Die Schönheit des Pfeifens

■ Die „Jesus and Mary Chain„-Biographie von J. Robertson

Es ist keine besonders neue Erkenntnis, daß die populäre Musik der letzten 35 Jahre ziemlich schnell in eine Sackgasse geraten war, was die Weiterentwicklung ihrer Grundstruktur betraf. Pop ist simpel, sonst wäre er kein Pop mehr. Was zur Folge hatte, daß sich die hauptsächlichen Innovationen auf den Sound beschränkten, in den man einen klassischen 3-Akkorde-Song einpacken konnte. Das Feedback kennt jeder, der einmal ein elektrisch verstärktes Instrument in der Hand gehalten hat, aber bis Mitte der 60er war es allein ein störender Nebeneffekt, der entstand, weil ein Trottel seinen Verstärker zu weit aufgerissen hatte. Die Beatles reklamierten für sich die „Erfindung“ des Feedbacks, und sie waren 1964 zumindest die ersten, die es bewußt einsetzten. Von da an führt eine direkte Linie von den Beatles über die Stooges, Jimi Hendrix, natürlich Velvet Underground zu The Jesus and Mary Chain. Eine direkte Linie vom Experiment mit dem fiesen Pfeifton über die Erprobungs und Erforschungsphase zum perfekten Sound, der sich allein auf das vielstimmige Heulen durchgeknallter Elektronik gründete.

John Robertson hat die Geschichte der Band geschrieben, die es geschafft hat mit ihrem Höllensound (nie war dieser Ausdruck treffender) immerhin in die mittleren Bereiche der Charts vorzustoßen. Zum Glück ist daraus nicht eine der üblichen Biographien für Teenies geworden, die hauptsächlich daraus bestehen, aufzuzählen, bei welchen Popstars die Mutter der Helden einmal Staub gewischt hat oder von wem der spätere Star seine erste Blockflöte geschenkt bekam. Natürlich tauchen auch die Krawalle bei den ersten Auftritten auf, das Chaos, das die Mary Chains auslösten, weil sie prinzipiell nur eine Viertelstunde spielten, und die Skandälchen, mit deren Hilfe sie versuchten, sich in die Charts zu wuchten.

Aber eigentlich ist dieses Buch eine Abhandlung über die Geschichte und die Schönheit des Feedbacks, auch „white noise“ genannt, des Sounds, der bei jedem direkt ins Gehirn fährt. Ein Sound, den The Jesus and Mary Chain jedem ihrer teilweise haarsträubend einfachen Kindersongs gaben, den sie bis zur Perfektion entwickelten, indem sie teilweise vier, fünf Feedback-Tracks übereinanderlagerten, und mit dem sie eine leider gescheiterte Revolution in der Pophistorie auslösten. Denn nie vorher und nachher war es einer Band gelungen, mit ähnlich nervenzerfetzenden Klängen finanziell erfolgreich zu sein.

Thomas Winkler

The Jesus and Mary Chain. Eine Feedback-Geschichte von John Robertson. Deutsche Erstausgabe. Sonnentanz-Verlag, Augsburg 1989, 28 DM