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„Zur Selbstdarstellung gezwungen“

Wir dokumentieren auszugsweise einen Vortrag, den der ermordete Chef der Deutschen Bank vor der „Wirtschaftspublizistischen Vereinigung“ hielt. Herrhausens Thema: „Wirtschaft und Presse“ / Er fordert nichts als die Wahrheit widerzugeben, sieht aber die Notwendigkeit des „Sich-zur-Schau-Stellens“ - der Performance  ■  Von Alfred Herrhausen

Wir wissen sehr genau, daß unsere Unternehmensstrategien ohne Öffentlichkeit und deren Zustimmung kaum erfolgreich durchgesetzt und praktiziert werden können. In einer Gesellschaft, die sich immer stärker emanzipiert, deren Informationsbedürfnis wächst und die kritisch prüft, was in ihr und mit ihr geschieht, geht es uns wie eine „constituency“, die um Akzeptanz gefragt werden muß. Ohne Zustimmung unserer Mitarbeiter - der internen Öffentlichkeit - und unserer Kunden - der externen Öffentlichkeit - können wir unsere Ziele nicht erreichen.

In dem berühmten Roman von Choderlos de Laclos Les liaisons dangereuses („Gefährliche Liebschaften“) findet sich ein Briefwechsel zwischen einer Dame von Welt und einer jungen Frau, in dem die erste vor der weiteren Bekanntschaft mit einem Herrn von schlechtem Ruf abrät: „Sie halten ihn einer Umkehr für fähig, ja, sagen wir mehr, nehmen wir dieses Wunder als wirklich geschehen an - würde nicht gegen ihn die öffentliche Meinung bestehen bleiben, und mußte das nicht genügen. Ihr Verhältnis zu ihm danach einzurichten?“

In diesem Zitat finden sich wichtige Kernelemente, die unser Thema betreffen. Da ist zum einen die Benennung der öffentlichen Meinung als Urteilsinstanz für die Reputation. Und da ist zum anderen der Appel an die Verhaltensweise die Erwartung nämlich, daß Entscheidungen und Verfahren im Sinne dieser Urteilsdistanz getroffen bzw. eingerichtet werden sollten.

Der Begriff der öffentlichen Meinung hat sehr schnell im philosophisch-politischen Raum Karriere gemacht. „All governments rest on opinion“ postulierte James Madison, einer der amerikanischen Verfassungsväter in den „Federalist Papers“.

„Alle Herrschaft gründet sich auf Meinung.“ Diese Überzeugung ist zu einem fundamentalen Glaubenssatz der westlichen Demokratien geworden. Mehr oder weniger virtuos wird auf den Instrumenten der Medienkommunikation gespielt, um die öffentliche Meinung für sich und seine Ansichten einzunehmen.

Wirklichkeit als Inszenierung

Wenn Sie an das - von vielen als negativ - empfundene Beispiel amerikanischer Präsidentschaftswahlen denken, dann wissen Sie, was ich meine. Gegenüber den ausgefeilten Werbestrategien der Kandidatenpräsentation treten die eigentlichen politischen Inhalte und auch die eigentlichen Menschen, die diese Inhalte vermitteln, in den Hintergrund.

Hans Thomas erwähnt in seinem Traktat über Wirklichkeit als Inszenierung den Schulausflug nach Bonn. Ein Schüler sieht den Bundeskanzler. Der Junge - an ein intensives Fernsehprogramm gewöhnt - berichtet den Eltern, er, der Bundeskanzler, sei aber nicht so gewesen, wie er wirklich sei. Tatsächlich muß der Bundeskanzler auf dem Bildschirm mehr Bundeskanzler sein als er ist... Er spielt dort die verdichtete „Rolle“ des Bundeskanzlers. - Weil er vor der Kamera niemandem konkret begegnet, muß er sich inszenieren.

Hier sind wir an einem entscheidenden Punkt.

Die Inszenierung von Wirklichkeit, die den Alltag der Medienwelt ausmacht - nicht von ungefähr heißen sie ja Medien - zwingt jedermann zur Selbstdarstellung. Es sind Rollen, die da gespielt werden, weil eine zuschauende und zuhörende Öffentlichkeit dies erwartet. Die Wirklichkeit inkarniert sich in Darstellung, und es taucht die Frage auf, ob sich eine durch Darstellung informierte Öffentlichkeit, ob sich eine solche „Informationsgesellschaft“ denn auch tatsächlich in Richtung auf mehr Wirklichkeitsnähe bewegt. Ich habe hier ab und an Zweifel und zitiere noch einmal Hans Thomas: „Medienwirklichkeit ist die permanente Hochform.“ Permanente Hochform aber ist nicht wirklich, sie ist gleichsam realer als real. Boudrillard nennt es das Hyperreale.

Es zeigt ganz eigene Ausprägungen: Das Hyperreale der natürlichen Entwicklung ist die Simulation, das des Ereignisses die Sensation, das der Sexualität der Porno, das des Schadens die Katastrophe, das der Person der Funktionsträger.

In einem Gespräch, das ich selbst kürzlich mit einem Journalisten hatte, sah ich mich am Ende zu der Bemerkung veranlaßt: „Sie können sich offenbar gar nicht vorstellen, daß ein Mensch in meiner Position nicht machtbesessen, nicht konspirativ, maßlos ehrgeizig, geld- und ämtergierig, publizitätssüchtig ist - um schlimmere Epitheta beiseite zu lassen.“ Seine freimütige Antwort lautete: „Das kann ich mir in der Tat nicht vorstellen.“ Können Sie es sich vorstellen?

Hier zeigt sich: „Jeder steht auf der Bühne des durchgestylten Rollenspiels repräsentierter Interessen. Offene Gespräche enden. Öffentliche Gespräche beginnen - das Ende der Kommunikation.“

Dieses Ende aber ist häufig der Beginn von Performance. Zur -Schau-Stellung verstanden als Legitimationsversuch. Dafür bieten die Medien die Bühne, eben das Medium. Die Politiker haben längst gelernt, auf dieser Bühne um Zustimmung für ihre Person und ihre Sache zu werben.

Im Vergleich dazu hat man gelegentlich den Eindruck, daß in der Wirtschaft die Dimensionen der so verstandenen Öffentlichkeit noch nicht hinreichend erkannt werden. Dabei sind die Zeiten vorbei, in denen unser Metier durch einen von allen relevanten gesellschaftlichen Gruppen getragenen Grundkonsens legitimiert wurde. In der Nachkriegszeit waren die rauchenden Schlote an Rhein und Ruhr noch das Symbol für den wirtschaftlichen Aufstieg. Heute stehen sie für viele Menschen für Stahlkrise, Arbeitslosigkeit und Umweltverschmutzung.

Zum wiederholten Male ist es z.B. gerade jetzt wieder die Kreditwirtschaft, deren Funktion und Handlungsweise allgemein kritisch hinterfragt werden. Die zunehmend subjektive Sensibilisierung der Bevölkerung spüren wir jeden Tag in Presse, Funk und Fernsehen. Wir erfahren sie durch Briefe, Anrufe und persönliche Adressen im Gespräch. Dabei zeigt sich die angesichts der komplexen Wirklichkeit oftmals unvermeidliche Fragmentierung der Sachverhalte, für die die Menschen wegen der intellektuellen Entropie nach Orten der Gewißheit suchen. Solche Orte vermuten sie in den Medien, die mit ihrer subtilen Kodifizierung auch dort Verstehen vermitteln (müssen), wo die Wirklichkeit nur schwer verständlich ist. Das Maß, in dem ihnen dies gelingt, bestimmt mit über die Reaktionen des Gefallens in Gestalt von Einschaltquoten und Abonnements. Die Konsequenz ist eine Gefahr, die Gefahr nämlich, daß Wirklichkeit durch Zustimmung, Wahrheit durch Konsens ersetzt wird. Ist dies der Grund für die oft feststellbare Selektion, die gründlicher Recherche und umfassender Vermittlung widerspricht? „Wahrheit wird zum zweitrangigen Problem...“, sagt Gianfranco Bettetini. Und weiter: „Vielmehr...“ sind „die Ziele eine konstruierte Evidenz, eine scheinbare Transparenz, leichte 'Lesbarkeit‘, also starke Überzeugungskraft“.

Ich bekenne, diese „konstruierte Evidenz“ bereitet uns Schwierigkeiten. Denn sie erlegt uns eine zweite Sicht und Verhaltensweise auf, an die wir noch nicht gewohnt sind. Neben der Alltagspflicht nüchterner Realitätsbewältigung, die immer auch das Risiko des Scheiterns - besser der Popperschen Falsifikation - einschließt, geht es um die engagierte Vermittlung unumstößlicher, wenngleich nur simulierter Realitätsgewißheit. Das ist schwer, weil jetzt nicht mehr Inhalte bestimmen, sondern die Art und Weise ihres formalen und personalen Transports. Und dieser muß häufig geschehen im Stil einer Apodiktik, die bescheidenes Hinterfragen nicht mehr zuläßt. Die kleine Sentenz von Hans Thomas stimmt schon, der von einem einfachen Zeitungsleser seiner sauerländischen Heimat den Anspruch berichtet: „So viel Wahrheit, wie in der Zeitung steht, gibt es überhaupt nicht.“

Medium Geist

Das eigentliche Vermittlungsmedium zwischen den Menschen ist doch der Geist. Er ist Kommunikation im Sinne von Erklärung, nicht im Sinne von Überredung oder gar nur Unterhaltung.

Daraus folgt für uns, die Wirtschaft, das Gebot der Informationskultur. Stärker noch als bisher müssen die Unternehmen ihr Handeln gegenüber der Öffentlichkeit erklären. Wir sind unter Begründungszwang gestllt. Gerade weil, anders als in der klassischen Wirtschaftstheorie behauptet, der Wirtschaftende „Handelnder“ und nicht von anonymen Wirtschaftskräften „Gehandelter“ ist, bleibt er mit der individuellen Verantwortung beladen, die Zwecke seines Handelns zu reflektieren und verdeutlichen. Das, was wir wollen, muß drinnen - in unseren Unternehmen - verstanden und akzeptiert werden, sonst können wir es nicht durchsetzen, und es muß draußen - in der Öffentlichkeit verstanden und akzeptiert werden, sonst erhalten wir uns nicht die Glaubwürdigkeit, die für unser erfolgreiches Wirken langfristig unentbehrlich ist.

Manchmal habe ich den Eindruck, daß viele Unternehmen und Unternehmer den Dialog mit den Medien noch nicht als ständige unternehmerische Aufgabe begreifen. Die Presse wird oft weniger als Partner denn als Gegner begriffen, der sich nur für das Unternehmen interessiert, wenn es in Schwierigkeiten steckt.

Sind für Sie denn wirklich nur „bad news good news?“ Ich glaube das nicht. Dies wäre ein strukturloser Diskurs, der schon intellektuell nicht befriedigt, geschweige denn sachlich. Er ginge zudem von einem Adressaten, dem Benutzer der Medien aus - dem Hörer, dem Leser, dem Fernsehzuschauer

-, dem nur noch die Rolle des undifferenzierten Skandalfreaks zugestanden wird.

Tatsächlich suchen sie, die Medien, aber doch seit langem und mit zunehmender Intensität nach dem Benutzer, der seine Konsumkultur auffächert und vielfältiger macht sowohl im Hinblick auf Inhalte als auch auf Werte oder Bewertungen.

Das schließt natürlich Kritik ein - Kritik an uns und unserem Verhalten. Edzard Reuter hat formuliert: „Nur Unternehmen, die ihr Tun in Frage stellen und sich dabei helfen lassen, indem sie in Kauf nehmen, in Frage gestellt zu werden, haben die Chance, richtig zu handeln.“

Hier wird vom feedback gesprochen, das korrigierende Wirkungen bei uns auslöst, mindestens eine Art von Ferment darstellt, das den Prozeß der unternehmensinternen Reagenz beschleunigt. So gesehen schaffen Sie (die Journalisten, d.Red.) Wirklichkeit oftmals gerade dadurch, daß Sie kritisch sind. Bleiben Sie es, allerdings - wenn ich diese Bitte äußern darf - mit dem der Sache gemäßen Augenmaß. Es gibt ja immer zwei grundverschiedene Blickrichtungen, aus denen man Wirklichkeit betrachten, von denen man Augenmaß ableiten kann: die realistische und die ideologische.

„Wichtig ist der Text“

Ich weiß sehr wohl, daß hier ein Spannungsfeld der medialen Intention angesprochen ist - eine Frage Ihrer Kultur, Ihres Selbstverständnisses. Bilden Sie - nur - Wirklichkeit ab? Oder verhalten Sie sich kreativ? Sollen wir einen Journalismus verwerfen, der uns aus der Lebenswirklichkeit wegen mangelnder Realitätstreue entführt, oder sollen wir ihn wegen seiner künstlerischen Schöpfungspotentiale begrüßen?

Aus unserer Sicht ist die Antwort scheinbar eindeutig. Uns geht es um Berichtigung, d.h. in der Tat um Abbildung von Wirklichkeit so, wie sie ist, und nicht so, wie man glaubt, das sie sei.

Wenn in der letzten Woche eine große Illustrierte berichtete - und beklagte -, wir hätten vor Jahren die Aktien eines großen, aus einer ehemaligen Genossenschaft entstandenen Handelskonzerns zu überhöhten Kursen an der Börse eingeführt, so ist das eben nicht wahr. Der genaue Hergang wäre bei gründlicher Recherche leicht festzustellen gewesen.

Wenn der Beteiligung von Daimler an MBB das Motiv unterstellt wird, verstärkt Rüstungswirtschaft betreiben zu wollen, und man daraus energischen Widerstand gegen alle Abrüstungsmaßnahmen schlußfolgert, so trifft dies eben nicht zu. Auch hier hätten Faktenstudium und Meinungsanalyse helfen können, die Sachverhalte darzustellen.

Wenn ich dennoch nur von der scheinbaren Eindeutigkeit unserer Antwort gesprochen habe, dann natürlich wegen der auch uns bewußten und von uns gewollten Zweistufigkeit journalistischer Praxis. Die erwähnte Frage nach der Aufgabenstellung - Abbildung der Wirklichkeit oder kreative Simulation - ist falsch gestellt.

Wir brauchen beides: Berichterstattung und Kommentierung, aber eben eine Kommentierung der Wirklichkeit, nicht eine solche der Unwirklichkeit. Wirklichkeit wird durch Berichterstattung reproduziert und kann dann analysierend und wertend kommentiert werden. Unwirklichkeit wird produziert. Sie kann ebenfalls Objekt der Kommentierung, nicht aber ein solches der Berichterstattung sein.

Sie ist, so meine ich, zudem ein Verstoß gegen das Freiheitspostulat des Informationskonsumenten, d.h. unseren gemeinsamen Adressaten, des Hörers, Lesers, Zuschauers. „Wichtig ist der Text“, sagten die Schriftgelehrten. Zerstört man ihn, so vernichtet man zugleich das kommunikative Projekt.

Das gilt auch für uns. Unser kommunikatives Projekt ist der Sachverhalt. Ihn unverfälscht darzustellen, d.h. ihn nicht zu zerstören, bevor man ihn kommentiert, entspricht dem Freiheitspostulat, dem Ziel den Konsumenten in den Stand zu setzen, inmitten der Medien seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

Dies setzt aber auf unserer Seite - der Seite der Wirtschaft - im Verkehr mit Ihnen, den Medien, der Presse, eines voraus, nämlich Offenheit in des Wortes direkter Bedeutung. Wir müssen sagen was ist, d.h. wir dürfen nicht verschweigen oder verdecken.

Bemühen wir uns also um Offenheit. Wir brauchen Glasnost für den Kapitalismus - auch und gerade für die kapitalistische Wirtschaft. Sie bedarf angesichts der schon wiederholt angesprochenen Komplexitäten der Mitteilbarkeit der Botschaft. Dies mag hier und da nach Vereinfachung rufen. Aber es muß eine Vereinfachung sein, die aus der Kenntnis des Komplizierten, nicht aus Scheu vor ihm entsteht. Und ein weiteres kommt hinzu:

Ob vereinfacht oder kompliziert - notwendig ist Überblick. Er aber setzt Distanz - kritische Distanz - voraus. Halten wir Abstand. Nähern wir uns allenfalls auf Sichtweite.

Das hat nichts mit Berührungsangst zu tun und schon gar nichts mit Überheblichkeit. Es bedeutet vielmehr kritische Distanz auch zu uns selbst. Wirtschaft ist wegen des Objekts ihrer Fürsorge immer in der Gefahr der distanzlosen Selbstbezogenheit. Sie tendiert dadurch medienpolitisch zur Hofberichterstattung. Dem muß eine unvoreingenommene Presse und Medienbranche entgegenwirken.

Der amerikanische Prognostiker John Naisbitt hat einmal gesagt: „Die neue Quelle der Macht ist nicht mehr das Geld in der Hand von wenigen, sondern die Information in den Händen von vielen.“ Vierte Gewalt - neben Legislative, Exekutive und Rechtssprechung - werden die Medien genannt. Ich zweifle nicht daran, daß sie es wirklich sind. Dies auferlegt Ihnen ein hohes Maß an Verantwortung, dem siamesischen Zwilling der Freiheit.

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