: Polizistenmeineid in WAA-Verfahren
Bezeugte Beleidigung durch WAA-Gegner war nicht zu beweisen / Ermittlung gegen Augsburgs Polizeidirektor ■ Von Bernd Siegler
Nürnberg (taz) - Karl Pfrogner, Leiter der Polizeidirektion Augsburg, wird wohl in Zukunft etwas vorsichtiger vor Gericht auftreten. Als Hauptbelastungszeuge im Amberger Schwurgerichtssaal bestätigte er unter Eid, daß während einer Polizeiaktion einen Tag nach der Räumung des zweiten WAA-Hüttendorfes im Januar 1986 ein WAA-Gegner ihn mit den Worten: „Was willst du, du Arsch“, beleidigt haben soll.
Zwei Frauen und ein Mann aus Tübingen, die das Gegenteil ausgesagt hatten, standen deshalb wegen Meineids in der zweiten Instanz vor Gericht. Sie wurden jedoch freigesprochen. Gegen Pfrogner und zwei weitere Polizisten laufen nun Ermittlungsverfahren wegen Meineids.
Am 7. Januar 1986 räumte die Polizei das zweite Hüttendorf gegen die umstrittene Wiederaufarbeitungsanlage. Dabei wurden 762 Personen festgenommen. Am Tag darauf liefen die Rodungsarbeiten im Taxöldener Wald wieder auf Hochtouren. Bei der Verfolgung von WAA-GegnerInnen, die Barrikaden auf Bahngleisen errichtet haben sollten, wurde eine Gruppe von Frauen und Männern von der Polizei im Wald umstellt. Dabei kam es letztlich zu dem Vorfall, bei dem ein 25jähriger Mann aus Tübingen den Polizeidirektor Pfrogner beleidigt haben sollte und festgenommen worden war. In zwei Instanzen wurde der WAA-Gegner zu einer Geldstrafe verurteilt, auch die Verfahrenskosten von 10.000 DM mußte er tragen.
Während dieses Verfahrens im Oktober 1986 traten zwei Frauen und ein Mann aus Tübingen als ZeugInnen auf. Sie hatten keine beleidigende Äußerung gehört. Daraufhin wurden sie noch im Gerichtssaal wegen Verdachts auf Meineid festgenommen.
Das Schwandorfer Amtsgericht verurteilte alle drei in erster Instanz wegen fahrlässig geleisteten Falscheides zu 120 Tagessätzen zwischen jeweils 10 beziehungsweise 18 DM. Schon damals hatte ein Schmalfilm eines Privatmannes vorgelegen, der den Vorfall im Wald aufgenommen hatte.
Erst die zweite Instanz in Amberg schaute sich den Streifen genauer an und mußte schließlich zu dem Schluß konmmen, daß die beleidigende Äußerung „tatsächlich nicht gefallen ist“. Die beeidete Aussage von Pfrogner, er habe den Tübinger, „nachdem er von ihm fast über den Haufen gerannt worden war, unmittelbar daraufhin festgenommen“, wurde durch die Bilder zweifelsfrei widerlegt. Auch die Aussage von Pfrogners Fahrer, der Vorfall sei vor dem Kühler des Jeeps passiert, deswegen habe er alles genau gesehen und gehört, erwies sich als falsch. Tatsächlich spielte sich die Szene vor der Fahrertür ab. Pfrogner stand mit dem Rücken davor und versperrte dem Fahrer jegliche Sicht. Dem dritten vereidigten „Augenzeugen“, damals als Hundertschaftsführer im Einsatz, wurde mittels des Films nachgewiesen, daß er bei dem Vorfall selbst gar nicht anwesend, sondern erst später dazugestoßen war.
Damit war für den Amberger Richter Czermak alles klar. Er hob das Urteil der Erstinstanz auf und sprach die Tübinger frei. „Erhebliche Ungereimtheiten im Kernbereich der Aussagen“ des vermeintlich beleidigten Pfrogner ließen die Situation im Wald anders erscheinen als von ihm vor Gericht geschildert. Durch Widersprüche habe der Leiter der Polizeidirektion „seine eigenen Aussagen entscheidend entwertet“.
Die Widersprüche werden nicht ohne Folgen bleiben. Die Anwälte bemühen sich um eine Wiederaufnahmeverfahren im Fall des wegen Beleidigung verurteilten Tübingers. Gegen Pfrogner und seine beiden Kollegen laufen aus der Erstinstanz Ermittlungsverfahren wegen uneidlicher Falschaussage. Einen Einstellungsantrag der Staatsanwaltschaft Amberg hat die zuständige Generalstaatsanwaltschaft bereits abgelehnt. Aufgrund der zweiten Instanz werden die Verfahren wohl um den Tatbestand des Meineids erweitert werden müssen.
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