder Felix.“

In Frankreich war der Europäische Filmpreis 1989 ein nationales Spektakel. Hatten sich die Pariser TV-Anstalten noch im vergangenen Jahr aus der europaweiten Fernsehübertragung ausgeklinkt - worin Frederic Mitterrand „eine gewisse kulturelle Arroganz“ erkennt -, so mochte diesmal das ZDF nicht live dabei sein. Ob der französische Sender Antenne 2 nächstes Jahr in Glasgow mitspielt, hängt nach den Worten der Pariser Funktionäre davon ab, „ob sie es genauso spannend machen wie wir“.

Christoph Terhechte

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