: Durchhalten oder Resignieren?
■ Am 7. Dezember 1987 hat die Intifada in Dschabalia-Camp im Gaza-Streifen begonnen / Der Druck der israelischen Militärbehörden auf die Bevölkerung in Westbank und Gaza-Streifen nimmt zu / Eine Delegation der niedersächsischen Grünen besuchte Ende November Israel und die besetzten Gebiete / Von Jürgen Voges
Wortlos, mit einer verlegen-freundlichen Handbewegung bittet unser palästinensischer Gastgeber Samir A., Platz zu nehmen. Der 65jährige Mann hat ein paar geblümte Kissen vom Matratzenstapel in der Ecke des kleinen Innenhofes genommen und sie für die Mitglieder der Delegation der niedersächsischen Grünen auf einen Mauerrest gelegt, der ein Stück gefliesten Bodens umrandet. „Die Soldaten kamen um drei Uhr morgens und gaben uns eine Stunde Zeit, dieses Haus zu räumen“, berichtet sein Sohn Abdul. „Hier können sie keinen Sprengstoff benutzen, weil die Häuser so eng stehen. Daher befahlen sie uns, die Mauern bis zum nächsten Morgen selbst einzureißen.“
Der Rest von Samir A.s Haus - ein Haufen grauer schmaler Betonsteine - liegt draußen hinter der Mauer, am Rande einer von Abwässern und Regen zerfurchten, vielleicht 20 Meter breiten Freifläche, in deren Mitte ein riesiger stinkender Müllcontainer steht. Dies ist der einzige freie Platz zwischen den durch schmale Gassen getrennten, würfelförmigen grauen Häusern - das Zentrum dieses Teils von Dschabalia -Camp. In diesem größten Flüchtlingslager des Gaza-Streifens leben 60.000 PalästinenserInnen.
Neben dem Container stochert ein dreijähriges Mädchen mit einem Stock in einem brennenden Müllhaufen. Ein paar Kinder werfen sich leere Getränkedosen und Stöcke zu und rufen dabei lachend zu den Fremden herüber: „For the soldiers!“ An einem der hölzernen Strommasten zwischen den acht frei geführten Leitungen hängt eine kleine PLO-Fahne.
Hier im Lager Dschabalia begann vor zwei Jahren mit spontanen Massendemonstrationen die Intifada. 60 Häuser habe die Armee seither im Lager zerstört, sagt Samir A. Auch seine Familie habe sich dem Befehl zur Zerstörung des eigenen Hauses nicht widersetzen können: Sogar ihre vierjährige Tochter sei von den Soldaten geschlagen worden, berichtet seine Schwiegertochter. Samir A. und seine Frau sind nach der Zerstörung in die drei kleinen Räume auf der anderen Seite des Hofes gezogen, die nun insgesamt zwölf Personen Unterkunft bieten müssen. „Das Haus meiner Eltern ist zerstört worden, weil mein Bruder zusammen mit anderen jungen Männern gegen Kollaborateure vorgegangen ist“, sagt Abdul. „Im Gefängnis haben sie meinen Bruder dann mit Elektroschocks gefoltert.“ Später habe man seinen Bruder wegen Mitarbeit in dieser Gruppe, einer sogenannten „Streiktruppe“, zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Auch wenn die Reste des zerstörten Hauses noch draußen liegen, wiederaufbauen darf Samir A.s Familie den kleinen Flachbau nicht. Mit dem Abriß haben die Soldaten die Gebäudefläche aus „Sicherheitsgründen“ für „militärische Zwecke“ beschlagnahmt. Unsere Sitzkissen auf dem Mauerrest liegen also auf der Grenze eines zwölf Quadratmeter großen Militärgeländes.
40.000 Verhaftete
Über 9.000 Palästinenser aus dem Gaza-Streifen und der Westbank werden zur Zeit offiziell in den israelischen Militärgefängnissen und den Lagern wie in Ansar II im Gaza -Streifen und Ansar III in der Negev-Wüste gefangengehalten. Nur knapp 3.000 von ihnen haben ein Gerichtsverfahren hinter sich, 1.800 sind „Verwaltungshäftlinge“, d.h. ohne Strafverfahren inhaftiert. Gegen die übrigen wird ermittelt oder sitzen ohne jede formelle Begründung im Gefängnis. Insgesamt hat das israelische Militär in den letzten zwei Jahren über 40.000 der 1,5 Millionen PalästinenserInnen in den besetzten Gebieten schon einmal inhaftiert, über 11.000 als „Verwaltungshäftlinge“.
Auch die beiden älteren Söhne von Fatima F. sind in Haft. Die 55jährige Palästinenserin erwartet die Besucher aus der Bundesrepublik bereits: Weißes Kopftuch, eine weinrote Samtbluse, auf dem Schoß ihre Enkelin, so hockt sie auf einer Matte im Innenhof ihres Hauses, zu dem man von dem Platz mit dem Müllcontainer nur ein paar Schritte zu gehen hat. „Ich brauche Milch für die Kleinen“, hebt sie energisch an. Neben ihr steht ihr jüngster Sohn, auf Krücken gestützt. Das Militär hat ihm vor einem Jahr bei einer Auseinandersetzung den Unterschenkelknochen zerschossen.
Hier im Gaza-Streifen mit seinen acht Flüchtlingslagern sterben von 100 Neugeborenen sechs im ersten Lebensjahr. Seit der Verhaftung der beiden verheirateten Söhne hungert auch Fatima F.s Familie. Mit dem Gehalt ihres Mannes hat sie für die Ernährung von fünf Enkeln, zwei Schwiegertöchtern und des jüngsten Sohnes zu sorgen. 300 Schekel, nach Kurs und nach Kaufkraft ungefähr 300 DM, bringt ihr Mann für seine Arbeit bei einer Stadtverwaltung in Israel nach Hause.
Trotz aller Not ist Fatima F. eine überzeugte Anhängerin des Aufstandes. „Die Volkskomitees der Intifada sind unsere Verwaltung. Sie sorgen trotz der geschlossenen Schulen für die Erziehung unserer Kinder. Sie helfen uns auch bei der Versorgung mit Lebensmitteln.“ Auch einer ihrer Söhne war Mitglied in einem der Volkskomitees, in denen sich der Aufstand gegen die israelische Besatzungsmacht von der lokalen Ebene bis hinauf zur „Vereinigten Führung der Intifada“ organisiert hat. Er wurde deswegen zu zwei Jahren Haft verurteilt und ist jetzt im Gefangenenlager Ansar III im Negev. Fatima F. kann ihren Sohn nicht besuchen. Wie viele BewohnerInnen des Gaza-Streifens darf sie nicht nach Israel einreisen.
Über 700 Tote
Ein 12jähriger Junge liegt auf einer Matratze in der Ecke des kleinen Raumes. Er grinst verschämt und verdreht die Augen, als die Fremden hereinkommen. „Vor zwei Tagen ging er zur Schule, dann kam das Auto des Militärgouverneurs“, sagt seine Mutter. „Sie hielten das Gewehr aus dem Autofenster und schossen auf ihn. Selbst wenn die Kinder Steine geschmissen haben, ist das kein Grund zu schießen.“ 28 Kinder unter zwölf Jahren sind in den besetzten Gebieten während der Intifada vom Militär getötet worden, insgesamt haben die PalästinenserInnen seit Beginn des Aufstandes über 700 Tote zu beklagen.
Die Mutter zeigt uns den blutigen Verband um die linke Hüfte des Zwölfjährigen. „Es war ein Metall-, kein Gummigeschoß.“ Der zwölfjährige Junge ist nach dem Hüftdurchschuß nur kurz zur Notversorgung ins Krankenhaus gebracht worden. „Wir gehen jeden Tag zum Arzt, um den Verband zu wechseln, aber er darf nicht im Krankenhaus bleiben, weil er bedroht ist“, sagt seine Mutter.
Die Mitarbeiter des palästinensischen „Medical Relief Comittees“ können das später nur bestätigen. In allen Krankenhäusern im Gaza-Streifen gebe es Kontrollen des Militärs. Nicht nur nach Auseinandersetzungen würden Verletzte vom Krankenbett weg verhaftet. Die Mitarbeiter des Komitees berichten auch, daß israelische Soldaten frisch versorgten Patienten auf Wunden geschlagen, gerade angelegte Gipsverbände entzweigeknüppelt hätten. Das Comittee mit seinen 80 freiwilligen Helfern hat deswegen seit langem sogenannte „mobile Kliniken“ aufgebaut.
„Das Leben hier ist Kampf“
Hussein, Muhammad und Ali wollen die drei knapp 20 Jahre alten Jugendlichen genannt werden, die der Delegation auf den kurzen Wegen zu den Häusern beiderseits des Platzes in Dschabalia-Camp gefolgt sind. In dem mehrstöckigen, mit Nato -Drahtrollen abgesperrten Gebäude, das die israelischen Truppen einen halben Kilometer von hier entfernt beschlagnahmt haben, ist Husseins Bruder zu Tode geprügelt worden. „Er ging am Nachmittag aus dem Haus, dann kam die Armee mit Jeeps von beiden Seiten, bei der Polizei wurde er auf die Arme und den Körper geschlagen. Er wurde bewußtlos und ist zwei Tage später in einem Krankenhaus in Israel gestorben“, sagt Hussein. „Sein Leichnam wurde um zwölf Uhr nachts übergeben, nur 20 Leute durften an der Beerdigung teilnehmen. Vier Soldaten wurden nach dem Mord verhaftet, aber letztlich wurden sie nicht bestraft.“ Sein Bruder sei damals „wegen Auseinandersetzungen mit der Polizei“ verhaftet worden. Seine Reaktion auf den Mord? „Mein Haß auf die Besatzung und die Soldaten ist angewachsen.“ Muhammad ist der Wortführer der drei jungen Männer. „Das ist eine natürliche Reaktion“, sagt er, „wenn du mich schlägst, schlage ich dich. Das Leben hier ist Kampf.“ Er blickt uns streng und etwas herablassend an. Später schiebt er die Hosenbeine seiner Jeans hoch, zeigt die Schußwunden an beiden Unterschenkeln und erklärt, wie er nach einer Verhaftung mißhandelt wurde: 35 Stunden lang hätten ihn die Soldaten an den mit Handschellen gefesselten Händen so an einem Rohr aufgehängt, daß nur die Fußspitzen den Boden berührt hätten. Nur zu den Verhören, während derer die Soldaten ihn geprügelt hätten, sei er von dem Rohr losgeschlossen worden, und für die fünf Minuten, die er zum Essen Zeit bekommen habe.
Anders als die älteren Palästinenser befürwortet Muhammad den Überfall auf eine Militärstreife in der Nähe von Gaza. Vor zehn Tagen sind dort am Stadtrand erstmals seit Beginn der Intifada bei einem gezielten Attentat zwei israelische Soldaten erschossen worden. „Dies ist eine richtige Tat, weil die Israelis viel weniger Menschen verlieren als wir“, sagt er. „Wir würden mehr von ihnen töten, wenn wir Waffen hätten.“ Zu dem Anschlag auf die Soldaten hat sich „Hamas“, die Organisation der islamischen Fundamentalisten, bekannt, dennoch ist und bleibt für Muhammad „die PLO unsere Führung“, auch wenn sie und die „Vereinigte Führung der Intifada“ bewaffnete Anschläge gegen Soldaten nicht befürworten.
Im Flüchtlingslager Deheishe
Ein anderes Lager, einen Kilometer hinter Bethlehem: Als erstes, hinter frisch aufgeworfenen Erdwällen, die Zelte der israelischen Soldaten. Danach beginnt der sieben Meter hohe Zaun, der das Flüchtlingslager Deheishe von der Straße nach Hebron absperrt: oben und unten aus Maschendraht, in der Mitte - vier Meter breit - aus Wellblech. Vor einer Woche ist in einem Krankenhaus in Jerusalem ein 29jähriger Palästinenser aus Bethlehem gestorben, der auf dieser Straße von israelischen Siedlern durch Steinwürfe verletzt worden ist. Auf dem Wellblech tun die Siedler in großen schwarzen Buchstaben ihre Haltung zu den Flüchtlingen kund: „Es ist billiger sie umzubringen.“ Im vergangenen Monat sind zum erstenmal seit sechs Jahren wieder drei nur aus Siedlern bestehende Reserve-Einheiten für den „Dienst in der Westbank“ aufgestellt worden. Vor drei Monaten, kurz nach einem Wechsel im Oberkommando über die Westbank, ist über das Deheishe-Camp eine Ausgangssperre verhängt worden: Die 10.000 BewohnerInnen dürfen an Werktagen ab 16 Uhr 30, am Samstag bereits ab zehn Uhr, ihre Häuser nicht mehr verlassen, nicht einmal ihre Innenhöfe oder Gemüsegärten betreten.
In Deheishe haben fast alle Palästinenserfamilien die 1965 von der UNO errichteten kleinen Gebäude zu mehrstöckigen Häusern ausgebaut. Die Gassen sind breiter als in Dschabalia. Hier gibt es auch Geschäfte und Kneipen, aber noch keine Kanalisation. Nasser, der uns herumführt, steuert als erstes ein weiß lackiertes, dutzendfach von Gewehrkolbenschlägen eingedelltes, Hoftor an. An der hinter uns liegenden Gassenecke warnt eine alte Frau vom Flachdach eines Hauses herab mit lauten Rufen vor einer Militärpatrouille. Die Jugendlichen und Kinder auf der Gasse verziehen sich hinter die Hofmauern.
In dem Haus ist vor zwei Monaten ein 15jähriger Junge erschossen worden, der aus einem Fenster zur Gasse hin Parolen gerufen und Steine in Richtung der Soldaten geworfen hatte. „Unser Leben ist eine Scheiße hier, kein menschliches Leben“, beginnt einer der acht jungen Männer, die aus den Nachbarhäusern durch Innenhöfe und Gärten herüber gekommen sind. „Wer während der Ausgangssperre auf die Straße geht, den schlagen die Soldaten zusammen. - Aber das gleiche kann dir auch vor halb fünf passieren.“ Wer Arbeit hat, ist praktisch gezwungen, außerhalb des Camps zu leben. „Die meisten jungen Leute sitzen den ganzen Tag zu Hause und tun gar nichts.“ Einer der jungen Männer darf nicht mehr nach Israel einreisen, ein anderer muß sich dreimal wöchentlich bei der Militärkommandantur in Bethlehem melden, und ein dritter darf aufgrund einer Verfügung des Kommandanten für ein halbes Jahr das vielleicht einen halben Quadratkilometer große Camp überhaupt nicht mehr verlassen. Drei waren in Haft.
Geblieben ist der Terror
Diese acht Jugendlichen wollen „ein freies, demokratisches Palästina, in dem die Frauen gleichberechtigt sind“. Die religiösen, konservativen Anhänger der „Hamas“, das seien in Deheishe „nur“ zwei-, dreitausend Leute, die anderen stünden auf Seiten der PLO. In ihrem eigenen Staat wollen sie vor allem - das betonen sie immer wieder - „in Frieden“ neben Israel leben. Seit vor zwei Monaten der achte Palästinenser aus diesem Lager, der 15jährige Junge, erschossen worden ist, würden kaum noch Steine auf die Soldaten geworfen. Er wolle seinen jüngsten Sohn behalten, er lasse ihn nicht mehr auf die Straße, sagt uns später ein Vater, dessen zwei andere Söhne im Gefängnis sitzen. Das Camp scheint gewaltsam befriedet, doch geblieben sind die Racheaktionen der israelischen Armee gegen die Familien der jungen Aktivisten. Die Spuren der Kolbenschläge am weißen Gartentor zeugen von den regelmäßigen Durchsuchungen, zu denen sich die Soldaten „alle paar Tage zu jeder Tages- und Nachtzeit“ Einlaß verschaffen. Manchmal kämen die BewohnerInnen ohne Übergriffe davon, dann wieder prügelten die Soldaten, höben selbst die Fußbodenbretter hoch.
Das Deheishe-Camp hat eine lange Tradition des Widerstandes, anders als im Gaza-Streifen hat es hier schon lange vor Beginn der Intifada immer wieder Demonstrationen gegeben. Doch die Jugendlichen haben genug von Repression und Ausgangssperre. „Ich will keine erschossenen Leute mehr sehen, wir sind müde, wir wollen in Frieden leben“, sagt am Ende selbst Nasser, unser Begleiter. Auch sein Bruder, der uns ein Einschußloch im Fenster des elterlichen Hauses und die von der selben Kugel stammende Narbe an seinem Hals gezeigt hat, bestätigt: „Wir können die Angst, den Terror, die Paranoia psychisch nicht mehr ertragen. Alle paar Monate im Gefängnis zu sitzen ist doch kein Leben.“ Die Situation sei schlechter als vor zwei Jahren. Nur der älteste Bruder glaubt noch an einen Erfolg der Intifada, die anderen wollen sie einfach „abbrechen“.
Bilanz einer Intifada-Woche
Yousef Farhad ist einer der Chefs des palästinensischen „Medien- und Kommunikationszentrums“ in Ost-Jerusalem. Er wurde im Jahre 1976 bei den einzigen Wahlen, die Israel jemals in den besetzten Gebieten zugelassen hat, in Ramallah zum Abgeordneten gewählt. Obwohl ihm, wie allen palästinensischen Abgeordneten, das Mandat durch die israelische Regierung entzogen wurde, sieht er sich „durch offene Worte nicht in Gefahr“. Nur zweimal und nur jeweils für 24 Stunden sei er in den letzten zwei Jahren verhaftet worden. In seinem Büro werden alle die Intifada betreffenden Nachrichten und Zeitungsmeldungen ausgewertet: 112 Zusammenstöße zwischen Jungendlichen und dem israelischen Militär, vier ermordete Palästinenser, über 195 Verletzte allein im Gaza-Streifen, Ausgangssperren in 73 Gebieten und für einen Tag im gesamten Gaza-Streifen listet der nüchterne Report des Büros etwa für die vorletzte Novemberwoche auf. Dazu 60 Razzien des Militärs, ein zerstörtes und ein versiegeltes Haus, 4.500 Hektar konfisziertes Land.
„Natürlich sehe auch ich große Unterschiede zwischen der Situation im Gaza-Streifen und der in der Westbank“, beginnt Yousef Farhad. Natürlich gebe es Leute, die nach zwei Jahren Intifada müde seien. Doch die Stimmung der Jugendlichen in Deheishe-Camp könne man nicht verallgemeinern, die meisten Aktivisten aus dem Camp säßen im Gefängnis. Aber auch der massige, energische Ex-Abgeordnete spricht davon, daß natürlich der „Zeitfaktor für beide Seiten, die Palästinenser und die israelische Regierung, immens wichtig“ sei. „Die Regierung verstärkt nicht nur den militärischen, sondern auch den wirtschaftlichen Druck, und wir wollen die breite Mobilisierung erhalten.“ Die Vereinigte Führung der Intifada halte es weiterhin für Unsinn, den bewaffneten Kampf zu propagieren, „auch wenn manche Strömungen dies wollen“. Es gebe keine Alternative zu dieser gewaltfreien Art des Aufstandes, durch den die Bevölkerung in den besetzten Gebieten auf so unterschiedliche Weisen zeigen könne, daß „sie die Besatzung nicht will“.
Boykott und Selbsthilfe
In den besetzten Gebieten schließen alle Geschäfte weiterhin jeden Tag um zwölf Uhr. In einer Woche haben wir zwei eintägige Generalstreiks erlebt, beide ohne Ausnahme befolgt, und ohne daß die Armee, wie früher Vergangenheit, auch nur versucht hätte, Läden gewaltsam zu öffnen. Einer der Streiks wurde von der „Hamas“ ausgerufen. Die islamischen Fundamentalisten und die Führung der Intifada haben sich arrangiert. Um Auseinandersetzungen zwischen den PalästinenserInnen zu vermeiden, würden eben die Streikaufrufe beider Seiten befolgt, erläutert uns Yousef Farhad. Die halbtägigen Geschäftsschließungen sind bereits Routine: Inzwischen werde an den halben Tagen ebensoviel verkauft, wie früher am ganzen Tag, erklären die Ladenbesitzer. Zum Steuerboykott erhält man zumindest in Bethlehem die Auskunft, daß nur noch diejenigen Geschäftsleute die Zahlungen an die israelischen Finanzämter verweigern, die die überhöhten Steuernachforderungen einfach nicht bezahlen können. In Israel produzierte Waren würden weiterhin boykottiert. Die Zahl der aus der Westbank und dem Gaza-Streifen nach Israel zur Arbeit pendelnden Palästinenser sei während der Intifada von 150.000 auf etwa 80.000 zurückgegangen, berichtete uns Dr. Hazboun, Ökonom an der seit zwei Jahren geschlossenen Bir-Zeit-Universität. Israels Versuche, Arbeitskräfte aus Portugal oder Jugoslawien ins Land zu holen, seien nach kurzer Zeit an den Arbeitsbedingungen und den niedrigen Löhnen gescheitert. Die Zahl der Industriebetriebe in den besetzten Gebieten, deren größter allerdings nur 300 Beschäftigte zählt, habe sich durch die Intifada von 300 auf jetzt 1.500 erhöht. Yousef Farhad will „nötigenfalls die Intifada noch über viele Jahre fortsetzen“.
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