: SCHNITT DURCHS KIRSCHTÖRTCHEN
■ Die Berlinische Galerie stellt das Hannah-Höch-Archiv vor
Es ist schwierig, sich Hannah Höch zu nähern, ohne in die von unzähligen Rezeptoren bereitgestellten Fallen zu tappen. Da ist Hannah Höch, die Gärtnerin. Vor ihrem „Hexenhäuschen“ in Heiligensee legte sie einen wilden Garten an, soll lächelnd Birnen gepflückt und für gewöhnlich mit ihren Pflanzen gesprochen haben.
Weiter gibt es Hannah Höch, die Freundin berühmter Männer: Das Hausmann-Anhängsel im Dada-Zirkel und die Kollegin von Schwitters, Arp, van Doesburg und Moholy-Nagy, deren Bekanntschaften ihre Stile prägten. Schließlich die Nichtmehr-Freundin, die nach jahrelanger innerer Emigration ein wenig wunderlich geworden ist und mit der neuen Welt nicht mehr zurecht kommt. Und über ganze Kapitel hinweg zeichnet schließlich der Katalog, den die Berlinische Galerie zur Hannah-Höch-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau herausgegeben hat, das Bild vom ewigen Mädchen. „Einsam“ zieht da eine „zierliche Künstlerin im roten Mäntelchen“ über die Landstraßen nach Rom. Achtzigjährig soll die noch auf dem Dachfirst geturnt haben und ganz wild auf Kirschtörtchen gewesen sein. Begeistert wird Salomo Friedlaender zitiert, der ihr 1924 schrieb: “...Im Grunde bist du ein fabelhaftes und wunderbares Mädchen - und wer dich nicht begreift, muß ein läppischer und vollkommen unmöglicher Bursche sein. Und wer Dich begreift? Der ist ein Kind, Dir gleich...“ Rührende Geschichtchen sind der Speck in den Fallen.
Cornelia Thater-Schulz und Armin Schulz, die die Ausstellung zum 100.Geburtstag Höchs zusammenstellten, wußten um diese Fallen und versuchten tunlichst, sie zu vermeiden. Gleich bei der Tafel mit den Lebensdaten hängen zwei Bilder von Hannah Höch von 1926 einander gegenüber, „Die Treppe“ und „Kubus“. Das eine symbolisiert wilde Vegetation und durchorganisierte Zivilisation als polare Gegensätze. Im anderen bildet beides einen geschlossenen Ring, in dessen Mitte sich das kubisch gebrochene Antlitz eines Menschen befindet. Tafelbilder voller Maschinengewächse, der „Mechanische Gärten“ (wohl das einzige Bild der Dada-Generation, das Maschinenteile zu Pflanzen stilisiert), und im Sturm zerrissener Blüten von 1935 sind nicht nebeneinander, sondern in Kabinetten zu sehen, die den einzelnen Lebens- und Schaffensperioden Höchs gewidmet sind. Die rationale Auseinandersetzung mit den Pflanzenbildern zeigt Hannah Höchs Versuch, in dem spannungsreichen Verhältnis zwischen Natur und faszinierender Technik nach Möglichkeiten einer harmonischen Verbindung zu suchen - mehr über die Birnenpflückerin war in der Ausstellung im Rathaus Reinickendorf zu sehen.
Nicht immer läßt sich vermeiden, was alle wiederkäuen. Der Garten sicherte tatsächlich nicht nur Hannah Höchs Versorgung während des Krieges, sondern auch das Überleben zahlreicher Werke und Zeugnisse ihrer Zeitgenossen. Haus und Grundstück kaufte Hannah Höch nur wenige Tage nach dem deutschen Angriff auf Polen. Hier bot die während der nationalsozialistischen Herrschaft völlig zurückgezogen lebende Künstlerin eigenen Werken wie in ihrem Besitz befindlichen Arbeiten vieler „entarteter“ Künstlerkollegen Schutz. Kistenweise wurde das lebensbedrohliche Gut im Garten vergraben. Hannah Höch, die Archivarin, gab es wirklich.
Genauso wirkte sie selber nie stilbildend wie van Doesburg oder Mondrian, sondern blieb offen für die Einflüsse, die sie anregten, sich immer wieder auf neuem Gebiet zu versuchen. Auf der Galerie des Lichthofs wurde das Hannah -Höch-Archiv ausgebreitet, das die Berlinische Galerie nach dem Tod der Künstlerin 1978 erwarb. Hannah Höch konstruierte eine Dada-Mühle aus Metall, Holz und Schnüren, zeichnete und aquarellierte konstruktivistisch und abstrakt, malte symbolisch oder realistisch in Öl auf Leinwand oder Holz. Sie entwarf Bühnenbilder und Kostüme für die Anti-Revue „Schlechter oder Besser“, die nie zur Aufführung gelangte, suchte Farben für die Holzreliefs Arps aus und reihte 1945 trauernde Frauen auf, die alle ein wenig an Käthe Kollwitz erinnern. Neben all ihren eigenen Werken das, was Hannah Höch noch sammelte: Kunstzeitschriften, Photos, Briefe, Karten und Manuskripte. Der Weg führt chronologisch von Höchs ersten Versuchen in der kunstgewerblichen Schule, deren Spuren sich noch in einer Textilcollage von 1924 finden, bis zu dem verspäteten Höch-Boom in den sechziger Jahren. Der offene Rundgang des Lichthofs ermöglicht Blicke zurück und nach vorn. Das Ende stößt auf den Anfang. Die Künstlerin ganzheitlich mit ihrer Zeit - und im Erdgeschoß des Martin-Gropius-Baus klotzt einsam Berhard Heisig, der Mann.
Spannend ist natürlich auch das Schnüffeln im Privatleben, besonders der Briefwechsel zwischen Hannah Höch und Raoul Hausmann. Hausmann, der „Präsident der Sonne“, wie er sich selber nannte, versuchte seine Theorie von der Einheit von Revolution und Sexualität, der Auflösung patriarchalischer Strukturen im Matriarchat, im eigenen Leben zu verwirklichen. Seine Briefe entlarven ihn aber schnell als den, der die Freundin bei aller Liebe nur als Experimentierfeld benötigt. Nach sieben Jahren trennte sich Hannah Höch 1922 von Hausmann. Den Typ des wilden jungen Künstlers karikierend tippte sie 1920: „Er war voll von dunklem Drang, ein Bild zu machen, indem er die Wesensgemeinschaft des Schnittlauchs mit der Seele des Weibes vergleichend auf der Leinwand dar...kuben wollte.“ An der Seele scheiterte der Maler, es bleibt der Schnittlauch, betitelt: Die Seele des Weibes. Von ferne winkt dafür schon der Nobelpreis. Prophezeit Hannah Höch.
Darin stecken auch die Erfahrungen der Frau, die in der Runde der Dadaisten von den schöpfenden Herren mehr geduldet als akzeptiert wurde, obwohl sie unter anderem mit einer Plastik und ihren berühmten Dada-Puppen an der Ersten Internationalen Dada-Messe 1920 beteiligt war. Und obwohl sie als „Erfinderin“ der Photomontage gilt. Die ersten Versuche unternahm sie noch gemeinsam mit Hausmann. Innerhalb der wenigen Jahre, in denen sich die Photomontage in der Weimarer Republik auch im kommerziellen Bereich etablierte, entwickelte sie aber ihren ganz eigenen Schnitt. Natürlich sind im Martin-Gropius-Bau die „Dada-Rundschau“ (1919) und „Schnitt mit dem Küchenmesser DADA durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands“ (1919/1920) zu sehen, Höchs aus unzähligen Illustriertenschnipseln zusammengestellte, höhnische Analyse der politischen Kultur unter der Ebert-Regierung. Später werden ihre Montagen übersichtlicher, „ästhetischer“. Ihre Vieldeutigkeit behalten sie aber. Die Ausstellung verfolgt die Weiterentwicklung Höchs Photomontage- und Collagentechnik über die zum ersten Mal fast vollständig zusammengetragene Serie „Aus dem ethnographischen Museum“, über die Bilder, die sie nach Photomontagen malte, bis zu den surrealen Traumbildern der sechziger Jahre.
Bis in die Dreißiger hinein setzte sich Hannah Höch in ihren Photomontagen immer wieder mit den Rollen von Frauen und Männern auseinander. Anders als in zeitgenössischen Darstellungen modischer Androgynität suchte sie den Mann in der Frau, mehr noch die Frau im Mann, spielte mit scheinbar geschlechtsspezifischen Attributen, setzte sie gegeneinander und ineinander und schien sich dabei über die Erschütterung des Selbstverständnisses der Geschlechter zu amüsieren.
Hannah Höch ließ sich weder auf heterosexuelle, noch auf lesbische Beziehungen festlegen. Obwohl ihrer Freundschaft und Zusammenarbeit mit der niederländischen Schriftstellerin Til Brugmann in den Jahren 1926 bis 1935 ein eigenes Kabinett gewidmet ist, bleibt hier im Gegensatz zum Kapitel Höch-Hausmann vieles im privat Verborgenen. Das mag an dem Verschwinden vieler Dokumente bei einem Einbruch in das gemeinsame Atelier der Freundinnen liegen oder daran, daß Hannah Höch sich schon während ihrer Beziehung zu Brugmann aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen hatte. Nach einer schweren Krankheit 1934 sah Höch nur noch wenige Vertraute. Die Abteilungen „Nationalsozialismus“ und „Krieg“ zeigen einige angstvolle, dunkle Bilder neben dem Briefwechsel mit dem Dessauer Bauhaus, das bereits 1932 eine Ausstellung Höchs absagen mußte, „Kampfschriften zur Gesundung der deutschen Kunst“, die selbstverständlich auch gegen Hannah Höch zu Felde zogen, und eine Postkarte der Ausstellung „Entartete Kunst“, die Hannah Höch mehrmals besuchte. Die raren Aufzeichnungen in ihren Taschenkalendern dieser Jahre sind mit Bleistift geschrieben. Man muß sich tief hinunterbeugen, um sie in dem schlechten Licht überhaupt lesen zu können.
Nach jahrelanger Arbeit wußten Schulz und Thater-Schulz natürlich um die Fallen. Besucher haben es schwerer. In der Fülle des Dargebotenen verfliegen die einzelnen Eindrücke, und schnell bleibt nur das Gewohnte hängen. Eiligen, die für einen zweiten und dritten Durchgang keine Zeit haben, seien die beiden ersten Bände der Archiv-Edition des Hannah-Höch -Archivs empfohlen, eine akribische Dokumentation des Nachlasses, die endgültig Schluß mit Kirschtörtchen macht.
Claudia Wahjudi
Hannah Höch - ihr Werk - ihr Leben - ihre Freunde: Berlinische Galerie, Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße110, 1/61, bis zum 14.Januar 1990. Katalog, 222 Seiten, im Argon Verlag, 29 DM (im Buchhandel 36 DM). Ausstellung „Hannah Höch“ im Rathaus Reinickendorf, Eichenborndamm215, bis 17.Dezember.
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