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Subbotnik für Potsdams Häuser

■ Erste Arbeitsbrigade von Ex-Instandbesetzern aus West-Berlin für die bedrohte Altstadt von Potsdam / Nahezu hundert Westler kamen zur Winterfestmachung

Samstag neun Uhr auf dem Parkplatz am Grenzübergang Dreilinden: Frauen und Männern in Arbeitsmontur hüpfen im kalten Nieselregen neben ihren Autos und Kleinlastwagen von einem Fuß auf den anderen. Die Gruppe, die an diesem Morgen zu einem freiwilligen Arbeitseinsatz nach Potsdam zur Winterfestmachung unbewohnter halbverfallener Häuser aufbrechen will, wächst schnell auf nahezu 100 Menschen an: Ehemalige Hausbesetzer aus dem Bauhof in der Manteuffelstraße, dem Kerngehäuse in der Cuvrystraße, der Genossenschaft Luisenstadt, der Combobau oder Kitec, von S.T.E.R.N und dem Mieterladen S036, der Potsdamerstraße 130, und viele die sich aus beruflichen Gründen oder einfach nur so für eine gute Sache engagieren wollen.

Kurz vor halb elf kommt der Konvoi in Potsdam an. Ein gute Stunde Arbeitszeit ist verloren, weil sich die Grenzer so lange bei ihren Vorgesetzten vergewissern mußten, daß die Arbeitsbrigade samt Maschinen und Material ohne Zwangsumtausch und Zollerklärungen die Grenze passieren darf. In der Potsdamer Altstadt warten schon der Architekt Christian Wendland, nebst einige tatkräftigen Männern und Frauen der Potsdamer Bürgerinitiative „Argus“. Etwas abseits stehen bescheiden sieben unifomierte Angehörige der Nationalen Volksarmee, die sich aus freien Stücken für den Erhalt des vom Zerfall bedrohten Holländerviertel engagieren wollen. Christian Wendland weist die Aktivisten aus Ost und West ein, indem er ihnen einzelne Häuser zuteilt, bei denen sich die Winterfestmachung noch lohnt. Dann geht es Schlag auf Schlag. Das Kerngehäuse baut vor den Häusern in der Gutenbergstraße 12 bis 14 unter fachkundiger Anleitung seines Tischlerkollektivs ein sieben Meter hohes Gerüst zusammen. Während oben Maß genommen wird, werden unten schon Latten zu Rahmen zusammengebaut, mit Plastikfolie ausgestattet und dann als Wetterschutz vor die fensterlosen Lucken genagelt. Die Geschwindigkeit und Perfektion, mit der das passiert, läßt einheimischen Bauarbeitern den Atem stocken: „So geht das bei uns sonst nicht.“ Unterdessen haben Combobau und einige andere die ziegelroten Häuschen in der Straße der Jugend in Angriff genommen. Die gleiche Arbeit auch hier: Dach und Kehle müssen abgedichtet und Fenster und Türen bis zum Erdgeschoß hinunter wind- und wetterfest verschlossen werden. Einen halben Kilometer weiter, in der Hebbelstraße, wird die halbzerfallene Dachgaube mit frischen Latten bestückt und neugedeckt. Die Arbeit wird fertig, als es draußen schon zappenduster ist.

Die ganze Aktion war in nur zwei Wochen auf die Beine gestellt worden. Bei einem Rundgang durch die Altstadt mit dem Architekten Wendland, der für den VEB Gebäudewirtschaft für die Sanierung der Altstadt zuständig ist, wurde klar: Es muß was passieren, sonst kommen die Häuser nicht über den Winter. Und anscheinend funktionieren die totgesagten alten Besetzerstrukturen noch so weit, daß sich binnen zehn Tagen Leute und Material auftreiben ließ. Bei mehreren Vorbereitungstreffen in West und Ost wurde dann der Termin festgesetzt. Für den zollfreien Warentransport sorgte Potsdams Bürgermeister, der inzwischen an den Aktivitäten von „Argus“ nicht mehr vorbeikommt. Die Einreise ohne Zwangsumtausch für die am Subbotnik Beteiligten regelte gar das Ministerium des Inneren persönlich.

Der Zustand der Häuser ist teilweise auch nicht schlimmer, als der der Häuser, die 1980/81 in West-Berlin besetzt wurden. Beim Folien antackern, Dachpappen verkleben und den Gesprächen beim Kaffeetrinken kommen die Erinnerung an diese Zeit bei vielen wieder hoch. Es herrscht eine ähnlich aufgeregte, euphorische Aufbruchstimmung, die auch vom Chaos und Nerv über die schlechte Organisation nicht verdrängt werden kann: weil viel mehr Aktivisten als erwartet gekommen sind, gibt es auf manchen Baustellen nicht genug Material und Werkzeug, es muß erst mühsam aus den anderen Häusern zusammengesammelt werden. Container dafür gibt es so gut wie keine, was dazu führt, daß die Schutthaufen nur versetzt statt gleich richtig beseitigt werden können. Beim gemeinsamen Abendessen auf Einladung der BI „Argus“ im Haus der sowjetischen Offiziere sind nur glückliche und zufriedene Gesichter zu sehen. Das Fazit: elf Häuser sind vor Wind und Wetter geschützt worden. Befriedigt wird festgestellt, daß die Aktion effektiv und nicht nur symbolisch war, wie mach einer befürchtet hatte. Weitere Aktionen dieser Art, die von den in Selbsthilfe erfahrenen West-Berlinern nicht als Entwicklungshilfe von oben herab, sondern als Ausdruck einer guten, anzustrebenden Kooperation von unten verstanden wurde, werden sicher folgen. Einig waren sich die Männer und Frauen aus Ost und West bei Sekt, Bier und viergängigem Essen im Haus der Offiziere auch darüber: die Potsdamer müssen für den Erhalt ihrer Altstadt endlich selbst „aus der Hüfte kommen“.

plu

Die Aktion hat die Ex-Instandbesetzer eine Menge Geld gekostet. Für mehr als 5.000 Mark wurde Material gekauft. Wer spenden will, kann das bei der Volksbank Berlin, Sonderkonto: Behutsame Stadterneuerung für Potsdam, Johannes Eisenberg/Georg Behrens, Kontonummer: 060 367 24, BLZ: 100 900 00

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