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Dresden: Tor geht auf Umtausch 1:3

Dresden/Berlin (ap/taz) - Heiligabend wird das letzte Türchen aufgemacht: das Brandenburger Tor wird als Grenzübergang für Fußgänger geöffnet. Diese Bescherung verkündete DDR-Premier Hans Modrow auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Kanzler Kohl in Dresden. Bundesbürger werden schon zu Weihnachten keinen Mindestumtausch mehr zahlen und kein Visum vorzeigen müssen. Der Umtauschkurs werde in Zukunft 1:3 betragen statt wie bisher 1:1. Ob die Bundesbürger dann als mit Geschenken Reichbepackte in das Bethlehem im Osten einziehen werden, wurde nicht mitgeteilt.

Modrow sagte auch zu, alle politischen Gefangenen möglichst noch vor Weihnachten freizulassen.

Bevor Kohl den Dresdner Kulturpalast betrat, war es unter den Wartenden zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Wiedervereinigern und Anhängern der Zweistaatlichkeit gekommen. Auch zwischen dem Bundeskanzler und Hans Modrow gab es keine Übereinstimmung über den 10-Punkte-Plan Kohls. Man sei sich, Fortsetzung auf Seite 2

so Kohl, jedoch einig, daß es wenig sinnvoll sei, dieses Thema schon jetzt intensiv zu beraten. Der Kanzler vermied es, sich deutlich zur Anerkennung der polnischen Westgrenze zu äußern. Nur der Singular „unser Land“ ging ihm leicht von den Lippen, wenn er von BRD und DDR sprach. Kohl hofft, daß die geplante vertragliche Verankerung

der Vertragsgemeinschaft bis zum späten Frühjahr nächsten Jahres erreicht werden könne. Es sei vereinbart worden, daß die Ressortminister konkret weiterarbeiten sollten. In Kürze sollen auch Verhandlungen über ein Investitionsschutzabkommen aufgenommen werden. Modrow und Kohl werden Ende Januar, Anfang Februar zur zweiten Runde in der Bundesrepublik zusammentreffen.

Statt der 100.000 erwarteten Zuhörer vor der Dresdner Frauenkirchenruine kamen nur mehrere tausend Menschen mit schwarz-rot-goldenen Fahnen und großdeutschen Transparenten. Kohl rief dazu auf, den „Sinn für das Mögliche“ zu bewahren. Die Bundesrepublik wolle die Menschen in der DDR nicht bevormunden.

Weihnachtsbescherung auch für die Banker: Die Dresdner Bank eröffnet eine Zweigstelle in Dresden, die Commerzbank ein Verbindungsbüro in Ost-Berlin. Und auch der zwischen Bonn und Ost-Berlin vereinbarte Agentenaustausch hat inzwischen begonnen. Die ersten 25 Freigelassenen kamen „unbemerkt“ per Linienflug in die BRD. Die bundesdeutschen Nachrichtendienste verspürten „große Erleichterung“. Frohe Weihnachten!

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