piwik no script img

Weiche Knie „draußen“

■ Deutsche Welle produziert Grußsendung zum Fest auf See / Frauen seemanns-los

Was ist wohl die „Christbaum krankheit“? Wilhelm Huth (70), Ex-Personalinspektor der Bremer Reederei Sloman-Neptun, kennt sie bestens: Zwischen dem 10. und 20. Dezember bricht sie alljährlich unter Seeleuten aus, die Krankmeldungen schnellen in die Höhe. „Weihnachten an Bord ist beschissen“, weiß Herr Huth, selbst die „gesottensten Seeleute werden weich in den Knien“. Um die Knie noch weicher zu machen, veranstaltet Herr Huth, heuer bereits zum 27.Mal, zusammen mit der „Deutschen

Welle“ und den Angehörigen der Seeleute ein gemütliches Beisammensein, in dessen Verlauf die Daheimgebliebenen Weihnachtsgrüße nach Übersee vortragen.Das ganze wird mitgeschnitten und vor dem Fest über Kurzwelle ausgestrahlt. Eine Bremer Bierfirma stellt die Räume zur Verfügung und tut zehn Kisten Beck's dem Schiff aus, das am fernsten der Heimat mithört.

Die „Schalander-Band“ intoniert „Wie's kommt, weiß man in diesem Leben nie“. Auf den Tischen krümelt Spekulatius. Kapitänsfrau Plep schreibt Romane, die sie gleich durchgeben will. Sie grüßt einen Bekannten, erster Offizier auf dem Riesentanker „Zetagas“, und dessen Familie. Die Zeiten sind hart geworden, sagt Herr Plep, kurze Liegezeiten, Stress. Der überwiegende Teil des Publikums ist jenseits 50 und möchte schunkeln. „Die Jungen haben nicht mehr so die Ader fürs Feierliche“, findet eine Seemannsmutter. Helga Blume ist zum ersten Mal dabei, ihr Junge (25) ist seit einigen Monaten Schiffsmechaniker auf dem Containerschiff „Ville D.Jupiter“ irgendwo im Indischen Ozean und erstmals Heiligabend nicht daheim. Sie grüßt kurz. Telefon ist zu teuer, so um 60.-DM die Minute. Der Reedereivertreter dröhnt „immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel“ ins Mikro.

Weihnachten an Bord, sinniert Herr Köppe, nein, ein Besäufnis sei das nicht. Ein paar Weihnachtslieder, etwas Wasser in den Augen, in den Tropen vielleicht eine Grill -Party. Und der Funker kommt mit der Kassette mit den Weihnachtsgrüßen für alle, die auf Wache waren. Jonny Hill schmalzt „Deine Augen“. Herr Köppe war Schiffskoch auf der „Dabo“, bis sie im Juni ausge

flaggt wurde. „Bis auf Kapitän und 1.Ingenieur alles Philippinos. Da gibt's morgens keine frischen Brötchen mehr.“ Er ist ar

beitslos. Wie viele heute Abend sitzt er hier „aus Verbundenheit“. Dieses Weihnachten haben sie gottlob keinen draußen. Bu

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen