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HARUN FAROCKI

 ■  Ich denke oft an Piroschka

Eine Fernsehsendung1, in der Friedrich Kittler sagt: „Ich denke, man ist immer in Spitzenprodukte der Macht verliebt, das war nie groß anders in der menschlichen Geschichte.“ Seine Finger bearbeiten die Tastatur eines Computers, ein Diagramm baut sich auf dem Bildschirm auf, der dabei sein Gesicht widerspiegelt, dazu sagt ein Sprecher, der nicht zu sehen ist: „Friedrich Kittler ist Professor für Literaturkritik an der Universität Bochum.“ Und als sei das nicht genug: „Verschiedene Gastprofessuren führten ihn in die USA.“ Und weil nicht alle Universitäten der USA Spitzenprodukte der Macht oder Geltung sind: „Darunter so renommierte Universitäten wie Berkeley oder Stanford.“ Kittler sagt, das erste Geräusch in seinen Ohren sei der Klang der Sirenen bei den Bombenangriffen auf Sachsen gewesen. Er habe dann die Geschichte der technischen Medien untersucht: “...das, was geblieben ist vom Weltkrieg, das sind seine Technologien, die inzwischen (...) Medienalltag geworden sind, Unterhaltungsmedienalltag, und auf diese Weise den Sound der Sirenen in meinen Ohren fortsetzen.“ Musik setzt ein. Auf dem Deck eines Flugzeugträgers hat ein Flugzeug schräg aufgesetzt, der Auffangmechanismus versagt, es rutscht über die Länge der Landefläche und stürzt ins Meer. Ein Trickfilmhase springt ins Bild, wirft dem treibenden Flugzeug einen Rettungsring zu und zieht dabei ein geheuchelt mitleidiges Gesicht. Eine durchziehende Bildschrift informiert, daß im September 89 Dive Bunny mit Swing the Mood Nummer eins in Deutschland gewesen ist. Wir haben den Ausschnitt eines Videoclips vor uns, auch der Hase kommt von dem Clip und nicht von der Redaktion, was ich bei erster Ansicht nicht ersehen habe. Swing the Mood ist ein Potpourri aus frühen Rock'n'Roll-Titeln (Wake up, little Susie!), wenn man Musik fotokopieren könnte, müßte sie so klingen. Weil diese schwach erinnerte Musik aus den 50er Jahren kommt, haben die Videoclipmacher Wochenschaubilder aus dieser Zeit hinzugefügt. Der Flugzeugträger kann für den Krieg stehen, und die Schadenfreude über den Unfall bei geheucheltem Entsetzen soll für die Doppeltheit der Moral sein, die dieser Zeit zugeschrieben wird. Kittler eröffnet einen Zusammenhang von Kriegstechnik und Technik der Unterhaltung, der Videoclip schließt die vermeintlichen Charakteristika der Subgeschichten Musik, Wochenschau, Moral kurz. Kittler will Auseinanderliegendes überraschend zusammenbringen, der Videoclip will zuordnen, was ihm der Apparat der Überlieferung vorgefertigt hat. Die Musik ist wieder abgestellt. Kittler zählt auf, zu welchen Zwecken die UKW -Technik, die Tonbandaufzeichnung, Hi-Fi und Stereo im Krieg entwickelt wurden. „Und dann ist eigentlich die Verbindung klar, daß der Sound der Rockmusik, wenn er gut ist, oder war, wirklich der Sound des Krieges ist (...). Die Beschleunigung übertrifft die menschlichen Normal -Sinnesvermögen, ist aber kriegsentscheidend, muß deshalb irgendwie trainiert werden (...). In Diskotheken werden diese abnorm schnellen Reaktionsgeschwindigkeiten (...) trainiert.“ Stücke eines anderen Videoclips, der ebenfalls Kriegsbilder verwendet, haben diese Ausführung interpunktiert, nun schließt ein längeres Stück sein Sprechen ab. Bilder vom Krieg und beschleunigte Fahrten durch Städte, die Diskothek und die Polizei, Stakkatoschnitte zu Bomb the Bass, 7th Version. Schon wieder ein Videoclip zu Kriegsbildern, könnte man nicht zu jedem Gegenstand und zu jeder Gedankenverbindung ein paar Videoclips wie zum Beweis ihrer Tatsächlichkeit finden? Als ob einer sagt: Ich denke oft an Piroschka, und diese daraufhin ins Bild setzt, setzt dieser Clipausschnitt Kittlers Sprechen von der Diskothek und dem Krieg ins Bild. Kittler spricht von blitzartigen Lichtsignalen, und die Montage zeigt ebensolche. Es ist nicht leicht, den Zusammenhang von Diskothek und Krieg zu erörtern, noch schwerer ist es, einen Schnitt, der Sinn erschließt, von einem anderen zu unterscheiden, der Sinn verschüttet.

1 Freistil oder Krieg und Fliegen. Mitteilungen aus der Wirklichkeit. Von Thomas Schmitt. Gesendet am 30.9.89 in WDR3, 22.30 Uhr.

Der Filmemacher Harun Farocki produziert seit den sechziger Jahren. Er ist bekannt durch seine Essayfilme „Etwas wird sichtbar“, „Wie man sieht“, „Bilder der Welt und Inschrift des Krieges“. Er arbeitete auch für „Sandmännchen“ und die „Sesamstraße“.

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